Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

war in ihrem Recht, denn die Geschichte hat gegen Trümmer keine Schonung zu
beobachten. Sie leidet aber zugleich in ihrer ersten Erscheinung an einem inneren
Widerspruch, der zu einer weitere" Entwickelung führt -- aus dem naiven Abso¬
lutismus zum aufgeklärte" Despotismus.

Die reine Willkür, ohne einen zusammenhängenden Zweck, hat von der Frei¬
heit und Souveränität nur die Form. Die souveränen Stimmungen, Launen und
Capricen werden äußerlich hervorgebracht; Maitressen, Kammerdiener und ähnliches
Volk hat mehr mit dem Regiment zu thun, als die Person des Souveräns selbst.
Um eine feste Realität zu gewinnen, muß sich das Streben des Souveräns an
einen festen Gegenstand klammern. Dieser Gegenstand ist der Staat -- freilich
nach dem Satz I'vt-et c'est um nur das Eigenthum des Fürsten, aber doch nicht
mehr blos die Willkür seiner Persönlichkeit; es ist ein zweites Ich, das man
von dem eigentlichen Ich gewissermaßen ablösen kann und das ein respektableres
Ansehen hat, als die launenhafte Person, wie das Fichte'sche absolute Ich dem
partikularen controllirend zur Seite tritt. Der Staat ist ein Fideicommiß und
wenn der Fürst ein redlicher Verwalter ist, so wird er seine ganze Souveränität
daran setzen, sein Gut zu heben. Die Hauptkraft des Gutes liegt in seinen Be¬
wohnern, den Unterthauen des Souveräns, dem Volke, und so konnte Frie¬
drich der Große, der Erfinder des liberalen Absolutismus, mit einem gewissen
Recht sagen, der Fürst sei der Beamte seines Volks; das Volk ist hier nicht als
letzter Zweck gebraucht, sondern als Mittel für den Staat, der Staat als der
eigentliche Inhalt des souveränen Fürsten. Es liegt dem Staate daran, das Volk
so zufrieden, so reich, so stark, so cultivirt zu sehen, als irgend möglich, denn um
so besser kann er es nutzen.

Es wurde damals, namentlich in Devtschland, gebräuchlich, daß die Fürsten
besser wußten, was dem Volke fromme, als dieses selber; sie hatten sich an der
französischen Aufklärung gehoben, das Volk war zurückgeblieben. Darum war in
dem Satze: Alles für das Volk, Nichts durch das Volk, kein Widerspruch, denn
das Volk hätte seine Sachen schlechter besorgt, als sein aufgeklärter Souverän.
Zudem war der Souverän nicht eine einzeln stehende Person; er hatte seine
Beamten, die durch Wissenschaft und Erfahrung geschult waren, die in den Tra¬
ditionen der alten Politik fortlebten und der etwaigen Willkür des Fürsten die
Nothwendigkeit der Staatsrücksichten entgegensetzten. Sie oppouirteu dem Souverän
im Namen des wahren Souveräns. Bekanntlich war in Preußen die Titulatur
der Kammer wie der Regierung: "Sr. Majestät der König." Friedrich verfehlte
nicht, daran seinen Witz zu üben, er schrieb zuweilen seiner Regierung: "Se. Ma¬
jestät lassen Sr. Majestät sagen, sie solle u. s. w.", aber im Allgemeinen band er
sich an den amtlichen Verstand seiner Administration und achtete seine eigenen Ge¬
setze, denn er wußte wohl, daß die Willkürherrschaft nur eine scheinbare sei. Der
Müller, dem er seine Mühle nehmen wollte, durste ihm mit dem Kammergericht


war in ihrem Recht, denn die Geschichte hat gegen Trümmer keine Schonung zu
beobachten. Sie leidet aber zugleich in ihrer ersten Erscheinung an einem inneren
Widerspruch, der zu einer weitere» Entwickelung führt — aus dem naiven Abso¬
lutismus zum aufgeklärte» Despotismus.

Die reine Willkür, ohne einen zusammenhängenden Zweck, hat von der Frei¬
heit und Souveränität nur die Form. Die souveränen Stimmungen, Launen und
Capricen werden äußerlich hervorgebracht; Maitressen, Kammerdiener und ähnliches
Volk hat mehr mit dem Regiment zu thun, als die Person des Souveräns selbst.
Um eine feste Realität zu gewinnen, muß sich das Streben des Souveräns an
einen festen Gegenstand klammern. Dieser Gegenstand ist der Staat — freilich
nach dem Satz I'vt-et c'est um nur das Eigenthum des Fürsten, aber doch nicht
mehr blos die Willkür seiner Persönlichkeit; es ist ein zweites Ich, das man
von dem eigentlichen Ich gewissermaßen ablösen kann und das ein respektableres
Ansehen hat, als die launenhafte Person, wie das Fichte'sche absolute Ich dem
partikularen controllirend zur Seite tritt. Der Staat ist ein Fideicommiß und
wenn der Fürst ein redlicher Verwalter ist, so wird er seine ganze Souveränität
daran setzen, sein Gut zu heben. Die Hauptkraft des Gutes liegt in seinen Be¬
wohnern, den Unterthauen des Souveräns, dem Volke, und so konnte Frie¬
drich der Große, der Erfinder des liberalen Absolutismus, mit einem gewissen
Recht sagen, der Fürst sei der Beamte seines Volks; das Volk ist hier nicht als
letzter Zweck gebraucht, sondern als Mittel für den Staat, der Staat als der
eigentliche Inhalt des souveränen Fürsten. Es liegt dem Staate daran, das Volk
so zufrieden, so reich, so stark, so cultivirt zu sehen, als irgend möglich, denn um
so besser kann er es nutzen.

Es wurde damals, namentlich in Devtschland, gebräuchlich, daß die Fürsten
besser wußten, was dem Volke fromme, als dieses selber; sie hatten sich an der
französischen Aufklärung gehoben, das Volk war zurückgeblieben. Darum war in
dem Satze: Alles für das Volk, Nichts durch das Volk, kein Widerspruch, denn
das Volk hätte seine Sachen schlechter besorgt, als sein aufgeklärter Souverän.
Zudem war der Souverän nicht eine einzeln stehende Person; er hatte seine
Beamten, die durch Wissenschaft und Erfahrung geschult waren, die in den Tra¬
ditionen der alten Politik fortlebten und der etwaigen Willkür des Fürsten die
Nothwendigkeit der Staatsrücksichten entgegensetzten. Sie oppouirteu dem Souverän
im Namen des wahren Souveräns. Bekanntlich war in Preußen die Titulatur
der Kammer wie der Regierung: „Sr. Majestät der König." Friedrich verfehlte
nicht, daran seinen Witz zu üben, er schrieb zuweilen seiner Regierung: „Se. Ma¬
jestät lassen Sr. Majestät sagen, sie solle u. s. w.", aber im Allgemeinen band er
sich an den amtlichen Verstand seiner Administration und achtete seine eigenen Ge¬
setze, denn er wußte wohl, daß die Willkürherrschaft nur eine scheinbare sei. Der
Müller, dem er seine Mühle nehmen wollte, durste ihm mit dem Kammergericht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277704"/>
            <p xml:id="ID_878" prev="#ID_877"> war in ihrem Recht, denn die Geschichte hat gegen Trümmer keine Schonung zu<lb/>
beobachten. Sie leidet aber zugleich in ihrer ersten Erscheinung an einem inneren<lb/>
Widerspruch, der zu einer weitere» Entwickelung führt &#x2014; aus dem naiven Abso¬<lb/>
lutismus zum aufgeklärte» Despotismus.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_879"> Die reine Willkür, ohne einen zusammenhängenden Zweck, hat von der Frei¬<lb/>
heit und Souveränität nur die Form. Die souveränen Stimmungen, Launen und<lb/>
Capricen werden äußerlich hervorgebracht; Maitressen, Kammerdiener und ähnliches<lb/>
Volk hat mehr mit dem Regiment zu thun, als die Person des Souveräns selbst.<lb/>
Um eine feste Realität zu gewinnen, muß sich das Streben des Souveräns an<lb/>
einen festen Gegenstand klammern. Dieser Gegenstand ist der Staat &#x2014; freilich<lb/>
nach dem Satz I'vt-et c'est um nur das Eigenthum des Fürsten, aber doch nicht<lb/>
mehr blos die Willkür seiner Persönlichkeit; es ist ein zweites Ich, das man<lb/>
von dem eigentlichen Ich gewissermaßen ablösen kann und das ein respektableres<lb/>
Ansehen hat, als die launenhafte Person, wie das Fichte'sche absolute Ich dem<lb/>
partikularen controllirend zur Seite tritt. Der Staat ist ein Fideicommiß und<lb/>
wenn der Fürst ein redlicher Verwalter ist, so wird er seine ganze Souveränität<lb/>
daran setzen, sein Gut zu heben. Die Hauptkraft des Gutes liegt in seinen Be¬<lb/>
wohnern, den Unterthauen des Souveräns, dem Volke, und so konnte Frie¬<lb/>
drich der Große, der Erfinder des liberalen Absolutismus, mit einem gewissen<lb/>
Recht sagen, der Fürst sei der Beamte seines Volks; das Volk ist hier nicht als<lb/>
letzter Zweck gebraucht, sondern als Mittel für den Staat, der Staat als der<lb/>
eigentliche Inhalt des souveränen Fürsten. Es liegt dem Staate daran, das Volk<lb/>
so zufrieden, so reich, so stark, so cultivirt zu sehen, als irgend möglich, denn um<lb/>
so besser kann er es nutzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_880" next="#ID_881"> Es wurde damals, namentlich in Devtschland, gebräuchlich, daß die Fürsten<lb/>
besser wußten, was dem Volke fromme, als dieses selber; sie hatten sich an der<lb/>
französischen Aufklärung gehoben, das Volk war zurückgeblieben. Darum war in<lb/>
dem Satze: Alles für das Volk, Nichts durch das Volk, kein Widerspruch, denn<lb/>
das Volk hätte seine Sachen schlechter besorgt, als sein aufgeklärter Souverän.<lb/>
Zudem war der Souverän nicht eine einzeln stehende Person; er hatte seine<lb/>
Beamten, die durch Wissenschaft und Erfahrung geschult waren, die in den Tra¬<lb/>
ditionen der alten Politik fortlebten und der etwaigen Willkür des Fürsten die<lb/>
Nothwendigkeit der Staatsrücksichten entgegensetzten. Sie oppouirteu dem Souverän<lb/>
im Namen des wahren Souveräns. Bekanntlich war in Preußen die Titulatur<lb/>
der Kammer wie der Regierung: &#x201E;Sr. Majestät der König." Friedrich verfehlte<lb/>
nicht, daran seinen Witz zu üben, er schrieb zuweilen seiner Regierung: &#x201E;Se. Ma¬<lb/>
jestät lassen Sr. Majestät sagen, sie solle u. s. w.", aber im Allgemeinen band er<lb/>
sich an den amtlichen Verstand seiner Administration und achtete seine eigenen Ge¬<lb/>
setze, denn er wußte wohl, daß die Willkürherrschaft nur eine scheinbare sei. Der<lb/>
Müller, dem er seine Mühle nehmen wollte, durste ihm mit dem Kammergericht</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] war in ihrem Recht, denn die Geschichte hat gegen Trümmer keine Schonung zu beobachten. Sie leidet aber zugleich in ihrer ersten Erscheinung an einem inneren Widerspruch, der zu einer weitere» Entwickelung führt — aus dem naiven Abso¬ lutismus zum aufgeklärte» Despotismus. Die reine Willkür, ohne einen zusammenhängenden Zweck, hat von der Frei¬ heit und Souveränität nur die Form. Die souveränen Stimmungen, Launen und Capricen werden äußerlich hervorgebracht; Maitressen, Kammerdiener und ähnliches Volk hat mehr mit dem Regiment zu thun, als die Person des Souveräns selbst. Um eine feste Realität zu gewinnen, muß sich das Streben des Souveräns an einen festen Gegenstand klammern. Dieser Gegenstand ist der Staat — freilich nach dem Satz I'vt-et c'est um nur das Eigenthum des Fürsten, aber doch nicht mehr blos die Willkür seiner Persönlichkeit; es ist ein zweites Ich, das man von dem eigentlichen Ich gewissermaßen ablösen kann und das ein respektableres Ansehen hat, als die launenhafte Person, wie das Fichte'sche absolute Ich dem partikularen controllirend zur Seite tritt. Der Staat ist ein Fideicommiß und wenn der Fürst ein redlicher Verwalter ist, so wird er seine ganze Souveränität daran setzen, sein Gut zu heben. Die Hauptkraft des Gutes liegt in seinen Be¬ wohnern, den Unterthauen des Souveräns, dem Volke, und so konnte Frie¬ drich der Große, der Erfinder des liberalen Absolutismus, mit einem gewissen Recht sagen, der Fürst sei der Beamte seines Volks; das Volk ist hier nicht als letzter Zweck gebraucht, sondern als Mittel für den Staat, der Staat als der eigentliche Inhalt des souveränen Fürsten. Es liegt dem Staate daran, das Volk so zufrieden, so reich, so stark, so cultivirt zu sehen, als irgend möglich, denn um so besser kann er es nutzen. Es wurde damals, namentlich in Devtschland, gebräuchlich, daß die Fürsten besser wußten, was dem Volke fromme, als dieses selber; sie hatten sich an der französischen Aufklärung gehoben, das Volk war zurückgeblieben. Darum war in dem Satze: Alles für das Volk, Nichts durch das Volk, kein Widerspruch, denn das Volk hätte seine Sachen schlechter besorgt, als sein aufgeklärter Souverän. Zudem war der Souverän nicht eine einzeln stehende Person; er hatte seine Beamten, die durch Wissenschaft und Erfahrung geschult waren, die in den Tra¬ ditionen der alten Politik fortlebten und der etwaigen Willkür des Fürsten die Nothwendigkeit der Staatsrücksichten entgegensetzten. Sie oppouirteu dem Souverän im Namen des wahren Souveräns. Bekanntlich war in Preußen die Titulatur der Kammer wie der Regierung: „Sr. Majestät der König." Friedrich verfehlte nicht, daran seinen Witz zu üben, er schrieb zuweilen seiner Regierung: „Se. Ma¬ jestät lassen Sr. Majestät sagen, sie solle u. s. w.", aber im Allgemeinen band er sich an den amtlichen Verstand seiner Administration und achtete seine eigenen Ge¬ setze, denn er wußte wohl, daß die Willkürherrschaft nur eine scheinbare sei. Der Müller, dem er seine Mühle nehmen wollte, durste ihm mit dem Kammergericht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/274>, abgerufen am 26.06.2024.