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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Wenn Ludwig die Einwendung der Parlamentsräthe, die Staatsrücksichten
u. tgi. dem absoluten Willen des Souveräns entgegensetzen wollten, mit dem berühm¬
ten Ausspruch zurückwies: der Staat bin Ich! so hatte das einen doppelten
Sinn. Einmal waren die alten "Staaten", d. h. die Municipien, der Adel und
die Parlamente in ihrer Selbstständigkeit durch die früheren Machthaber gebrochen:
sie hatten keinen Werth mehr in sich selbst. Sodann floß alle die sittliche Macht,
die sich früher an diese Institutionen geheftet hatte, alle Ehre, um den technischen
Ausdruck zu gebrauchen, in der Person des Monarchen zusammen. Mau fürchtete
ihn nicht nur als den Stärkeren, man glaubte an ihn: darum war er in Wahr¬
heit absolut. Das Recht, die Religion, sie hatten keinen unbedingten Inhalt, sie
lagen in der besseren Einsicht oder in der Stimmung des Fürsten. Wie löst Mo-
livre in seinem Tartüffe den sittlichen Conflict? Ein guter Mann hat einem
Gauner sein Vermögen verschrieben; rechtlich ist das nicht aufzuheben, aber wie
hilft sich der Dichter? Ein Polizeibeamter tritt auf und erklärt: Wir haben
einen König, dessen Adlerblick in die Tiefen der Herzen dringt; er hat erkannt,
daß Du, Tartüffe, ein Galgenvogel bist, Du dagegen, Orgvn, ein gutmüthiger
Schwachkopf, der in der besten Absicht den Ruin seiner braven Familie herbeifüh¬
ren würde, das geht nicht; kraft seiner absoluten Machtvollkommenheit hebt er
also ein Rechtsverhältniß auf, die böse Gesinnung wird bestraft, die gute belohnt.
So machte sich's der Katholicismus leichter, als der protestantische Dichter, dem,
wie im Kaufmann von Venedig, das Recht als ein Absolutes gilt; die So-
phistik der besseren Einsicht kann eS zwar dnrch seine eignen Widersprüche wider¬
legen, aber es nicht äußerlich brechen. So wie das Recht, so wird auch der gute
Geschmack von Hof aus regulirt; in der Academie, einem höfischen Institut, wird
decretirt, was schön ist und anständig, man kann liederlich sein, aber die Etiquette
darf man nicht verletzen. Der König hat keine Haare und muß daher eine Perücke
tragen; augenblicklich gehört es zum guten Geschmack, mit fremden Haaren zu
gehen, der Adel macht es dem König nach, das Volk dem Adel. Die Ehre besteht
im Herrendienst. Nur die vornehmste Dame hal das Recht, dem gesalbten Mo¬
narchen das Hemd auszuziehen, ihm die Pantoffeln zu reichen, nur der höchste
Rang berechtigt dazu, am Bediententischchen des Fürsten zu tafeln. Auch die Re¬
ligion hat ihr sichtbares Oberhaupt am Thron; hat der Fürst eine liederliche
Maitresse, so wird Hof. Adel und Volk frivol; steckt er sein Gewissen in den
Strickbeutel einer Bigotteu, so strömt Alles in die Kirche, um sich von Bossuet
erbauen zu lassen, oder in's Feld, um die gesinnungslosen Ketzer, die frechen und
unehrerbietigem Rebellen gegen das höchste Ansehen des Königs, mit Drazonadcn
zu bekehren.

Die Souveränität, d. h. die Idee der Staatseinheit, der Centralisation und
Uniformität -- erhebt sich auf den Trümmern der historischen, individuellen Rechts¬
verhältnisse, die das Wesen des mittelalterlichen Staats ausgemacht hatten. Sie


Wenn Ludwig die Einwendung der Parlamentsräthe, die Staatsrücksichten
u. tgi. dem absoluten Willen des Souveräns entgegensetzen wollten, mit dem berühm¬
ten Ausspruch zurückwies: der Staat bin Ich! so hatte das einen doppelten
Sinn. Einmal waren die alten „Staaten", d. h. die Municipien, der Adel und
die Parlamente in ihrer Selbstständigkeit durch die früheren Machthaber gebrochen:
sie hatten keinen Werth mehr in sich selbst. Sodann floß alle die sittliche Macht,
die sich früher an diese Institutionen geheftet hatte, alle Ehre, um den technischen
Ausdruck zu gebrauchen, in der Person des Monarchen zusammen. Mau fürchtete
ihn nicht nur als den Stärkeren, man glaubte an ihn: darum war er in Wahr¬
heit absolut. Das Recht, die Religion, sie hatten keinen unbedingten Inhalt, sie
lagen in der besseren Einsicht oder in der Stimmung des Fürsten. Wie löst Mo-
livre in seinem Tartüffe den sittlichen Conflict? Ein guter Mann hat einem
Gauner sein Vermögen verschrieben; rechtlich ist das nicht aufzuheben, aber wie
hilft sich der Dichter? Ein Polizeibeamter tritt auf und erklärt: Wir haben
einen König, dessen Adlerblick in die Tiefen der Herzen dringt; er hat erkannt,
daß Du, Tartüffe, ein Galgenvogel bist, Du dagegen, Orgvn, ein gutmüthiger
Schwachkopf, der in der besten Absicht den Ruin seiner braven Familie herbeifüh¬
ren würde, das geht nicht; kraft seiner absoluten Machtvollkommenheit hebt er
also ein Rechtsverhältniß auf, die böse Gesinnung wird bestraft, die gute belohnt.
So machte sich's der Katholicismus leichter, als der protestantische Dichter, dem,
wie im Kaufmann von Venedig, das Recht als ein Absolutes gilt; die So-
phistik der besseren Einsicht kann eS zwar dnrch seine eignen Widersprüche wider¬
legen, aber es nicht äußerlich brechen. So wie das Recht, so wird auch der gute
Geschmack von Hof aus regulirt; in der Academie, einem höfischen Institut, wird
decretirt, was schön ist und anständig, man kann liederlich sein, aber die Etiquette
darf man nicht verletzen. Der König hat keine Haare und muß daher eine Perücke
tragen; augenblicklich gehört es zum guten Geschmack, mit fremden Haaren zu
gehen, der Adel macht es dem König nach, das Volk dem Adel. Die Ehre besteht
im Herrendienst. Nur die vornehmste Dame hal das Recht, dem gesalbten Mo¬
narchen das Hemd auszuziehen, ihm die Pantoffeln zu reichen, nur der höchste
Rang berechtigt dazu, am Bediententischchen des Fürsten zu tafeln. Auch die Re¬
ligion hat ihr sichtbares Oberhaupt am Thron; hat der Fürst eine liederliche
Maitresse, so wird Hof. Adel und Volk frivol; steckt er sein Gewissen in den
Strickbeutel einer Bigotteu, so strömt Alles in die Kirche, um sich von Bossuet
erbauen zu lassen, oder in's Feld, um die gesinnungslosen Ketzer, die frechen und
unehrerbietigem Rebellen gegen das höchste Ansehen des Königs, mit Drazonadcn
zu bekehren.

Die Souveränität, d. h. die Idee der Staatseinheit, der Centralisation und
Uniformität — erhebt sich auf den Trümmern der historischen, individuellen Rechts¬
verhältnisse, die das Wesen des mittelalterlichen Staats ausgemacht hatten. Sie


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[0273] Wenn Ludwig die Einwendung der Parlamentsräthe, die Staatsrücksichten u. tgi. dem absoluten Willen des Souveräns entgegensetzen wollten, mit dem berühm¬ ten Ausspruch zurückwies: der Staat bin Ich! so hatte das einen doppelten Sinn. Einmal waren die alten „Staaten", d. h. die Municipien, der Adel und die Parlamente in ihrer Selbstständigkeit durch die früheren Machthaber gebrochen: sie hatten keinen Werth mehr in sich selbst. Sodann floß alle die sittliche Macht, die sich früher an diese Institutionen geheftet hatte, alle Ehre, um den technischen Ausdruck zu gebrauchen, in der Person des Monarchen zusammen. Mau fürchtete ihn nicht nur als den Stärkeren, man glaubte an ihn: darum war er in Wahr¬ heit absolut. Das Recht, die Religion, sie hatten keinen unbedingten Inhalt, sie lagen in der besseren Einsicht oder in der Stimmung des Fürsten. Wie löst Mo- livre in seinem Tartüffe den sittlichen Conflict? Ein guter Mann hat einem Gauner sein Vermögen verschrieben; rechtlich ist das nicht aufzuheben, aber wie hilft sich der Dichter? Ein Polizeibeamter tritt auf und erklärt: Wir haben einen König, dessen Adlerblick in die Tiefen der Herzen dringt; er hat erkannt, daß Du, Tartüffe, ein Galgenvogel bist, Du dagegen, Orgvn, ein gutmüthiger Schwachkopf, der in der besten Absicht den Ruin seiner braven Familie herbeifüh¬ ren würde, das geht nicht; kraft seiner absoluten Machtvollkommenheit hebt er also ein Rechtsverhältniß auf, die böse Gesinnung wird bestraft, die gute belohnt. So machte sich's der Katholicismus leichter, als der protestantische Dichter, dem, wie im Kaufmann von Venedig, das Recht als ein Absolutes gilt; die So- phistik der besseren Einsicht kann eS zwar dnrch seine eignen Widersprüche wider¬ legen, aber es nicht äußerlich brechen. So wie das Recht, so wird auch der gute Geschmack von Hof aus regulirt; in der Academie, einem höfischen Institut, wird decretirt, was schön ist und anständig, man kann liederlich sein, aber die Etiquette darf man nicht verletzen. Der König hat keine Haare und muß daher eine Perücke tragen; augenblicklich gehört es zum guten Geschmack, mit fremden Haaren zu gehen, der Adel macht es dem König nach, das Volk dem Adel. Die Ehre besteht im Herrendienst. Nur die vornehmste Dame hal das Recht, dem gesalbten Mo¬ narchen das Hemd auszuziehen, ihm die Pantoffeln zu reichen, nur der höchste Rang berechtigt dazu, am Bediententischchen des Fürsten zu tafeln. Auch die Re¬ ligion hat ihr sichtbares Oberhaupt am Thron; hat der Fürst eine liederliche Maitresse, so wird Hof. Adel und Volk frivol; steckt er sein Gewissen in den Strickbeutel einer Bigotteu, so strömt Alles in die Kirche, um sich von Bossuet erbauen zu lassen, oder in's Feld, um die gesinnungslosen Ketzer, die frechen und unehrerbietigem Rebellen gegen das höchste Ansehen des Königs, mit Drazonadcn zu bekehren. Die Souveränität, d. h. die Idee der Staatseinheit, der Centralisation und Uniformität — erhebt sich auf den Trümmern der historischen, individuellen Rechts¬ verhältnisse, die das Wesen des mittelalterlichen Staats ausgemacht hatten. Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/273>, abgerufen am 26.06.2024.