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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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I. Volkssouveränität,

Was heißt Souveränität? und was heißt Volk?

Die Souveränität ist ein Begriff der neuen Zeit -- das Wort ist mittelal-
terlich, aber damals hatte es eine andere Bedeutung. Wem ich gewisse Dienst¬
pflichten schuldete, der war mein Souverain, dieser konnte wieder einen andern
haben und so fort, es war überall nur ein relatives Verhältniß, kein absolutes.
Zudem war uoch immer die Kirche da, die von Zeit zu Zeit auch deu mächtigsten
Souverän fühlen ließ, daß da droben noch Einer sei, dem er schon hienieden
auf eine zuweilen höchst verdrießliche Weise Rechenschaft abzulegen habe. Die
Reformation hob diese Beschränkung auf, sie gab der "Obrigkeit" das Schwert in
die Hände, im Namen Gottes die Welt in Ordnung zu halten. Dem lieben
Gott war darau gelegen, daß Gerechtigkeit ans Erden gehandhabt werde, und zu
diesem Zweck hatte er die Obrigkeit eingesetzt und ihr Gewalt gegeben; sie war
sein Amtmann, nur ihm verantwortlich, nicht den Unterthanen. Der eigentliche
Souverän war der Vater im Himmel, aber das Verhältniß seiner Stellvertreter
zu ihm war eine Privatsache, auf Erden war officiell die Obrigkeit die letzte In¬
stanz. Die Menschen waren nicht um ihrer selbst willen, sondern um des Reiches
Gottes willen in dieses Jammerthal gesetzt. Diese Gerechtigkeit Gottes machte
Galgen, Gefängnisse, Staupbesen u. tgi. nöthig, und um diese zu arrangiren,
bedürfte es einer Obrigkeit. So faßte Heinrich VIII. die Sache ans, der einzige
Fürst, der nach dieser Seite hin die Prinzipien der Reformation consequent
durchbildete.

Aber es lag zugleich in der Reformation etwas Aufsässiges: die Freiheit der
Gewissen. Der Unterthan mußte sich zwar von seiner von Gott eingesetzten Obrig¬
keit schinden , hängen, an den Pranger stellen lassen u. s. w., er durfte ihr keinen
Widerstand entgegensetzen, aber folgen durfte er ihr auch nur so weit, als es
sei" Gewissen erlaubte. Die passive Untertänigkeit hatte die Reformation aus
die Spitze getrieben, aber gegen die Activität des Herrendienstes legte sie sehr
eifrig Protest ein.

Die alte Kirche fand sich veranlaßt, ihrerseits mit den Mächtigen der Erde
zu verhandeln, um sich gegen die Neuerer zu sichern. Da sie nun auch die Macht
über die Gewissen hatte, so wollte es von ihrer Seite viel mehr sagen, wenn sie
den Königen eine ähnliche Souveränität zusprach, wie sie in der Theorie des Pro-
testantismus begründet war. Der Souverän war aber nicht mehr blos der Popanz,
mit dem man die Kinder zu Bett jagt, sondern der Urquell alles Guten und
Edlen, zu dem man mit Andacht und Sehnsucht hinausblickte. In katholischen
Ländern - namentlich Frankreich und Spanien -- ist die Souveränetät des Kö¬
nigs und damit der absolute Staat zu seinem Recht gekommen. Sie fand in
Ludwig XIV. ihren reinsten Ausdruck.


I. Volkssouveränität,

Was heißt Souveränität? und was heißt Volk?

Die Souveränität ist ein Begriff der neuen Zeit -- das Wort ist mittelal-
terlich, aber damals hatte es eine andere Bedeutung. Wem ich gewisse Dienst¬
pflichten schuldete, der war mein Souverain, dieser konnte wieder einen andern
haben und so fort, es war überall nur ein relatives Verhältniß, kein absolutes.
Zudem war uoch immer die Kirche da, die von Zeit zu Zeit auch deu mächtigsten
Souverän fühlen ließ, daß da droben noch Einer sei, dem er schon hienieden
auf eine zuweilen höchst verdrießliche Weise Rechenschaft abzulegen habe. Die
Reformation hob diese Beschränkung auf, sie gab der „Obrigkeit" das Schwert in
die Hände, im Namen Gottes die Welt in Ordnung zu halten. Dem lieben
Gott war darau gelegen, daß Gerechtigkeit ans Erden gehandhabt werde, und zu
diesem Zweck hatte er die Obrigkeit eingesetzt und ihr Gewalt gegeben; sie war
sein Amtmann, nur ihm verantwortlich, nicht den Unterthanen. Der eigentliche
Souverän war der Vater im Himmel, aber das Verhältniß seiner Stellvertreter
zu ihm war eine Privatsache, auf Erden war officiell die Obrigkeit die letzte In¬
stanz. Die Menschen waren nicht um ihrer selbst willen, sondern um des Reiches
Gottes willen in dieses Jammerthal gesetzt. Diese Gerechtigkeit Gottes machte
Galgen, Gefängnisse, Staupbesen u. tgi. nöthig, und um diese zu arrangiren,
bedürfte es einer Obrigkeit. So faßte Heinrich VIII. die Sache ans, der einzige
Fürst, der nach dieser Seite hin die Prinzipien der Reformation consequent
durchbildete.

Aber es lag zugleich in der Reformation etwas Aufsässiges: die Freiheit der
Gewissen. Der Unterthan mußte sich zwar von seiner von Gott eingesetzten Obrig¬
keit schinden , hängen, an den Pranger stellen lassen u. s. w., er durfte ihr keinen
Widerstand entgegensetzen, aber folgen durfte er ihr auch nur so weit, als es
sei» Gewissen erlaubte. Die passive Untertänigkeit hatte die Reformation aus
die Spitze getrieben, aber gegen die Activität des Herrendienstes legte sie sehr
eifrig Protest ein.

Die alte Kirche fand sich veranlaßt, ihrerseits mit den Mächtigen der Erde
zu verhandeln, um sich gegen die Neuerer zu sichern. Da sie nun auch die Macht
über die Gewissen hatte, so wollte es von ihrer Seite viel mehr sagen, wenn sie
den Königen eine ähnliche Souveränität zusprach, wie sie in der Theorie des Pro-
testantismus begründet war. Der Souverän war aber nicht mehr blos der Popanz,
mit dem man die Kinder zu Bett jagt, sondern der Urquell alles Guten und
Edlen, zu dem man mit Andacht und Sehnsucht hinausblickte. In katholischen
Ländern - namentlich Frankreich und Spanien — ist die Souveränetät des Kö¬
nigs und damit der absolute Staat zu seinem Recht gekommen. Sie fand in
Ludwig XIV. ihren reinsten Ausdruck.


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[0272] I. Volkssouveränität, Was heißt Souveränität? und was heißt Volk? Die Souveränität ist ein Begriff der neuen Zeit -- das Wort ist mittelal- terlich, aber damals hatte es eine andere Bedeutung. Wem ich gewisse Dienst¬ pflichten schuldete, der war mein Souverain, dieser konnte wieder einen andern haben und so fort, es war überall nur ein relatives Verhältniß, kein absolutes. Zudem war uoch immer die Kirche da, die von Zeit zu Zeit auch deu mächtigsten Souverän fühlen ließ, daß da droben noch Einer sei, dem er schon hienieden auf eine zuweilen höchst verdrießliche Weise Rechenschaft abzulegen habe. Die Reformation hob diese Beschränkung auf, sie gab der „Obrigkeit" das Schwert in die Hände, im Namen Gottes die Welt in Ordnung zu halten. Dem lieben Gott war darau gelegen, daß Gerechtigkeit ans Erden gehandhabt werde, und zu diesem Zweck hatte er die Obrigkeit eingesetzt und ihr Gewalt gegeben; sie war sein Amtmann, nur ihm verantwortlich, nicht den Unterthanen. Der eigentliche Souverän war der Vater im Himmel, aber das Verhältniß seiner Stellvertreter zu ihm war eine Privatsache, auf Erden war officiell die Obrigkeit die letzte In¬ stanz. Die Menschen waren nicht um ihrer selbst willen, sondern um des Reiches Gottes willen in dieses Jammerthal gesetzt. Diese Gerechtigkeit Gottes machte Galgen, Gefängnisse, Staupbesen u. tgi. nöthig, und um diese zu arrangiren, bedürfte es einer Obrigkeit. So faßte Heinrich VIII. die Sache ans, der einzige Fürst, der nach dieser Seite hin die Prinzipien der Reformation consequent durchbildete. Aber es lag zugleich in der Reformation etwas Aufsässiges: die Freiheit der Gewissen. Der Unterthan mußte sich zwar von seiner von Gott eingesetzten Obrig¬ keit schinden , hängen, an den Pranger stellen lassen u. s. w., er durfte ihr keinen Widerstand entgegensetzen, aber folgen durfte er ihr auch nur so weit, als es sei» Gewissen erlaubte. Die passive Untertänigkeit hatte die Reformation aus die Spitze getrieben, aber gegen die Activität des Herrendienstes legte sie sehr eifrig Protest ein. Die alte Kirche fand sich veranlaßt, ihrerseits mit den Mächtigen der Erde zu verhandeln, um sich gegen die Neuerer zu sichern. Da sie nun auch die Macht über die Gewissen hatte, so wollte es von ihrer Seite viel mehr sagen, wenn sie den Königen eine ähnliche Souveränität zusprach, wie sie in der Theorie des Pro- testantismus begründet war. Der Souverän war aber nicht mehr blos der Popanz, mit dem man die Kinder zu Bett jagt, sondern der Urquell alles Guten und Edlen, zu dem man mit Andacht und Sehnsucht hinausblickte. In katholischen Ländern - namentlich Frankreich und Spanien — ist die Souveränetät des Kö¬ nigs und damit der absolute Staat zu seinem Recht gekommen. Sie fand in Ludwig XIV. ihren reinsten Ausdruck.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/272>, abgerufen am 26.06.2024.