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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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CsrrespondenzNachrichten aus 'Hamburg.

Nichts hat in unserm kleinen Staate eine so große Veränderung erlitten, als
unsere periodische Literatur. Während neue, frische, dem Fortschritt nachstrebende Blät>
ter schnell ein großes Publikum gewinnen, siechen die früher beliebten eben so rasch
dahin. Zwar gibt es unter den neuern auch häufig Leichen und sieht fast jedes Se¬
mester neue Zeitschriften entstehen und wieder eingehen; aber solche, in denen ein fri¬
sches Leben sprudelt, dürfen sich eines außerordentlichen Erfolgs gewärtigen. Die früher
gelesensten Volksblätter, z. B. ein "Hamburger Beobachter/' der eine Auslage
von 0000 Exemplaren, und später die "El fand ah n z cien N g." die es schon nach
wenigen Jahren des Bestandes zu einer von 4000 gebracht hatte, verlieren mit jeder
Woche an Theilnehmern und dürsten in Jahr und Tag gar nicht mehr existiren, wenn
ihre Herausgeber nicht etwa gänzlich ihre Tendenz veränderten und sich dazu bequemten,
dem vorherrschenden Geschmack durch Neues und Pikantes in ihren Spalten Opfer dar¬
zubringen. Am schlimmsten sind die rein wissenschaftlichen und belletristischen Blätter
daran, von denen Keiner in dieser Zeit der Aufregung etwas wissen will. Der von
Gutzkow früher begründete, von G. Schirges und Feodor West fortgesetzte "Tele¬
graph," so wie die "Literarischen und kritischen Blätter der Börsen¬
halle," sind entweder schon eingegangen oder gehen nächstens ein; wenigstens sind
sie aus fast allen Lesezirkeln verschwunden. Dagegen findet man ein bereits älteres
Bolksblatt. "der Freischütz" und neben ihm ein ganz neues, "die Reform/' fast
in jedem Hause. Die Herausgeber, Joseph Mendelsohn des "Freischütz" und I. F.
Richter der "Reform," sind strebsame Männer, die den Muth haben, die Gebrechen
unserer Verwaltung und Gesetzgebung schonungslos aufzudecken. Beide Blätter bringen
fast nur Originalaussätze, die ihnen von der hiesigen Intelligenz in Masse zuströmen,
während andere ihre Leser mit solchen Nachrichten abspeisen, die ihre Herausgeber aus
andern Blättern zusammen gelesen, wodurch sie zwar bunt genug werden, aber zugleich
auch farblos. Auf ein festes Abonnement ist für die neuern Volksblätter nicht mehr zu
rechnen. Der Inhalt jeder Nummer wird in den "Nachrichten," unserm Jntelli-
genzblattc. angezeigt und je nachdem er interessant ist. in t> -- 8000 oder nur in so
viel Hunderten von Exemplaren verkauft; von allgemein ansprechenden müssen sogar
mehrere Auflagen veranstaltet werden. Dies wird so lange fortgehen, als die Aufregun¬
gen der Zeit noch fortdauern, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß sich in Zukunft
wieder irgend ein Zeitblatt, gleich der früher so beliebten Hildburghäuser "Dorf-


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CsrrespondenzNachrichten aus 'Hamburg.

Nichts hat in unserm kleinen Staate eine so große Veränderung erlitten, als
unsere periodische Literatur. Während neue, frische, dem Fortschritt nachstrebende Blät>
ter schnell ein großes Publikum gewinnen, siechen die früher beliebten eben so rasch
dahin. Zwar gibt es unter den neuern auch häufig Leichen und sieht fast jedes Se¬
mester neue Zeitschriften entstehen und wieder eingehen; aber solche, in denen ein fri¬
sches Leben sprudelt, dürfen sich eines außerordentlichen Erfolgs gewärtigen. Die früher
gelesensten Volksblätter, z. B. ein „Hamburger Beobachter/' der eine Auslage
von 0000 Exemplaren, und später die „El fand ah n z cien N g." die es schon nach
wenigen Jahren des Bestandes zu einer von 4000 gebracht hatte, verlieren mit jeder
Woche an Theilnehmern und dürsten in Jahr und Tag gar nicht mehr existiren, wenn
ihre Herausgeber nicht etwa gänzlich ihre Tendenz veränderten und sich dazu bequemten,
dem vorherrschenden Geschmack durch Neues und Pikantes in ihren Spalten Opfer dar¬
zubringen. Am schlimmsten sind die rein wissenschaftlichen und belletristischen Blätter
daran, von denen Keiner in dieser Zeit der Aufregung etwas wissen will. Der von
Gutzkow früher begründete, von G. Schirges und Feodor West fortgesetzte „Tele¬
graph," so wie die „Literarischen und kritischen Blätter der Börsen¬
halle," sind entweder schon eingegangen oder gehen nächstens ein; wenigstens sind
sie aus fast allen Lesezirkeln verschwunden. Dagegen findet man ein bereits älteres
Bolksblatt. „der Freischütz" und neben ihm ein ganz neues, „die Reform/' fast
in jedem Hause. Die Herausgeber, Joseph Mendelsohn des „Freischütz" und I. F.
Richter der „Reform," sind strebsame Männer, die den Muth haben, die Gebrechen
unserer Verwaltung und Gesetzgebung schonungslos aufzudecken. Beide Blätter bringen
fast nur Originalaussätze, die ihnen von der hiesigen Intelligenz in Masse zuströmen,
während andere ihre Leser mit solchen Nachrichten abspeisen, die ihre Herausgeber aus
andern Blättern zusammen gelesen, wodurch sie zwar bunt genug werden, aber zugleich
auch farblos. Auf ein festes Abonnement ist für die neuern Volksblätter nicht mehr zu
rechnen. Der Inhalt jeder Nummer wird in den „Nachrichten," unserm Jntelli-
genzblattc. angezeigt und je nachdem er interessant ist. in t> — 8000 oder nur in so
viel Hunderten von Exemplaren verkauft; von allgemein ansprechenden müssen sogar
mehrere Auflagen veranstaltet werden. Dies wird so lange fortgehen, als die Aufregun¬
gen der Zeit noch fortdauern, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß sich in Zukunft
wieder irgend ein Zeitblatt, gleich der früher so beliebten Hildburghäuser „Dorf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/260>, abgerufen am 26.06.2024.