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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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hübsche Buben und ist entsetzlich dick geworden; wenn ich dort vorbeikomme, pflegt
sie mich mit meiner ehemaligen Leidenschaft freundlichst aufzuziehen und fragt,
wann ich zu heirathen denke. In Prag, wohin mich eine Privatangelegenheit un¬
mittelbar vor dem Ausbruche des czechischen Aufstands führte, erfuhr ich, daß
Keiner von meinen ehemaligen czechischen Freunden auf einer Barrikade gestanden
hat. Nur der Expater, den Du einmal im "Dornbusch" sahst, suchte einen
Bauernhäuser gegen Prag zu fuhren und sitzt jetzt auf dem Hradschin in Eisen.
Karl Wallaschek blieb seiner Violine treu und sammelt Dollars in Amerika. Gä¬
berle und Tommitschek, einst die feurigsten Hussiten, sind beim Criminal angestellt
und werden vielleicht über den armen Expater, dessen Worten sie ehemals wie
einem Evangelium lauschten, zu Gericht sitzen müssen. Kluck ist ebenfalls bei der
Empörung betheiligt, nicht als Schuldiger, sondern als Opfer. Er war am drei¬
zehnten Juni ans Besuch bei seinem Schwiegervater, aus ihrem Hause hatten
einige junge Leute geschossen, die czechischen Grenadiere drangen hinein und plün¬
derten in allen Stockwerken, anch beim alten Wallaschek, und als Kluck sie abwehren
wollte, mißhandelten sie ihn mit Flintenkolben. Ich hatte die Genugthuung, seine
Wunden zu verbinden. Er lag in derselben Stube, wo wir einst Libnssa und
Przemysl spielten, der Kanarienvogel ist todt, aber der heilige Florian hängt noch
an der Wand; mit sanfter Miene und in dienen Talar schwebt er in den Lüften
und gießt den löschenden Wasserkrug noch immer ans das brennende Hans herunter.
Mariens Vater erkannte mich nicht und ich winkte meinem Patienten, den alten
Mann nicht durch eine Vorstellungs- oder Versvhnungsscene in Verlegenheit zu
setzen. Wer begegnete mir endlich den Abend, ehe ich Prag verließ, am Altstädter
Brückenthurm? Viala. Er hat sich seit zehn Jahren nicht um ein Haar verändert,
weder im Gesicht noch im Herzen. Kalt und traurig reichte er mir die Hand und
seine erste Bemerkung war, die Schilderhebung der Czechen habe verunglücken
müssen, weil die slavischen Völker noch keine gemeinsame Schriftsprache haben.
Vielleicht entschädigt ihn für diesen Schmerz die Ehre, für den Wiener Reichstag
zum Abgeordneten von S. gewählt zu sein."




hübsche Buben und ist entsetzlich dick geworden; wenn ich dort vorbeikomme, pflegt
sie mich mit meiner ehemaligen Leidenschaft freundlichst aufzuziehen und fragt,
wann ich zu heirathen denke. In Prag, wohin mich eine Privatangelegenheit un¬
mittelbar vor dem Ausbruche des czechischen Aufstands führte, erfuhr ich, daß
Keiner von meinen ehemaligen czechischen Freunden auf einer Barrikade gestanden
hat. Nur der Expater, den Du einmal im „Dornbusch" sahst, suchte einen
Bauernhäuser gegen Prag zu fuhren und sitzt jetzt auf dem Hradschin in Eisen.
Karl Wallaschek blieb seiner Violine treu und sammelt Dollars in Amerika. Gä¬
berle und Tommitschek, einst die feurigsten Hussiten, sind beim Criminal angestellt
und werden vielleicht über den armen Expater, dessen Worten sie ehemals wie
einem Evangelium lauschten, zu Gericht sitzen müssen. Kluck ist ebenfalls bei der
Empörung betheiligt, nicht als Schuldiger, sondern als Opfer. Er war am drei¬
zehnten Juni ans Besuch bei seinem Schwiegervater, aus ihrem Hause hatten
einige junge Leute geschossen, die czechischen Grenadiere drangen hinein und plün¬
derten in allen Stockwerken, anch beim alten Wallaschek, und als Kluck sie abwehren
wollte, mißhandelten sie ihn mit Flintenkolben. Ich hatte die Genugthuung, seine
Wunden zu verbinden. Er lag in derselben Stube, wo wir einst Libnssa und
Przemysl spielten, der Kanarienvogel ist todt, aber der heilige Florian hängt noch
an der Wand; mit sanfter Miene und in dienen Talar schwebt er in den Lüften
und gießt den löschenden Wasserkrug noch immer ans das brennende Hans herunter.
Mariens Vater erkannte mich nicht und ich winkte meinem Patienten, den alten
Mann nicht durch eine Vorstellungs- oder Versvhnungsscene in Verlegenheit zu
setzen. Wer begegnete mir endlich den Abend, ehe ich Prag verließ, am Altstädter
Brückenthurm? Viala. Er hat sich seit zehn Jahren nicht um ein Haar verändert,
weder im Gesicht noch im Herzen. Kalt und traurig reichte er mir die Hand und
seine erste Bemerkung war, die Schilderhebung der Czechen habe verunglücken
müssen, weil die slavischen Völker noch keine gemeinsame Schriftsprache haben.
Vielleicht entschädigt ihn für diesen Schmerz die Ehre, für den Wiener Reichstag
zum Abgeordneten von S. gewählt zu sein."




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[0259] hübsche Buben und ist entsetzlich dick geworden; wenn ich dort vorbeikomme, pflegt sie mich mit meiner ehemaligen Leidenschaft freundlichst aufzuziehen und fragt, wann ich zu heirathen denke. In Prag, wohin mich eine Privatangelegenheit un¬ mittelbar vor dem Ausbruche des czechischen Aufstands führte, erfuhr ich, daß Keiner von meinen ehemaligen czechischen Freunden auf einer Barrikade gestanden hat. Nur der Expater, den Du einmal im „Dornbusch" sahst, suchte einen Bauernhäuser gegen Prag zu fuhren und sitzt jetzt auf dem Hradschin in Eisen. Karl Wallaschek blieb seiner Violine treu und sammelt Dollars in Amerika. Gä¬ berle und Tommitschek, einst die feurigsten Hussiten, sind beim Criminal angestellt und werden vielleicht über den armen Expater, dessen Worten sie ehemals wie einem Evangelium lauschten, zu Gericht sitzen müssen. Kluck ist ebenfalls bei der Empörung betheiligt, nicht als Schuldiger, sondern als Opfer. Er war am drei¬ zehnten Juni ans Besuch bei seinem Schwiegervater, aus ihrem Hause hatten einige junge Leute geschossen, die czechischen Grenadiere drangen hinein und plün¬ derten in allen Stockwerken, anch beim alten Wallaschek, und als Kluck sie abwehren wollte, mißhandelten sie ihn mit Flintenkolben. Ich hatte die Genugthuung, seine Wunden zu verbinden. Er lag in derselben Stube, wo wir einst Libnssa und Przemysl spielten, der Kanarienvogel ist todt, aber der heilige Florian hängt noch an der Wand; mit sanfter Miene und in dienen Talar schwebt er in den Lüften und gießt den löschenden Wasserkrug noch immer ans das brennende Hans herunter. Mariens Vater erkannte mich nicht und ich winkte meinem Patienten, den alten Mann nicht durch eine Vorstellungs- oder Versvhnungsscene in Verlegenheit zu setzen. Wer begegnete mir endlich den Abend, ehe ich Prag verließ, am Altstädter Brückenthurm? Viala. Er hat sich seit zehn Jahren nicht um ein Haar verändert, weder im Gesicht noch im Herzen. Kalt und traurig reichte er mir die Hand und seine erste Bemerkung war, die Schilderhebung der Czechen habe verunglücken müssen, weil die slavischen Völker noch keine gemeinsame Schriftsprache haben. Vielleicht entschädigt ihn für diesen Schmerz die Ehre, für den Wiener Reichstag zum Abgeordneten von S. gewählt zu sein."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/259>, abgerufen am 26.06.2024.