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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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kunst über sein Schicksal zu erhalten. Nachdem der Zauber der czechischen Lieb¬
schaft gestört und allmälig geschwunden war, litt es ihn nicht länger in
Prag. Er fand die geistige Atmosphäre dumpf, den Gesichtskreis seiner czechischen
Genossen bornirt, ihre Träume armselig und wüst; ja er überwarf sich mit ihnen,
je mehr der Haß gegen alles Deutsche bei ihnen zum Dogma wurde. Aber sein
revolutionärer Instinkt verleidete ihm auch Wien und so schlich er, wie Manche
seines Gleichen, an einem nebligen Morgen über die Grenze und machte einige
Jahre lang die Schule der Verbannung und des Kosmopolitismus durch. Auch
er schleppte schwer an dem Fluch der östreichischen Erziehung, die in bessern Ge¬
müthern den Haß der Tyrannei weckt, aber anch den Blick abstumpft für die
vorhandenen und sichern Pfade zur Freiheit. Er erlebte das Gluck, aus den
meisten Schweizer Cantonen und einmal auch aus Frankreich verwiesen zu wer¬
den, aber nachdem die kosmopolitischen Geheimgesellschaften, in denen er eine
unschuldige Rolle spielte, die langersehnte Explosion nicht hervorbringen konnten,
gab er die Freiheit Deutschlands und Europas verloren und beschloß ins Kloster,
d. h. wieder nach Oestreich zu gehen, wo ein Landsmann, den er in der Fremde
kennen gelernt, ihm eine Hofmeistcrstelle bei dem reichen Bankier G. zu verschaffen
versprach. Wie er über die kaiserliche Grenze gegangen war, so wollte er wieder
über die Grenze zurück, aber diesmal wurde er angehalten und da er seinen, der
Polizei bekannten Namen angab, unter Begleitung nach Prag geschickt. Leider
hatte er sich keinen schallenden Namen in der Welt errungen, sonst wäre er mit
Schonung, ja mit Artigkeit und Großmuth behandelt worden, obscure Revolutio¬
närs aber pflegte Altöstrcich in aller Stille wie Fliegen an die Wand zu quetschen.
Unglücklicher Weise war auch der Bankier, dessen Verwendung er im Nothfall an¬
rufen wollte, bankbrüchig und flüchtig geworden. So saß er denn zwei Monate
unter Dieben und Landstreichern eingesperrt, bis er vor einen wirklichen Hofrath
geführt wurde, welcher ihn eine Viertelstunde stehen ließ, unter allerhand Papieren
kramte und ihn dann plötzlich anfuhr: Was wollen Sie in Oestreich? Mit welchen
Gesinnungen sind Sie denn heimgekehrt? -- Holweg's ganzer Stolz ermannte sich
bei dieser inquisitorischen Frage und ehrlich, wie er war, entgegnete er - Wenn
es mir erlaubt ist, Gesinnungen zu haben, Herr Hofrath, so gestatten Sie mir
auch die Bemerkung, daß ich dieselben nicht ändern kann. Ich könnte sie nur ver¬
leugnen und was hätten Sie davon? Ein mächtiger Staat, wie Oestreich, fürchtet
sich wohl nicht vor den Ansichten eines einzelnen Menschen! -- Wissen Sie, mit
wem Sie reden? Wissen Sie, wo Sie sind? donnerte der gestrenge Richter. --
I" Oestreich und in Ihrer Gewalt, Herr Hofrath, aber was nützt das? Es
wäre eine Lüge von mir zu behaupten, daß ich die hiesige Staatsordnung liebe
oder bewundere, Sie würden mir's auch nicht glauben. Ich denke, ganz wie sonst,
allein ich bin bescheidener geworden und habe meine Ohnmacht fühlen gelernt,
deshalb füge und unterwerfe ich mich. Was Millionen Menschen nicht anders


kunst über sein Schicksal zu erhalten. Nachdem der Zauber der czechischen Lieb¬
schaft gestört und allmälig geschwunden war, litt es ihn nicht länger in
Prag. Er fand die geistige Atmosphäre dumpf, den Gesichtskreis seiner czechischen
Genossen bornirt, ihre Träume armselig und wüst; ja er überwarf sich mit ihnen,
je mehr der Haß gegen alles Deutsche bei ihnen zum Dogma wurde. Aber sein
revolutionärer Instinkt verleidete ihm auch Wien und so schlich er, wie Manche
seines Gleichen, an einem nebligen Morgen über die Grenze und machte einige
Jahre lang die Schule der Verbannung und des Kosmopolitismus durch. Auch
er schleppte schwer an dem Fluch der östreichischen Erziehung, die in bessern Ge¬
müthern den Haß der Tyrannei weckt, aber anch den Blick abstumpft für die
vorhandenen und sichern Pfade zur Freiheit. Er erlebte das Gluck, aus den
meisten Schweizer Cantonen und einmal auch aus Frankreich verwiesen zu wer¬
den, aber nachdem die kosmopolitischen Geheimgesellschaften, in denen er eine
unschuldige Rolle spielte, die langersehnte Explosion nicht hervorbringen konnten,
gab er die Freiheit Deutschlands und Europas verloren und beschloß ins Kloster,
d. h. wieder nach Oestreich zu gehen, wo ein Landsmann, den er in der Fremde
kennen gelernt, ihm eine Hofmeistcrstelle bei dem reichen Bankier G. zu verschaffen
versprach. Wie er über die kaiserliche Grenze gegangen war, so wollte er wieder
über die Grenze zurück, aber diesmal wurde er angehalten und da er seinen, der
Polizei bekannten Namen angab, unter Begleitung nach Prag geschickt. Leider
hatte er sich keinen schallenden Namen in der Welt errungen, sonst wäre er mit
Schonung, ja mit Artigkeit und Großmuth behandelt worden, obscure Revolutio¬
närs aber pflegte Altöstrcich in aller Stille wie Fliegen an die Wand zu quetschen.
Unglücklicher Weise war auch der Bankier, dessen Verwendung er im Nothfall an¬
rufen wollte, bankbrüchig und flüchtig geworden. So saß er denn zwei Monate
unter Dieben und Landstreichern eingesperrt, bis er vor einen wirklichen Hofrath
geführt wurde, welcher ihn eine Viertelstunde stehen ließ, unter allerhand Papieren
kramte und ihn dann plötzlich anfuhr: Was wollen Sie in Oestreich? Mit welchen
Gesinnungen sind Sie denn heimgekehrt? — Holweg's ganzer Stolz ermannte sich
bei dieser inquisitorischen Frage und ehrlich, wie er war, entgegnete er - Wenn
es mir erlaubt ist, Gesinnungen zu haben, Herr Hofrath, so gestatten Sie mir
auch die Bemerkung, daß ich dieselben nicht ändern kann. Ich könnte sie nur ver¬
leugnen und was hätten Sie davon? Ein mächtiger Staat, wie Oestreich, fürchtet
sich wohl nicht vor den Ansichten eines einzelnen Menschen! — Wissen Sie, mit
wem Sie reden? Wissen Sie, wo Sie sind? donnerte der gestrenge Richter. —
I" Oestreich und in Ihrer Gewalt, Herr Hofrath, aber was nützt das? Es
wäre eine Lüge von mir zu behaupten, daß ich die hiesige Staatsordnung liebe
oder bewundere, Sie würden mir's auch nicht glauben. Ich denke, ganz wie sonst,
allein ich bin bescheidener geworden und habe meine Ohnmacht fühlen gelernt,
deshalb füge und unterwerfe ich mich. Was Millionen Menschen nicht anders


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[0257] kunst über sein Schicksal zu erhalten. Nachdem der Zauber der czechischen Lieb¬ schaft gestört und allmälig geschwunden war, litt es ihn nicht länger in Prag. Er fand die geistige Atmosphäre dumpf, den Gesichtskreis seiner czechischen Genossen bornirt, ihre Träume armselig und wüst; ja er überwarf sich mit ihnen, je mehr der Haß gegen alles Deutsche bei ihnen zum Dogma wurde. Aber sein revolutionärer Instinkt verleidete ihm auch Wien und so schlich er, wie Manche seines Gleichen, an einem nebligen Morgen über die Grenze und machte einige Jahre lang die Schule der Verbannung und des Kosmopolitismus durch. Auch er schleppte schwer an dem Fluch der östreichischen Erziehung, die in bessern Ge¬ müthern den Haß der Tyrannei weckt, aber anch den Blick abstumpft für die vorhandenen und sichern Pfade zur Freiheit. Er erlebte das Gluck, aus den meisten Schweizer Cantonen und einmal auch aus Frankreich verwiesen zu wer¬ den, aber nachdem die kosmopolitischen Geheimgesellschaften, in denen er eine unschuldige Rolle spielte, die langersehnte Explosion nicht hervorbringen konnten, gab er die Freiheit Deutschlands und Europas verloren und beschloß ins Kloster, d. h. wieder nach Oestreich zu gehen, wo ein Landsmann, den er in der Fremde kennen gelernt, ihm eine Hofmeistcrstelle bei dem reichen Bankier G. zu verschaffen versprach. Wie er über die kaiserliche Grenze gegangen war, so wollte er wieder über die Grenze zurück, aber diesmal wurde er angehalten und da er seinen, der Polizei bekannten Namen angab, unter Begleitung nach Prag geschickt. Leider hatte er sich keinen schallenden Namen in der Welt errungen, sonst wäre er mit Schonung, ja mit Artigkeit und Großmuth behandelt worden, obscure Revolutio¬ närs aber pflegte Altöstrcich in aller Stille wie Fliegen an die Wand zu quetschen. Unglücklicher Weise war auch der Bankier, dessen Verwendung er im Nothfall an¬ rufen wollte, bankbrüchig und flüchtig geworden. So saß er denn zwei Monate unter Dieben und Landstreichern eingesperrt, bis er vor einen wirklichen Hofrath geführt wurde, welcher ihn eine Viertelstunde stehen ließ, unter allerhand Papieren kramte und ihn dann plötzlich anfuhr: Was wollen Sie in Oestreich? Mit welchen Gesinnungen sind Sie denn heimgekehrt? — Holweg's ganzer Stolz ermannte sich bei dieser inquisitorischen Frage und ehrlich, wie er war, entgegnete er - Wenn es mir erlaubt ist, Gesinnungen zu haben, Herr Hofrath, so gestatten Sie mir auch die Bemerkung, daß ich dieselben nicht ändern kann. Ich könnte sie nur ver¬ leugnen und was hätten Sie davon? Ein mächtiger Staat, wie Oestreich, fürchtet sich wohl nicht vor den Ansichten eines einzelnen Menschen! — Wissen Sie, mit wem Sie reden? Wissen Sie, wo Sie sind? donnerte der gestrenge Richter. — I" Oestreich und in Ihrer Gewalt, Herr Hofrath, aber was nützt das? Es wäre eine Lüge von mir zu behaupten, daß ich die hiesige Staatsordnung liebe oder bewundere, Sie würden mir's auch nicht glauben. Ich denke, ganz wie sonst, allein ich bin bescheidener geworden und habe meine Ohnmacht fühlen gelernt, deshalb füge und unterwerfe ich mich. Was Millionen Menschen nicht anders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/257>, abgerufen am 26.06.2024.