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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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die silberne Borte ab und band sie Marien mit Gewalt als Diadem um die
Stirn; ein weißer Schleier, halb zurückgeschlagen, und ein rother Shawl, über
die Schulter geworfen, vollendeten die Tracht der Libussa. Holweg mußte als
Przemysl auf ein Knie vor ihr sinken und Marie, anfangs schüchtern, gerieth all-
mälig in's Feuer, aber während sie, nach einer pomphaften poetischen Tirade, die
mit ausgestrecktem rechtem Arm gehalten wird, sich erröthend niederbeugte, um den
glücklichen Przemysl auf die Stirn zu küssen, flog plötzlich die Thür auf und athem-
los vor Zorn stand Vater Wallaschck, im Sonntagsfrack, den dicken Bambus mit
elfenbeinernen Knopf in der Mitte fassend, auf der Schwelle. Den Hut hatte er
auf und mit einem großblumigen Taschentuch wischte er sich den Schweiß vom
breiten Gesicht. Es geht über mein Geschick, die nun folgende Scene mit einigem
Anstand auszumalen. Genug, ich wünschte mich hundert Meilen weit. Als die
arme Panenka auf das: Marsch! ihres Vaters, weinend und das Gesicht in beide
Hände gedrückt, das Zimmer verlassen hatte, wurde mir wohler; das Peinlichste
war überstanden und die Wuth des Alten bekam jetzt, wo sie sich gegen uns
wandte, einen ergötzlichen Anstrich. Der junge Wallaschek stellte sich zwischen seine
Gäste und den Vater, dessen Bambus fortwährend mit beiden Armen parirend.
Holweg war todtenblaß und blieb stumm wie ein überführtcr Verbrecher, während
Viala zu begütigen suchte. Halt's M --l, Du Hungerleider! kreischte der Alte.
Ich ruf' gleich Polizei! Marie ist zu gut, um böhmische Theaterprinzcß zu sein.
Lieber Gassen kehren. Hab' ich Dich für mein schweres Geld lernen lassen und
in Schulen geschickt und jetzt kommt so'n dummer Njemetz und setzt euch neumo¬
dische böhmakische Floh' in's Ohr, wo Nichts dabei herausschaue, - der deutsche
Nixnntz! Und so ging es fort, bis wir unsern Rückzug glücklich bewerkstelligt
hatten. Mein Freund warf noch einen Blick auf das Haus, dessen Schwelle er
nicht mehr betreten sollte, und da ein Unglück niemals allein kommt, so fand er
in seiner Wohnung einen schwarz gesiegelten Brief vor. Ein weitläuftiger Ver¬
wandter zeigte darin Holweg an, daß sein Vater nach einem Gelage beim Dechant
in H. vom Schlag gerührt wordeu sei und viele Schulden hinterlassen habe. Am
andern Morgen kam der junge Wallaschek aus seine Stube und erzählte ihm trau¬
rig, daß Marie mit Wenzel Kluck, der sie in einer Britschta abgeholt, auf's
Land zur Comtesse Charlotte als deren Gesellschafterin, eigentlich Stubenmädchen,
gekommen sei. Es machte nur einen schwachen Eindruck auf meinen Freund, der
im Stillen zu denken anfing, daß Mariens Vater, abgesehen von seiner Grob¬
heit, nicht ganz Unrecht habe, weil bei ihrer stummen Liebe wirtlich "Nichts her¬
ausgeschaut hätte", aber das Band, welches ihm Marie zum Andenken schickte,
bewahrte er sorgsam auf.




Bis vor Kurzem war Holweg für mich verschollen und nnr nach vielfachen
Anfragen bei hundert Bekannten aus der Periode von 1838 gelang es mir, Aus-


die silberne Borte ab und band sie Marien mit Gewalt als Diadem um die
Stirn; ein weißer Schleier, halb zurückgeschlagen, und ein rother Shawl, über
die Schulter geworfen, vollendeten die Tracht der Libussa. Holweg mußte als
Przemysl auf ein Knie vor ihr sinken und Marie, anfangs schüchtern, gerieth all-
mälig in's Feuer, aber während sie, nach einer pomphaften poetischen Tirade, die
mit ausgestrecktem rechtem Arm gehalten wird, sich erröthend niederbeugte, um den
glücklichen Przemysl auf die Stirn zu küssen, flog plötzlich die Thür auf und athem-
los vor Zorn stand Vater Wallaschck, im Sonntagsfrack, den dicken Bambus mit
elfenbeinernen Knopf in der Mitte fassend, auf der Schwelle. Den Hut hatte er
auf und mit einem großblumigen Taschentuch wischte er sich den Schweiß vom
breiten Gesicht. Es geht über mein Geschick, die nun folgende Scene mit einigem
Anstand auszumalen. Genug, ich wünschte mich hundert Meilen weit. Als die
arme Panenka auf das: Marsch! ihres Vaters, weinend und das Gesicht in beide
Hände gedrückt, das Zimmer verlassen hatte, wurde mir wohler; das Peinlichste
war überstanden und die Wuth des Alten bekam jetzt, wo sie sich gegen uns
wandte, einen ergötzlichen Anstrich. Der junge Wallaschek stellte sich zwischen seine
Gäste und den Vater, dessen Bambus fortwährend mit beiden Armen parirend.
Holweg war todtenblaß und blieb stumm wie ein überführtcr Verbrecher, während
Viala zu begütigen suchte. Halt's M —l, Du Hungerleider! kreischte der Alte.
Ich ruf' gleich Polizei! Marie ist zu gut, um böhmische Theaterprinzcß zu sein.
Lieber Gassen kehren. Hab' ich Dich für mein schweres Geld lernen lassen und
in Schulen geschickt und jetzt kommt so'n dummer Njemetz und setzt euch neumo¬
dische böhmakische Floh' in's Ohr, wo Nichts dabei herausschaue, - der deutsche
Nixnntz! Und so ging es fort, bis wir unsern Rückzug glücklich bewerkstelligt
hatten. Mein Freund warf noch einen Blick auf das Haus, dessen Schwelle er
nicht mehr betreten sollte, und da ein Unglück niemals allein kommt, so fand er
in seiner Wohnung einen schwarz gesiegelten Brief vor. Ein weitläuftiger Ver¬
wandter zeigte darin Holweg an, daß sein Vater nach einem Gelage beim Dechant
in H. vom Schlag gerührt wordeu sei und viele Schulden hinterlassen habe. Am
andern Morgen kam der junge Wallaschek aus seine Stube und erzählte ihm trau¬
rig, daß Marie mit Wenzel Kluck, der sie in einer Britschta abgeholt, auf's
Land zur Comtesse Charlotte als deren Gesellschafterin, eigentlich Stubenmädchen,
gekommen sei. Es machte nur einen schwachen Eindruck auf meinen Freund, der
im Stillen zu denken anfing, daß Mariens Vater, abgesehen von seiner Grob¬
heit, nicht ganz Unrecht habe, weil bei ihrer stummen Liebe wirtlich „Nichts her¬
ausgeschaut hätte", aber das Band, welches ihm Marie zum Andenken schickte,
bewahrte er sorgsam auf.




Bis vor Kurzem war Holweg für mich verschollen und nnr nach vielfachen
Anfragen bei hundert Bekannten aus der Periode von 1838 gelang es mir, Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/256>, abgerufen am 26.06.2024.