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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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uns Marie entgegen und bedauerte gegen mich, daß der Vater mit einigen Freun¬
den nach dem Baumgarten gegangen sei. Ein Gemisch von Beklemmung und oft
plötzlich hervorbrechender Heiterkeit zeigte sich in ihrem Wesen. Nach dem Kaffee
wurde musizirt. Erst mußte Viala Reydowak spielen, wozu mein Freund mit seiner
Marie sich drehte, während der lustige Karl mich zweimal durch die Stube schleifte;
dann sang Marie, Holweg begleitete sie auf dem Clavier, Karl und Viala auf
der Violine und der Kanarienvogel, der unter dem heiligen Florian hing, zwit¬
scherte dazwischen. Ich lehnte in der Fensternische, die Aussicht über Strom und
Brücke bewundernd, auch dann und wann einen Blick auf die Sängerin wer¬
fend, die im einfachen dunklen Hauskleide am Flügel stand nud sich, während
der Pausen, lächelnd nach mir umsah, als erwartete sie mein Beifallklatschen.
Endlich warf sie die Noten weg und, indem sie mir die Fingerspitzen treuherzig
auf die Schulter legte, sagte sie mit mitleidiger Stimme: Nicht wahr, Sie sind
traurig, weil Sie vou Prag fortmüssen? -- Von Müssen ist keine Rede, sagte
Holweg; er will ja nicht bei uns bleiben. Und damit zog er Marie in die Fenster¬
nische. Siehst Du dort links den grauen Felsen, den Wyssehrad? Unlängst träumte
mir, die Burg sei wieder aufgebaut nud wir wohnten allzusammen oben. Marie
aber ging mit einem goldenen Diadem auf der Stirn durch den Burghof. --
Und einem großen Schlüsselbund an der Seite, lachte Marie, auf ihren Gürtel
schlagend. -- Wirklich, fuhr Holweg fort, ich kann mir die Libussa nicht
anders denken als so, indem er Marie auf Armeslänge von sich hielt. --
Ein schönes Compliment, das Du meiner Schwester machst, rief der junge Walla¬
scheck. Weißt Du nicht, daß Libussa ihre Liebhaber vom Felsen in's Wasser
stürzte? -- Das sind Sagen, die man nicht buchstäblich nehmen muß, entgegnete
Viala und ließ sich in weitläuftige Commentare zur Chronik von Hayeck ein. --
Recht so, Herr Viala, sagte Marie. Ich verstehe zwar nicht alles Das, aber
gewiß ist die arme Libussa nicht so grausam gewesen, wie die schlimmen Leute er¬
zählen, nud -- mit naiver Freude zu mir gewandt -- bin ich auch schon als
Libussa aufgetreten, aber nur einmal auf'in Liebhabertheater, bei Herrn v. F.,
müssen'6 nicht weiter sagen. -- Es gab nämlich damals, wo man sich mit der
Idee trug, ein besonderes czechisches Schauspielhaus zu bauen, Patrioten, die in
ihren Häusern dergleichen Vorschulen errichteten und sogar vieles Geld auf glän¬
zende Decorationen und Costume verwandten. -- Ach, rief der junge Wallaschck, in
die Hände klatschend, da fällt mir was ein. Ihr müßt uns die Scene vorspielen,
aus dem Stück von Hromcck, wo die Fürstin den Przemysl zu sich erhebt. Keine
Ausrede, Ihr kennt's noch auswendig. Holweg wurde verlegen, Marie sträubte
sich uoch ",ehr, aber ihr Bruder, übermüthig wie ein Fohlen, ließ sich nicht hal¬
ten und sing an seine Schwester zu drapiren. Auch Viala redete ihr zu und
meinte, ich würde einen Begriff bekommen, wie schön gut declamirte czechische
Verse klingen. Von einem alten Amtshut seines Vaters trennte Wallaschck rasch


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uns Marie entgegen und bedauerte gegen mich, daß der Vater mit einigen Freun¬
den nach dem Baumgarten gegangen sei. Ein Gemisch von Beklemmung und oft
plötzlich hervorbrechender Heiterkeit zeigte sich in ihrem Wesen. Nach dem Kaffee
wurde musizirt. Erst mußte Viala Reydowak spielen, wozu mein Freund mit seiner
Marie sich drehte, während der lustige Karl mich zweimal durch die Stube schleifte;
dann sang Marie, Holweg begleitete sie auf dem Clavier, Karl und Viala auf
der Violine und der Kanarienvogel, der unter dem heiligen Florian hing, zwit¬
scherte dazwischen. Ich lehnte in der Fensternische, die Aussicht über Strom und
Brücke bewundernd, auch dann und wann einen Blick auf die Sängerin wer¬
fend, die im einfachen dunklen Hauskleide am Flügel stand nud sich, während
der Pausen, lächelnd nach mir umsah, als erwartete sie mein Beifallklatschen.
Endlich warf sie die Noten weg und, indem sie mir die Fingerspitzen treuherzig
auf die Schulter legte, sagte sie mit mitleidiger Stimme: Nicht wahr, Sie sind
traurig, weil Sie vou Prag fortmüssen? — Von Müssen ist keine Rede, sagte
Holweg; er will ja nicht bei uns bleiben. Und damit zog er Marie in die Fenster¬
nische. Siehst Du dort links den grauen Felsen, den Wyssehrad? Unlängst träumte
mir, die Burg sei wieder aufgebaut nud wir wohnten allzusammen oben. Marie
aber ging mit einem goldenen Diadem auf der Stirn durch den Burghof. —
Und einem großen Schlüsselbund an der Seite, lachte Marie, auf ihren Gürtel
schlagend. — Wirklich, fuhr Holweg fort, ich kann mir die Libussa nicht
anders denken als so, indem er Marie auf Armeslänge von sich hielt. —
Ein schönes Compliment, das Du meiner Schwester machst, rief der junge Walla¬
scheck. Weißt Du nicht, daß Libussa ihre Liebhaber vom Felsen in's Wasser
stürzte? — Das sind Sagen, die man nicht buchstäblich nehmen muß, entgegnete
Viala und ließ sich in weitläuftige Commentare zur Chronik von Hayeck ein. —
Recht so, Herr Viala, sagte Marie. Ich verstehe zwar nicht alles Das, aber
gewiß ist die arme Libussa nicht so grausam gewesen, wie die schlimmen Leute er¬
zählen, nud — mit naiver Freude zu mir gewandt — bin ich auch schon als
Libussa aufgetreten, aber nur einmal auf'in Liebhabertheater, bei Herrn v. F.,
müssen'6 nicht weiter sagen. — Es gab nämlich damals, wo man sich mit der
Idee trug, ein besonderes czechisches Schauspielhaus zu bauen, Patrioten, die in
ihren Häusern dergleichen Vorschulen errichteten und sogar vieles Geld auf glän¬
zende Decorationen und Costume verwandten. — Ach, rief der junge Wallaschck, in
die Hände klatschend, da fällt mir was ein. Ihr müßt uns die Scene vorspielen,
aus dem Stück von Hromcck, wo die Fürstin den Przemysl zu sich erhebt. Keine
Ausrede, Ihr kennt's noch auswendig. Holweg wurde verlegen, Marie sträubte
sich uoch »,ehr, aber ihr Bruder, übermüthig wie ein Fohlen, ließ sich nicht hal¬
ten und sing an seine Schwester zu drapiren. Auch Viala redete ihr zu und
meinte, ich würde einen Begriff bekommen, wie schön gut declamirte czechische
Verse klingen. Von einem alten Amtshut seines Vaters trennte Wallaschck rasch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/255>, abgerufen am 26.06.2024.