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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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scheinungen, die sie hervorruft; seht nach Polen und Irland, oder Italien und
Deutschland. Auch das Glauben und Hoffen der Menschen kommt vor ihren
Richterstuhl; "weltenschwangere" Systeme, "zukunftschwere" Ideen, an denen sich
ganze Generationen begeistert, werden auf ihrer Wage zu leicht befunden, zerrin¬
nen auf ihrer prüfenden Hand wie Wasserblasen, jeder Tag bringt neue Enttäu¬
schungen, -- doch wohin verirren wir uns? wir Haben's ja nur mit einer kleinen
Liebesgeschichte zu thun, nicht mit der Geschichte des Jahres 1848 und meine
Leser wollen vor Allem wissen, was aus Marie und Holweg geworden ist.

Ein Viertelstündchen hatte ich neben Panenka Marie im Kahn gesessen, als
die Eindrücke des "Dornbusches" bei mir gänzlich verwischt waren. Sie hatte
Hut und Schleier abgelegt und schützte sich vor der Sonne mit der weißen Hand,
doch fiel zwischen den rosenroth glühenden Fingern ein Strahl vergoldend ans ihr
Haar, das in's Blonde spielte; sonst zeigte das feingeschnittene ovale Gesicht
mit den sprühend dunklen, tiefliegenden Augen und den vollen blassen Wangen
den echten Typus czechischer Schönheit; auch in Gang und Geberde der schlanken
Gestalt verrieth sich jener unschuldige Muthwille, der jungen böhmischen Mädchen
eigen ist. Ihr Bruder Karl und Holweg ruderten und schaukelten auch abwechselnd,
um das arme Kind zu erschrecken, weil die Furcht sie doppelt reizend machte; und
wenn sie dann Karl bei allen Heiligen beschwor, vorsichtig zu fahren und mich zu
Hilfe rief, die Andern darauf mit einem lustigen Liedchen antworteten, und sie,
halb lachend, halb weinend, zuletzt in den Gesang einstimmte, wurde sie unwi¬
derstehlich. Ihre weiche Stimme zeigte sich dabei in allen möglichen Modu¬
lationen. Selbst das halbgebrochene Deutsch war in ihrem Munde anziehend
und das Czechische klang von ihren Lippen wie ein Piano. Angenehmer kann
man den Sommerabend in Prag schwerlich verbringen, als wenn man in trau¬
licher Gesellschaft ans dem Rücken der Moldau stromab gleitet oder im Zikzak auf¬
wärts rudert; der kleine Kahn sichert vor der zudringlichen Außenwelt und dabei
schwebt man zwischen zwei pittoresken Städten hin , von wo die vernehmlichen
Stimmen und alle bunten Töne des Straßenlebens mit der Musik von den Inseln
und Ufergärten sich in das Geplätscher der Wellen mischen. Doch wenn die Men¬
schen am glücklichsten sind, legt das Schicksal den Pfeil auf die Senne, und Hol¬
weg hatte keine Ahnung, daß in diesem Augenblick das jüngste Gericht über seine
czechische Liebschaft hereinbrach. Wie jede erste Liebe war auch die seine noch
stumm, nicht mehr als ein stillschweigendes Einverständniß; denn Holweg liebte in
Marie nur die Poesie des Czechenthnms, wie er mir sagte, und sie bewunderte
sein Elavierspiel, sein Gedächtniß sür schöne Verse und sein feuriges Deklamiren.
So hatten ihre Plaudereien vor mir nichts Heimliches und drehten sich mehr um
vierhändige Sonaten und andere ceusurfreie Gegenstände, als um die Hand, die
mit dem Herzen oder auch ohne Herz verschenkt zu werden pflegt. Das Schick¬
sal aber schritt, in Gestalt von Wenzel Klnck, in einem großen Oberrock mit


Brenzbvttn. III. ,"4". zz

scheinungen, die sie hervorruft; seht nach Polen und Irland, oder Italien und
Deutschland. Auch das Glauben und Hoffen der Menschen kommt vor ihren
Richterstuhl; „weltenschwangere" Systeme, „zukunftschwere" Ideen, an denen sich
ganze Generationen begeistert, werden auf ihrer Wage zu leicht befunden, zerrin¬
nen auf ihrer prüfenden Hand wie Wasserblasen, jeder Tag bringt neue Enttäu¬
schungen, — doch wohin verirren wir uns? wir Haben's ja nur mit einer kleinen
Liebesgeschichte zu thun, nicht mit der Geschichte des Jahres 1848 und meine
Leser wollen vor Allem wissen, was aus Marie und Holweg geworden ist.

Ein Viertelstündchen hatte ich neben Panenka Marie im Kahn gesessen, als
die Eindrücke des „Dornbusches" bei mir gänzlich verwischt waren. Sie hatte
Hut und Schleier abgelegt und schützte sich vor der Sonne mit der weißen Hand,
doch fiel zwischen den rosenroth glühenden Fingern ein Strahl vergoldend ans ihr
Haar, das in's Blonde spielte; sonst zeigte das feingeschnittene ovale Gesicht
mit den sprühend dunklen, tiefliegenden Augen und den vollen blassen Wangen
den echten Typus czechischer Schönheit; auch in Gang und Geberde der schlanken
Gestalt verrieth sich jener unschuldige Muthwille, der jungen böhmischen Mädchen
eigen ist. Ihr Bruder Karl und Holweg ruderten und schaukelten auch abwechselnd,
um das arme Kind zu erschrecken, weil die Furcht sie doppelt reizend machte; und
wenn sie dann Karl bei allen Heiligen beschwor, vorsichtig zu fahren und mich zu
Hilfe rief, die Andern darauf mit einem lustigen Liedchen antworteten, und sie,
halb lachend, halb weinend, zuletzt in den Gesang einstimmte, wurde sie unwi¬
derstehlich. Ihre weiche Stimme zeigte sich dabei in allen möglichen Modu¬
lationen. Selbst das halbgebrochene Deutsch war in ihrem Munde anziehend
und das Czechische klang von ihren Lippen wie ein Piano. Angenehmer kann
man den Sommerabend in Prag schwerlich verbringen, als wenn man in trau¬
licher Gesellschaft ans dem Rücken der Moldau stromab gleitet oder im Zikzak auf¬
wärts rudert; der kleine Kahn sichert vor der zudringlichen Außenwelt und dabei
schwebt man zwischen zwei pittoresken Städten hin , von wo die vernehmlichen
Stimmen und alle bunten Töne des Straßenlebens mit der Musik von den Inseln
und Ufergärten sich in das Geplätscher der Wellen mischen. Doch wenn die Men¬
schen am glücklichsten sind, legt das Schicksal den Pfeil auf die Senne, und Hol¬
weg hatte keine Ahnung, daß in diesem Augenblick das jüngste Gericht über seine
czechische Liebschaft hereinbrach. Wie jede erste Liebe war auch die seine noch
stumm, nicht mehr als ein stillschweigendes Einverständniß; denn Holweg liebte in
Marie nur die Poesie des Czechenthnms, wie er mir sagte, und sie bewunderte
sein Elavierspiel, sein Gedächtniß sür schöne Verse und sein feuriges Deklamiren.
So hatten ihre Plaudereien vor mir nichts Heimliches und drehten sich mehr um
vierhändige Sonaten und andere ceusurfreie Gegenstände, als um die Hand, die
mit dem Herzen oder auch ohne Herz verschenkt zu werden pflegt. Das Schick¬
sal aber schritt, in Gestalt von Wenzel Klnck, in einem großen Oberrock mit


Brenzbvttn. III. ,«4». zz
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/253>, abgerufen am 26.06.2024.