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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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selben beilegte, denn er rieth an, sie als das letzte Mittel aufzusparen. Diese
Proclamation und die nun mit aller Macht erfolgten Kriegsrüstungen setzen es
wohl außer Zweifel, daß die leitende Partei den preußischen Schutz unbedingt
aufgegeben hatte und die Unterhandlungen mit dem Ministerium oder dessen Be¬
vollmächtigten nur unterhielt, um Zeit zu gewinnen.

Jetzt erkannten selbst besonnenere Polen die Gefahr, die über dem Lande
schwebte -- man drohte Libell bereits mit dem Strange, da er seine Meinung
aussprach, sie hofften aber, daß eine kräftige Hand noch im Stande sein
würde, die Leiter zu entfernen und den vielen wider ihren Willen bei den polni¬
schen Trupps Befindlichen den Rücktritt möglich zu machen, darum ersehnte man
die baldige Ankunft des General v. Willisen.

Wie derselbe die in ihn gesetzten Hoffnungen täuschte, das zu betrachten möge
künftigen Blättern vorbehalten bleiben.




Erinnerungen aus Ätttöstreich.



i".
Die Liebschaft und ihr Ende*).

Schöner Altstädter Brückenthurm, uuter dessen Thorbogen mir einst Panenka
Marie, eine verkörperte Morgenröthe des Slaventhums, erschien, mich dünkt, du
siehst dir selber kaum gleich und eine schwere Hand ist über dich hinweggegangen.
Dein dunkles, halb übermoostes Gestein ist voll Narben, deine Schnörkel und
alterthümlichen Figuren erzählen vom eisernen Hagel des Krieges. Auch meine
lebenden Freunde von damals, wer weiß, ob sie mein Auge jetzt erkennen wurde.
Wer weiß, ob die Furchen ihrer Stiru uicht vom Staub gemeiner Tagessorge voll
sind, ob sie heute noch zu den seligen Schwärmern gehören wie damals. Jenes
jüngste Gericht Europas, welches die träumende Jugend sich in grauester Ferne
dachte, ist plötzlich, nach einem Jahrzehend schon, hereingebrochen, aber kein Ge¬
richt blos der Volker über die Fürsten ist es, sondern ein Gericht auch über die
Völker, über ihre Götter und Götzen. Die Nemesis der Revolution geht von
Land zu Land und überall tritt sie in anderer Gestalt auf, überall fällt sie ein
anderes Urtheil. Je uach der Kraft und Würde oder der Schwäche und Sünden¬
last der Nationen wechseln die erhabenen, phantastischen oder tragikomischen Er-



*) Siehe No. 2g der Grenzboten.

selben beilegte, denn er rieth an, sie als das letzte Mittel aufzusparen. Diese
Proclamation und die nun mit aller Macht erfolgten Kriegsrüstungen setzen es
wohl außer Zweifel, daß die leitende Partei den preußischen Schutz unbedingt
aufgegeben hatte und die Unterhandlungen mit dem Ministerium oder dessen Be¬
vollmächtigten nur unterhielt, um Zeit zu gewinnen.

Jetzt erkannten selbst besonnenere Polen die Gefahr, die über dem Lande
schwebte — man drohte Libell bereits mit dem Strange, da er seine Meinung
aussprach, sie hofften aber, daß eine kräftige Hand noch im Stande sein
würde, die Leiter zu entfernen und den vielen wider ihren Willen bei den polni¬
schen Trupps Befindlichen den Rücktritt möglich zu machen, darum ersehnte man
die baldige Ankunft des General v. Willisen.

Wie derselbe die in ihn gesetzten Hoffnungen täuschte, das zu betrachten möge
künftigen Blättern vorbehalten bleiben.




Erinnerungen aus Ätttöstreich.



i«.
Die Liebschaft und ihr Ende*).

Schöner Altstädter Brückenthurm, uuter dessen Thorbogen mir einst Panenka
Marie, eine verkörperte Morgenröthe des Slaventhums, erschien, mich dünkt, du
siehst dir selber kaum gleich und eine schwere Hand ist über dich hinweggegangen.
Dein dunkles, halb übermoostes Gestein ist voll Narben, deine Schnörkel und
alterthümlichen Figuren erzählen vom eisernen Hagel des Krieges. Auch meine
lebenden Freunde von damals, wer weiß, ob sie mein Auge jetzt erkennen wurde.
Wer weiß, ob die Furchen ihrer Stiru uicht vom Staub gemeiner Tagessorge voll
sind, ob sie heute noch zu den seligen Schwärmern gehören wie damals. Jenes
jüngste Gericht Europas, welches die träumende Jugend sich in grauester Ferne
dachte, ist plötzlich, nach einem Jahrzehend schon, hereingebrochen, aber kein Ge¬
richt blos der Volker über die Fürsten ist es, sondern ein Gericht auch über die
Völker, über ihre Götter und Götzen. Die Nemesis der Revolution geht von
Land zu Land und überall tritt sie in anderer Gestalt auf, überall fällt sie ein
anderes Urtheil. Je uach der Kraft und Würde oder der Schwäche und Sünden¬
last der Nationen wechseln die erhabenen, phantastischen oder tragikomischen Er-



*) Siehe No. 2g der Grenzboten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/252>, abgerufen am 26.06.2024.