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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Reden nichr fehlte. Doch die Gefangenen trafen nicht an einem Tage ein, das¬
selbe Schauspiel wurde täglich wiederholt, wo eine Steigerung der Exaltation
vorausgesetzt werden konnte, indem am 27. llr. Libell, am 28. Miroslawski ein¬
geholt wurden. Fackeln brannten bei des Letzten? Ankunft vor dem Rathhause
und bengalische Flammen erleuchteten den Markt, als er in wohlgesetztcr feuriger
Rede zum Volke sprach. Am .'!0. wurde" die 50 sogenannten Berliner Studenten,
unter denen jedoch ein Gastwirth seinen unlängst weggejagten Marqueur und die
Polizei einige mehrfach bestrafte Diebe erkannte, von Damen aus den ersten Fa¬
milien feierlich eingeholt, achtzehn Bauerwagen folgten dem Zuge mit dem Gepäcke
der Jünglinge. Auch jetzt schon benutzte man öffentlich den Einfluß der katholi¬
schen Kirche, man veranstaltete am 27. ein feierliches Todtenamt, wie es hieß,
für die auf den Barrikaden Berlins Gefallenen. Freilich lud man das deutsche
Comite- dazu ein, welches der Einladung auch Folge leistete. Freilich wehete
auch auf dem Sarcophage uuter viele" polnischen Fahnen eine deutsche, der Weih¬
bischof selbst celebrirte, aber die Rede des Geistliche" Prnsinowski vermied ge¬
flissentlich die Worte "Preußen", "preußisch" und "Berlin", indem sie mit Begei¬
sterung die junge Freiheit darstellte, welche von Paris aus zu uns gezogen und
den Blick nach Warschau gewendet habe.

Auf solche Weise wurde die Bevölkerung von Tag zu Tage mehr für den
Aufstand gewonnen, da die Behörde" durch Schweige" el" solches Treibe" zu
billigen schienen. Die Proclamationen, in denen man mit Maßregel" drohte, die
man nicht ausführte, wurden mit bewundernswürdiger Schnelligkeit dem Auge des
Publicums entzogen und durch entgegengesetzte Bckanntmachungeu von polnischer
Seite paralysirt. Sah sich doch das deutsche Comik-,- gezwungen seine Bekannt-
machuugeu auf Papptafelu kleben zu lassen, um sie in den Conditoreien und Re¬
staurationen zu erhalten.

Was nun aber die deutscheu Einwohner zu erwarten haben würden, das
zeigten die Anordnungen des polnischen Comitv in den nicht durch die Preuße
scheu Waffen -- wie die Stadt Posen -- geschützten Orten, aus denen die betrü-
bendsten Nachrichten und die Flüchtlinge sich stündlich mehrten.

Borzugsweise erlaubte man sich das unwürdigste Benehmen gegen die jüdische
Bevölkerung. Man hatte anfänglich gehofft, sie der polnische" Sache zu gewinnen.
Schon am 22. richtete das polnische Cvmitv einen Aufruf an "die Brüder Jsrae-
liten", und da dieselbe ohne Erfolg geblieben war, sandte man ihm am 24. eine
zweite Proclamation uach, in welcher es hieß:


"Das volle Bürgerrecht, das unsere Brüder zu Krakau im Jahre 1846 Euch ver¬
liehen, garantiren auch wir unsern Brüdern Israeliten und bitten dieselben in
Gemeinschaft mit uns unsere gemeinsamen Interessen zu unterstützen."

Die Israeliten hatten sich aber von dem erste" Augenblicke an, nicht wie
Manche Christen schwankend, sondern ganz entschieden, deutsch und gut preu-


Reden nichr fehlte. Doch die Gefangenen trafen nicht an einem Tage ein, das¬
selbe Schauspiel wurde täglich wiederholt, wo eine Steigerung der Exaltation
vorausgesetzt werden konnte, indem am 27. llr. Libell, am 28. Miroslawski ein¬
geholt wurden. Fackeln brannten bei des Letzten? Ankunft vor dem Rathhause
und bengalische Flammen erleuchteten den Markt, als er in wohlgesetztcr feuriger
Rede zum Volke sprach. Am .'!0. wurde» die 50 sogenannten Berliner Studenten,
unter denen jedoch ein Gastwirth seinen unlängst weggejagten Marqueur und die
Polizei einige mehrfach bestrafte Diebe erkannte, von Damen aus den ersten Fa¬
milien feierlich eingeholt, achtzehn Bauerwagen folgten dem Zuge mit dem Gepäcke
der Jünglinge. Auch jetzt schon benutzte man öffentlich den Einfluß der katholi¬
schen Kirche, man veranstaltete am 27. ein feierliches Todtenamt, wie es hieß,
für die auf den Barrikaden Berlins Gefallenen. Freilich lud man das deutsche
Comite- dazu ein, welches der Einladung auch Folge leistete. Freilich wehete
auch auf dem Sarcophage uuter viele» polnischen Fahnen eine deutsche, der Weih¬
bischof selbst celebrirte, aber die Rede des Geistliche» Prnsinowski vermied ge¬
flissentlich die Worte „Preußen", „preußisch" und „Berlin", indem sie mit Begei¬
sterung die junge Freiheit darstellte, welche von Paris aus zu uns gezogen und
den Blick nach Warschau gewendet habe.

Auf solche Weise wurde die Bevölkerung von Tag zu Tage mehr für den
Aufstand gewonnen, da die Behörde» durch Schweige» el» solches Treibe» zu
billigen schienen. Die Proclamationen, in denen man mit Maßregel» drohte, die
man nicht ausführte, wurden mit bewundernswürdiger Schnelligkeit dem Auge des
Publicums entzogen und durch entgegengesetzte Bckanntmachungeu von polnischer
Seite paralysirt. Sah sich doch das deutsche Comik-,- gezwungen seine Bekannt-
machuugeu auf Papptafelu kleben zu lassen, um sie in den Conditoreien und Re¬
staurationen zu erhalten.

Was nun aber die deutscheu Einwohner zu erwarten haben würden, das
zeigten die Anordnungen des polnischen Comitv in den nicht durch die Preuße
scheu Waffen — wie die Stadt Posen — geschützten Orten, aus denen die betrü-
bendsten Nachrichten und die Flüchtlinge sich stündlich mehrten.

Borzugsweise erlaubte man sich das unwürdigste Benehmen gegen die jüdische
Bevölkerung. Man hatte anfänglich gehofft, sie der polnische» Sache zu gewinnen.
Schon am 22. richtete das polnische Cvmitv einen Aufruf an „die Brüder Jsrae-
liten", und da dieselbe ohne Erfolg geblieben war, sandte man ihm am 24. eine
zweite Proclamation uach, in welcher es hieß:


„Das volle Bürgerrecht, das unsere Brüder zu Krakau im Jahre 1846 Euch ver¬
liehen, garantiren auch wir unsern Brüdern Israeliten und bitten dieselben in
Gemeinschaft mit uns unsere gemeinsamen Interessen zu unterstützen."

Die Israeliten hatten sich aber von dem erste» Augenblicke an, nicht wie
Manche Christen schwankend, sondern ganz entschieden, deutsch und gut preu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/250>, abgerufen am 28.09.2024.