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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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den Zweck gehabt haben, in Berlin das Vertrauen auf die Loyalität der Partei
zu befestigen.

Die Deputaten des deutschen Comite fanden in Berlin keine ihnen günstige
Stimmung vor. Das Ministerium war mit den statistischen Verhältnissen des
Großherzogthums unbekannt und stand noch zu sehr unter dem Einflüsse des
Barrikadenkampfes. Auch die Bevölkerung Berlins zürnte ihren deutschen Brüdern
in Posen, denen sie einen Mangel an Sympathie für das Streben der polnischen
Nation und Freiheit zuschrieb. Doch die Wahrheit errang anch hier leicht den
Sieg über die Lüge, die sich vou Tag zu Tage in ein anderes Gewand verbarg.
Das Ministerium sing an die Verhältnisse in einem anderen Lichte zu erblicken
und man freute sich über die ans den General-Major v. Willisen gefallene Wahl
zum Reorganisations-Commissarius. Wie sehr man sich in den Erwartungen von
ihm täuschen sollte, konnte man um so weniger ahnen, als er sich zu Berlin in
vielfältige Verbindung mit den Deputirten des deutschen Konnt"- feste, denselben
anch den Auftrag ertheilte, diejenigen Männer zu ernennen, die der polnischen
Reorganisations - Commission beigesellt werden konnten, um die deutschen Inter¬
essen zu wahren.

Unterdessen hatte am 27. der Ober-Präsident das Tragen und den Verkauf
der Sensen verboten, man rief überall: "Zu spät." Der commandnende General
trat am 28. mit einer Proclamation hervor, doch blieb Alles beim Alten, man
gab ihr keinen Nachdruck.

Am 3 l. März erschien eine neue Proclamation von dem commandirenden
Geueral und dem Ober-Präsidenten unterzeichnet, in der es heißt:


"Die Unterzeichneten erklären deshalb die oben bezeichnete irreguläre Bewaffnung
nicht nur für eine ungesetzliche, sondern auch für eine gefährliche, da sie zu
Mißverständnissen Veranlassung gibt und mit allen friedlichen Versicherungen
im Widerspruch steht."

Am 3. April ward Posen in Belagerungszustand, jedoch mit dem gesperrt
gedruckten Zusätze erklärt:


"Die Ausführung dieser Maßregel wird mit der größten Schonung und Milde
erfolgen."

Die Hoffnung einer Ausgleichung tauchte nochmals in der Brust der Deut¬
schen auf, aber wiederum vergebens, die Behörden blieben unthätig wie bisher.

Im Organisiren eines Aufstandes zeigten die Leiter der polnischen Bewegung
sich als Meister. Am 22. wurde die Bevölkerung durch das Vertheilen der Co-
carden in Bewegung gesetzt, am 23. veranstaltete man Auszüge mit Fahnen und
Kränzen, ,M einige der ans Berlin zurückkehrenden Gefangenen einzuholen, man
spannte sich vor den Wagen, zog sie in die Stadt, auf dem Markte umher nach
dem Rathhause und Vivatrufen erfüllte die Straßen, wobei es an aufregenden


den Zweck gehabt haben, in Berlin das Vertrauen auf die Loyalität der Partei
zu befestigen.

Die Deputaten des deutschen Comite fanden in Berlin keine ihnen günstige
Stimmung vor. Das Ministerium war mit den statistischen Verhältnissen des
Großherzogthums unbekannt und stand noch zu sehr unter dem Einflüsse des
Barrikadenkampfes. Auch die Bevölkerung Berlins zürnte ihren deutschen Brüdern
in Posen, denen sie einen Mangel an Sympathie für das Streben der polnischen
Nation und Freiheit zuschrieb. Doch die Wahrheit errang anch hier leicht den
Sieg über die Lüge, die sich vou Tag zu Tage in ein anderes Gewand verbarg.
Das Ministerium sing an die Verhältnisse in einem anderen Lichte zu erblicken
und man freute sich über die ans den General-Major v. Willisen gefallene Wahl
zum Reorganisations-Commissarius. Wie sehr man sich in den Erwartungen von
ihm täuschen sollte, konnte man um so weniger ahnen, als er sich zu Berlin in
vielfältige Verbindung mit den Deputirten des deutschen Konnt«- feste, denselben
anch den Auftrag ertheilte, diejenigen Männer zu ernennen, die der polnischen
Reorganisations - Commission beigesellt werden konnten, um die deutschen Inter¬
essen zu wahren.

Unterdessen hatte am 27. der Ober-Präsident das Tragen und den Verkauf
der Sensen verboten, man rief überall: „Zu spät." Der commandnende General
trat am 28. mit einer Proclamation hervor, doch blieb Alles beim Alten, man
gab ihr keinen Nachdruck.

Am 3 l. März erschien eine neue Proclamation von dem commandirenden
Geueral und dem Ober-Präsidenten unterzeichnet, in der es heißt:


„Die Unterzeichneten erklären deshalb die oben bezeichnete irreguläre Bewaffnung
nicht nur für eine ungesetzliche, sondern auch für eine gefährliche, da sie zu
Mißverständnissen Veranlassung gibt und mit allen friedlichen Versicherungen
im Widerspruch steht."

Am 3. April ward Posen in Belagerungszustand, jedoch mit dem gesperrt
gedruckten Zusätze erklärt:


„Die Ausführung dieser Maßregel wird mit der größten Schonung und Milde
erfolgen."

Die Hoffnung einer Ausgleichung tauchte nochmals in der Brust der Deut¬
schen auf, aber wiederum vergebens, die Behörden blieben unthätig wie bisher.

Im Organisiren eines Aufstandes zeigten die Leiter der polnischen Bewegung
sich als Meister. Am 22. wurde die Bevölkerung durch das Vertheilen der Co-
carden in Bewegung gesetzt, am 23. veranstaltete man Auszüge mit Fahnen und
Kränzen, ,M einige der ans Berlin zurückkehrenden Gefangenen einzuholen, man
spannte sich vor den Wagen, zog sie in die Stadt, auf dem Markte umher nach
dem Rathhause und Vivatrufen erfüllte die Straßen, wobei es an aufregenden


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[0249] den Zweck gehabt haben, in Berlin das Vertrauen auf die Loyalität der Partei zu befestigen. Die Deputaten des deutschen Comite fanden in Berlin keine ihnen günstige Stimmung vor. Das Ministerium war mit den statistischen Verhältnissen des Großherzogthums unbekannt und stand noch zu sehr unter dem Einflüsse des Barrikadenkampfes. Auch die Bevölkerung Berlins zürnte ihren deutschen Brüdern in Posen, denen sie einen Mangel an Sympathie für das Streben der polnischen Nation und Freiheit zuschrieb. Doch die Wahrheit errang anch hier leicht den Sieg über die Lüge, die sich vou Tag zu Tage in ein anderes Gewand verbarg. Das Ministerium sing an die Verhältnisse in einem anderen Lichte zu erblicken und man freute sich über die ans den General-Major v. Willisen gefallene Wahl zum Reorganisations-Commissarius. Wie sehr man sich in den Erwartungen von ihm täuschen sollte, konnte man um so weniger ahnen, als er sich zu Berlin in vielfältige Verbindung mit den Deputirten des deutschen Konnt«- feste, denselben anch den Auftrag ertheilte, diejenigen Männer zu ernennen, die der polnischen Reorganisations - Commission beigesellt werden konnten, um die deutschen Inter¬ essen zu wahren. Unterdessen hatte am 27. der Ober-Präsident das Tragen und den Verkauf der Sensen verboten, man rief überall: „Zu spät." Der commandnende General trat am 28. mit einer Proclamation hervor, doch blieb Alles beim Alten, man gab ihr keinen Nachdruck. Am 3 l. März erschien eine neue Proclamation von dem commandirenden Geueral und dem Ober-Präsidenten unterzeichnet, in der es heißt: „Die Unterzeichneten erklären deshalb die oben bezeichnete irreguläre Bewaffnung nicht nur für eine ungesetzliche, sondern auch für eine gefährliche, da sie zu Mißverständnissen Veranlassung gibt und mit allen friedlichen Versicherungen im Widerspruch steht." Am 3. April ward Posen in Belagerungszustand, jedoch mit dem gesperrt gedruckten Zusätze erklärt: „Die Ausführung dieser Maßregel wird mit der größten Schonung und Milde erfolgen." Die Hoffnung einer Ausgleichung tauchte nochmals in der Brust der Deut¬ schen auf, aber wiederum vergebens, die Behörden blieben unthätig wie bisher. Im Organisiren eines Aufstandes zeigten die Leiter der polnischen Bewegung sich als Meister. Am 22. wurde die Bevölkerung durch das Vertheilen der Co- carden in Bewegung gesetzt, am 23. veranstaltete man Auszüge mit Fahnen und Kränzen, ,M einige der ans Berlin zurückkehrenden Gefangenen einzuholen, man spannte sich vor den Wagen, zog sie in die Stadt, auf dem Markte umher nach dem Rathhause und Vivatrufen erfüllte die Straßen, wobei es an aufregenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/249>, abgerufen am 28.09.2024.