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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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rire, und dann reicht sein Gehalt gerade nur aus, um nothdürftig standesgemäß
zu leben; er zieht vor das Thor hinaus und beschäftigt sich mit Kohlpflanzen, bis
Abends, wo er einen Spaziergang in den staubigen Chausseen macht; oder er ist
bis Abends in seinem Bureau und hat dann einmal die Woche, oder alle vier¬
zehn Tage eine sviivo musie.nu bei sich -- er hat heirathssähige Tochter; es wird
eine Sonate gespielt, ein oder ein Paar Duette gesungen, etwa auch ein Lied
von Schubert; eigentliche Unterhaltung liebt er nicht. Wenn ich neben Rente
und Herrn Bnffcy die nächste Staffel der Societät suchen wollte, so würde ich
sie nicht unter den Geheüneräthcn suchen, sondern unter den reichen jüdischen
Banquiers. Es ist ein eigenes, sehr wesentliches Element von Berlin. In der
ersten Generation ist die sociale Bedeutung noch nicht erheblich; es wird sehr gut
gegessen und getrunken und die jungen Barone von der Garde gehen gerne hin;
sie sind dort wie die Götter und können das Gefühl ihrer Würde mit materielleren
Vorzügen vereinigen. Aber in der nächsten Generation ändert sich das Verhält¬
niß; die Kiuder vom Hanse haben eine sehr gute Erziehung -- sür viel Geld ist
sie in Berlin zu haben -- sie lernen alle lebende und todte Sprachen, sie machen
sehr weite Reisen, sie zeichnen, singen und spielen Klavier, sie haben Verbin¬
dungen im diplomatischen Eorps und ihr Haus ist das Asyl aller Künstler und
schönen Seelen. Hier ist intimer Umgang, nicht mehr die dürftige GehciinerathS-
Parade; man ist über die gemeinen Sorgen des Lebens, Geschäfte und Staats¬
dienst erhaben, man kann vom Geist Profession machen. Geheimeräthe, aber nur
der besten Klasse, und Professoren sind als Gäste wohl gelitten. In den engern
Cirkeln hat schon jäh Herz freien Spielraum; sobald man sich an den Reichthum
gewöhnt hat, wird es wieder guter Ton, dem Gefühl nachzuhängen.

Ans diesen Familienkreisen ging Nadel hervor. Mendelssohn und seine
Schwester........ noch vor einem Jahr das gesuchteste Hans in Berlin -- Meyer
deer und sein Bruder Michael gehörten ihnen an. Laube hat in der Vorrede
zum Struensee gegen die Berliner Judencliguc geeifert, die alles Talent und
allen Esfolg gepachtet habe. Die Anklage war ungerecht, wenn man ihn: auch
den Neid nicht verargen mag; das Talent, das Millionen zum Postament hat,
wird in unsrer Zeit, wo sich die Kunst so sehr in Aeußerlichkeiten verliert, be¬
quemer aufgefaßt, als der strebsame Geist, der sich dnrch die gemeinen Sorgen
des Lebens mühsam hindurchwinden muß. Wir können uns darüber nur freuen,
daß es solche Glückliche gibt, wir haben den Genuß davon. Hätte Meyerbeer
"icht die Mittel gehabt, die Musik als noble Passion zu betreiben, so fehlte uns
eigenthümliches, sehr wesentliches Genre der Oper.

Wenn es erlaubt ist, zwei so widerstrebende Vorstellungen, wie Berlin und
, zu combiniren, so hätten wir in Mendelssohn das Bild dieser Ver¬
ewigung. Seine Muse huscht mit der anmuthigen Grazie einer Tänzerin über
die (-Mpfino^g hin, welche die Reflexion wenn nicht hervorruft, doch künstlerisch


rire, und dann reicht sein Gehalt gerade nur aus, um nothdürftig standesgemäß
zu leben; er zieht vor das Thor hinaus und beschäftigt sich mit Kohlpflanzen, bis
Abends, wo er einen Spaziergang in den staubigen Chausseen macht; oder er ist
bis Abends in seinem Bureau und hat dann einmal die Woche, oder alle vier¬
zehn Tage eine sviivo musie.nu bei sich — er hat heirathssähige Tochter; es wird
eine Sonate gespielt, ein oder ein Paar Duette gesungen, etwa auch ein Lied
von Schubert; eigentliche Unterhaltung liebt er nicht. Wenn ich neben Rente
und Herrn Bnffcy die nächste Staffel der Societät suchen wollte, so würde ich
sie nicht unter den Geheüneräthcn suchen, sondern unter den reichen jüdischen
Banquiers. Es ist ein eigenes, sehr wesentliches Element von Berlin. In der
ersten Generation ist die sociale Bedeutung noch nicht erheblich; es wird sehr gut
gegessen und getrunken und die jungen Barone von der Garde gehen gerne hin;
sie sind dort wie die Götter und können das Gefühl ihrer Würde mit materielleren
Vorzügen vereinigen. Aber in der nächsten Generation ändert sich das Verhält¬
niß; die Kiuder vom Hanse haben eine sehr gute Erziehung — sür viel Geld ist
sie in Berlin zu haben — sie lernen alle lebende und todte Sprachen, sie machen
sehr weite Reisen, sie zeichnen, singen und spielen Klavier, sie haben Verbin¬
dungen im diplomatischen Eorps und ihr Haus ist das Asyl aller Künstler und
schönen Seelen. Hier ist intimer Umgang, nicht mehr die dürftige GehciinerathS-
Parade; man ist über die gemeinen Sorgen des Lebens, Geschäfte und Staats¬
dienst erhaben, man kann vom Geist Profession machen. Geheimeräthe, aber nur
der besten Klasse, und Professoren sind als Gäste wohl gelitten. In den engern
Cirkeln hat schon jäh Herz freien Spielraum; sobald man sich an den Reichthum
gewöhnt hat, wird es wieder guter Ton, dem Gefühl nachzuhängen.

Ans diesen Familienkreisen ging Nadel hervor. Mendelssohn und seine
Schwester........ noch vor einem Jahr das gesuchteste Hans in Berlin — Meyer
deer und sein Bruder Michael gehörten ihnen an. Laube hat in der Vorrede
zum Struensee gegen die Berliner Judencliguc geeifert, die alles Talent und
allen Esfolg gepachtet habe. Die Anklage war ungerecht, wenn man ihn: auch
den Neid nicht verargen mag; das Talent, das Millionen zum Postament hat,
wird in unsrer Zeit, wo sich die Kunst so sehr in Aeußerlichkeiten verliert, be¬
quemer aufgefaßt, als der strebsame Geist, der sich dnrch die gemeinen Sorgen
des Lebens mühsam hindurchwinden muß. Wir können uns darüber nur freuen,
daß es solche Glückliche gibt, wir haben den Genuß davon. Hätte Meyerbeer
"icht die Mittel gehabt, die Musik als noble Passion zu betreiben, so fehlte uns
eigenthümliches, sehr wesentliches Genre der Oper.

Wenn es erlaubt ist, zwei so widerstrebende Vorstellungen, wie Berlin und
, zu combiniren, so hätten wir in Mendelssohn das Bild dieser Ver¬
ewigung. Seine Muse huscht mit der anmuthigen Grazie einer Tänzerin über
die (-Mpfino^g hin, welche die Reflexion wenn nicht hervorruft, doch künstlerisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/25>, abgerufen am 26.06.2024.