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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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würdigen Haugwitz. Man lese die Memoiren des F r e i h e r r n von S - a,
wie salbungsvoll die Diplomatie sich zu geberden weiß. ^Da kam der Sturm ans
Frankreich und das Junkcrthum wie die Diplomatie zeigten sich in ihrer Hohlheit. "
Man kann kaum sagen, daß der preußische Staat stürzte, er siechte in sich zusammen. /

Mit der Restauration trat der alte Geist wieder hervor. Die Poesie der
Blasirtheit fand ihr Centrum in Berlin^) Bei Luther und Wegener holte sich
E. T. A. Hoffmann den Rausch, der ihn zu seinen Teufelsvisionen inspirirte.
Mit der alten Frivolität wird anch der alte Pietismus und die alte Mystik wie¬
der hervorgesucht. Eine curiose Welt! das in schönen antiken Formen erbaute Mu¬
seum mit Gemälden der widersinnlichstcn Christlichkeit angefüllt, die Schindanger-
bilder der Märtyrer gesellten sich friedlich zu den Kunstwerken des griechischen
Meißels. Daneben die Hofkirche im Styl einer Moschee, das Zeughaus im soli¬
desten Geschmack der Rococo-Zeit, und das mittelalterliche Schloß. Von allen
Seiten dieses romantischen Platzes hat man die Aussicht auf die Casernenglcichen
Straßen der Soldatenstadt, die künstlich nach dem Willen des Herrn entstanden
war. Man hat dann später -- denn 1840 kam die Tendenz der Restauration
erst zu ihrem vollen Recht -- nach dem Vorbild der Romantiker die Poesien und
so zu sagen die Religionen aller Völker in den Zauberkreis der neuen Weltstadt
wieder heraufbeschworen. Heute spielt man die griechische Antigone, morgen Rande
Strumpf, dann den englischen Sommernachtstraum mit der geistvollsten Berliner
Musikbegleitung, man schwärmte für Calderons ultramontane Wundergeschichten,
für die spanische Etikette und ergötzte sich eben so an den Späßen des englischen
Humors. Französisches Theater und italienische Oper, ein heidnisch lascives
Ballet und Sonntags der modern christliche Domchor, zu Weihnachten Transparent-
nachbildnngen altitalienischer Heiligenbilder mit geheimnißvoll andächtiger Begleitung
von Kirchenmusik für den Hof und die Geistreichen, bei Grvpius' Grimassen und
obscöne Witze für die kleine Familie des Herrn Bnsfey.

Es war die Zeit der genialen Weiber und der geheimen Legationsräthe. Das
Haus von Rahel und Varnhagen waren das Centrum der feinen, geistreichen Welt;
die kühne Sibylle und der Mann des wissenden Schweigens. Wie schön stimmte
beides zusammen! dort das geheimnißvolle Chaos unvermittelter Gedankenblitze, hier
die feinste Glätte, so fein, daß kaum etwas wahrzunehmen blieb. Die Convenienz
begeisterte sich für die dunkle Naturstimme der Seherin, dies starkgeistige Weib
lehnte sich an den feinen, zierlichen Mann. Noch immer lebt der alte Diplomat
von den Reminiscenzen an den verschwundenen Edelstein, als dessen bescheidene
Einfassung er sich betrachtete.

Die fliegenden Blätter brachten eine Carricatur aus Berlin, in der aus je¬
dem Fenster der caserncnähnlichen Häuser, von dem Keller bis nnter das Dach
hinaus, ein Geheimerath den Kopf zum Fenster heraussteckte. Die Geheimeräthe
sind aber nicht die typische Figur Berlins. Der Geheimerath ist entweder pensio-


würdigen Haugwitz. Man lese die Memoiren des F r e i h e r r n von S - a,
wie salbungsvoll die Diplomatie sich zu geberden weiß. ^Da kam der Sturm ans
Frankreich und das Junkcrthum wie die Diplomatie zeigten sich in ihrer Hohlheit. "
Man kann kaum sagen, daß der preußische Staat stürzte, er siechte in sich zusammen. /

Mit der Restauration trat der alte Geist wieder hervor. Die Poesie der
Blasirtheit fand ihr Centrum in Berlin^) Bei Luther und Wegener holte sich
E. T. A. Hoffmann den Rausch, der ihn zu seinen Teufelsvisionen inspirirte.
Mit der alten Frivolität wird anch der alte Pietismus und die alte Mystik wie¬
der hervorgesucht. Eine curiose Welt! das in schönen antiken Formen erbaute Mu¬
seum mit Gemälden der widersinnlichstcn Christlichkeit angefüllt, die Schindanger-
bilder der Märtyrer gesellten sich friedlich zu den Kunstwerken des griechischen
Meißels. Daneben die Hofkirche im Styl einer Moschee, das Zeughaus im soli¬
desten Geschmack der Rococo-Zeit, und das mittelalterliche Schloß. Von allen
Seiten dieses romantischen Platzes hat man die Aussicht auf die Casernenglcichen
Straßen der Soldatenstadt, die künstlich nach dem Willen des Herrn entstanden
war. Man hat dann später — denn 1840 kam die Tendenz der Restauration
erst zu ihrem vollen Recht — nach dem Vorbild der Romantiker die Poesien und
so zu sagen die Religionen aller Völker in den Zauberkreis der neuen Weltstadt
wieder heraufbeschworen. Heute spielt man die griechische Antigone, morgen Rande
Strumpf, dann den englischen Sommernachtstraum mit der geistvollsten Berliner
Musikbegleitung, man schwärmte für Calderons ultramontane Wundergeschichten,
für die spanische Etikette und ergötzte sich eben so an den Späßen des englischen
Humors. Französisches Theater und italienische Oper, ein heidnisch lascives
Ballet und Sonntags der modern christliche Domchor, zu Weihnachten Transparent-
nachbildnngen altitalienischer Heiligenbilder mit geheimnißvoll andächtiger Begleitung
von Kirchenmusik für den Hof und die Geistreichen, bei Grvpius' Grimassen und
obscöne Witze für die kleine Familie des Herrn Bnsfey.

Es war die Zeit der genialen Weiber und der geheimen Legationsräthe. Das
Haus von Rahel und Varnhagen waren das Centrum der feinen, geistreichen Welt;
die kühne Sibylle und der Mann des wissenden Schweigens. Wie schön stimmte
beides zusammen! dort das geheimnißvolle Chaos unvermittelter Gedankenblitze, hier
die feinste Glätte, so fein, daß kaum etwas wahrzunehmen blieb. Die Convenienz
begeisterte sich für die dunkle Naturstimme der Seherin, dies starkgeistige Weib
lehnte sich an den feinen, zierlichen Mann. Noch immer lebt der alte Diplomat
von den Reminiscenzen an den verschwundenen Edelstein, als dessen bescheidene
Einfassung er sich betrachtete.

Die fliegenden Blätter brachten eine Carricatur aus Berlin, in der aus je¬
dem Fenster der caserncnähnlichen Häuser, von dem Keller bis nnter das Dach
hinaus, ein Geheimerath den Kopf zum Fenster heraussteckte. Die Geheimeräthe
sind aber nicht die typische Figur Berlins. Der Geheimerath ist entweder pensio-


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[0024] würdigen Haugwitz. Man lese die Memoiren des F r e i h e r r n von S - a, wie salbungsvoll die Diplomatie sich zu geberden weiß. ^Da kam der Sturm ans Frankreich und das Junkcrthum wie die Diplomatie zeigten sich in ihrer Hohlheit. " Man kann kaum sagen, daß der preußische Staat stürzte, er siechte in sich zusammen. / Mit der Restauration trat der alte Geist wieder hervor. Die Poesie der Blasirtheit fand ihr Centrum in Berlin^) Bei Luther und Wegener holte sich E. T. A. Hoffmann den Rausch, der ihn zu seinen Teufelsvisionen inspirirte. Mit der alten Frivolität wird anch der alte Pietismus und die alte Mystik wie¬ der hervorgesucht. Eine curiose Welt! das in schönen antiken Formen erbaute Mu¬ seum mit Gemälden der widersinnlichstcn Christlichkeit angefüllt, die Schindanger- bilder der Märtyrer gesellten sich friedlich zu den Kunstwerken des griechischen Meißels. Daneben die Hofkirche im Styl einer Moschee, das Zeughaus im soli¬ desten Geschmack der Rococo-Zeit, und das mittelalterliche Schloß. Von allen Seiten dieses romantischen Platzes hat man die Aussicht auf die Casernenglcichen Straßen der Soldatenstadt, die künstlich nach dem Willen des Herrn entstanden war. Man hat dann später — denn 1840 kam die Tendenz der Restauration erst zu ihrem vollen Recht — nach dem Vorbild der Romantiker die Poesien und so zu sagen die Religionen aller Völker in den Zauberkreis der neuen Weltstadt wieder heraufbeschworen. Heute spielt man die griechische Antigone, morgen Rande Strumpf, dann den englischen Sommernachtstraum mit der geistvollsten Berliner Musikbegleitung, man schwärmte für Calderons ultramontane Wundergeschichten, für die spanische Etikette und ergötzte sich eben so an den Späßen des englischen Humors. Französisches Theater und italienische Oper, ein heidnisch lascives Ballet und Sonntags der modern christliche Domchor, zu Weihnachten Transparent- nachbildnngen altitalienischer Heiligenbilder mit geheimnißvoll andächtiger Begleitung von Kirchenmusik für den Hof und die Geistreichen, bei Grvpius' Grimassen und obscöne Witze für die kleine Familie des Herrn Bnsfey. Es war die Zeit der genialen Weiber und der geheimen Legationsräthe. Das Haus von Rahel und Varnhagen waren das Centrum der feinen, geistreichen Welt; die kühne Sibylle und der Mann des wissenden Schweigens. Wie schön stimmte beides zusammen! dort das geheimnißvolle Chaos unvermittelter Gedankenblitze, hier die feinste Glätte, so fein, daß kaum etwas wahrzunehmen blieb. Die Convenienz begeisterte sich für die dunkle Naturstimme der Seherin, dies starkgeistige Weib lehnte sich an den feinen, zierlichen Mann. Noch immer lebt der alte Diplomat von den Reminiscenzen an den verschwundenen Edelstein, als dessen bescheidene Einfassung er sich betrachtete. Die fliegenden Blätter brachten eine Carricatur aus Berlin, in der aus je¬ dem Fenster der caserncnähnlichen Häuser, von dem Keller bis nnter das Dach hinaus, ein Geheimerath den Kopf zum Fenster heraussteckte. Die Geheimeräthe sind aber nicht die typische Figur Berlins. Der Geheimerath ist entweder pensio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/24>, abgerufen am 26.06.2024.