Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gruppirt. Ueberall geistreich, wird sein Lied selten innig; es hat immer etwas von
dem Eisenocher des Svmmernachtstranms, einen gelinden Anflug von Ironie; eS
ist mit den Tönen nicht ernst gemeint. Es sind Lieder ohne Worte, sie spie¬
len, sie tändeln mit der Empfindung, sie gehen nicht darin ans. Mit gleicher
Bequemlichkeit spottet er in der Walpurgisnacht über die "dumpfen Pfaffen¬
christen," wie er im Elias dem wildesten Wahnsinn des jüdischen Fanatismus den
angemessenen Ausdruck sucht. Der freie Künstler ist über alles hinaus; er kann
jedes Gefühl anempfinden, er selber bleibt frei.

Eine Freiheit, die principiell von Schleiermacher ausgesprochen ward, ei¬
nem jeuer seinen Geister, die nachhaltig auf die Physiognomie Berlins eingewirkt
haben. Man nehme die Reihe seiner eigentlich poetischen Schriften -- die Briefe
über Lucinde, die Reden über Religion, die Monologe, die Weihnachtsfeier -
ehe er sich in die Wissenschaft und Praxis der Religion versenkte, und heilte die
geistreich-sinnige Lebensauffassung, den leitenden Ton ihrer Empfindung wie ihrer
Prinzipien, mit Mendelsohn's Musik zusammen, so wird man über die Wahlvcr-
wandschaft, die ich zwischen ihnen finde, weniger verwundert sein. "Dn bist frei
vom Leben, wenn du mit ihm spielst; du hast Religion, wenn du den Sinn für
alles Schöne ^ausbildest!" das ist der Grundgedanke jener Schriften, der ersten,
welche der romantischen Schule eine Berechtigung verschafften. Aus dieser Weltan¬
schauung wird eben so wenig eine tragische Kunst hervorgehen, wie aus Mendel-
sohn's musikalischer Bildung eine Beethoven'sche Symphonie.

Beide sind leidenschaftlos, beide lieben die Parvdvxie, Parvdoxie im Leben
wie im Denken und Dichten ist ein Zeichen der Freiheit; doch nur der gebildete
Geist weiß sie mit Anstand zu gebrauchen. Wenn er in den Reden über die Re¬
ligion den Glauben an Gott und Unsterblichkeit verschmäht, wenn er die Götter¬
bilder nur als Spiel gelten läßt, die der Geist sich schaffe, um sich zu genießen,
nicht sich hinzugeben; so würde ein feuriger, leidenschaftlicher Schriftsteller solcher
Ansichten wegen als Ketzer gebrandmarkt sein. Schleiermacher galt bis an sein
Ende als guter Christ; die Bildung und die freie Ironie seiner Darstellung im-
ponirte auch der orthodoxen Bornirtheit; es war hier eine fremde Welt und sie ging
scheu und ohne Anklage daran vorüber. Manche musikalische Freiheit Mendelsohn's
würde an dergleichen erinnern. In träumerischen Stimmungen wird man auch durch
das Auffallende uicht beleidigt, denn man vergleicht nicht.

Schleiermacher's Schule hat nie die strenge Organisation gehabt, wie sie die
Hegelianer wenigstens anstrebten; es wäre dies anch dem Sinn des Meisters durch¬
aus entgegen gewesen. Dagegen ist sein Einfluß in allen Kreisen nachhaltig ge¬
blieben, namentlich im Lchrerstande. Zum ersten Mal bei den lichtfreundlichen
Protesten trat die Schule in einem gewissen Zusammenhange auf und gewann durch
ihr Juste Milieu in dem damaligen Berlin eine Art Popularität. Unter den
gegenwärtigen Umständen ist das freilich ein Grund zu Katzenmusiken, und schon


gruppirt. Ueberall geistreich, wird sein Lied selten innig; es hat immer etwas von
dem Eisenocher des Svmmernachtstranms, einen gelinden Anflug von Ironie; eS
ist mit den Tönen nicht ernst gemeint. Es sind Lieder ohne Worte, sie spie¬
len, sie tändeln mit der Empfindung, sie gehen nicht darin ans. Mit gleicher
Bequemlichkeit spottet er in der Walpurgisnacht über die „dumpfen Pfaffen¬
christen," wie er im Elias dem wildesten Wahnsinn des jüdischen Fanatismus den
angemessenen Ausdruck sucht. Der freie Künstler ist über alles hinaus; er kann
jedes Gefühl anempfinden, er selber bleibt frei.

Eine Freiheit, die principiell von Schleiermacher ausgesprochen ward, ei¬
nem jeuer seinen Geister, die nachhaltig auf die Physiognomie Berlins eingewirkt
haben. Man nehme die Reihe seiner eigentlich poetischen Schriften — die Briefe
über Lucinde, die Reden über Religion, die Monologe, die Weihnachtsfeier -
ehe er sich in die Wissenschaft und Praxis der Religion versenkte, und heilte die
geistreich-sinnige Lebensauffassung, den leitenden Ton ihrer Empfindung wie ihrer
Prinzipien, mit Mendelsohn's Musik zusammen, so wird man über die Wahlvcr-
wandschaft, die ich zwischen ihnen finde, weniger verwundert sein. „Dn bist frei
vom Leben, wenn du mit ihm spielst; du hast Religion, wenn du den Sinn für
alles Schöne ^ausbildest!" das ist der Grundgedanke jener Schriften, der ersten,
welche der romantischen Schule eine Berechtigung verschafften. Aus dieser Weltan¬
schauung wird eben so wenig eine tragische Kunst hervorgehen, wie aus Mendel-
sohn's musikalischer Bildung eine Beethoven'sche Symphonie.

Beide sind leidenschaftlos, beide lieben die Parvdvxie, Parvdoxie im Leben
wie im Denken und Dichten ist ein Zeichen der Freiheit; doch nur der gebildete
Geist weiß sie mit Anstand zu gebrauchen. Wenn er in den Reden über die Re¬
ligion den Glauben an Gott und Unsterblichkeit verschmäht, wenn er die Götter¬
bilder nur als Spiel gelten läßt, die der Geist sich schaffe, um sich zu genießen,
nicht sich hinzugeben; so würde ein feuriger, leidenschaftlicher Schriftsteller solcher
Ansichten wegen als Ketzer gebrandmarkt sein. Schleiermacher galt bis an sein
Ende als guter Christ; die Bildung und die freie Ironie seiner Darstellung im-
ponirte auch der orthodoxen Bornirtheit; es war hier eine fremde Welt und sie ging
scheu und ohne Anklage daran vorüber. Manche musikalische Freiheit Mendelsohn's
würde an dergleichen erinnern. In träumerischen Stimmungen wird man auch durch
das Auffallende uicht beleidigt, denn man vergleicht nicht.

Schleiermacher's Schule hat nie die strenge Organisation gehabt, wie sie die
Hegelianer wenigstens anstrebten; es wäre dies anch dem Sinn des Meisters durch¬
aus entgegen gewesen. Dagegen ist sein Einfluß in allen Kreisen nachhaltig ge¬
blieben, namentlich im Lchrerstande. Zum ersten Mal bei den lichtfreundlichen
Protesten trat die Schule in einem gewissen Zusammenhange auf und gewann durch
ihr Juste Milieu in dem damaligen Berlin eine Art Popularität. Unter den
gegenwärtigen Umständen ist das freilich ein Grund zu Katzenmusiken, und schon


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277456"/>
          <p xml:id="ID_65" prev="#ID_64"> gruppirt. Ueberall geistreich, wird sein Lied selten innig; es hat immer etwas von<lb/>
dem Eisenocher des Svmmernachtstranms, einen gelinden Anflug von Ironie; eS<lb/>
ist mit den Tönen nicht ernst gemeint. Es sind Lieder ohne Worte, sie spie¬<lb/>
len, sie tändeln mit der Empfindung, sie gehen nicht darin ans. Mit gleicher<lb/>
Bequemlichkeit spottet er in der Walpurgisnacht über die &#x201E;dumpfen Pfaffen¬<lb/>
christen," wie er im Elias dem wildesten Wahnsinn des jüdischen Fanatismus den<lb/>
angemessenen Ausdruck sucht. Der freie Künstler ist über alles hinaus; er kann<lb/>
jedes Gefühl anempfinden, er selber bleibt frei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_66"> Eine Freiheit, die principiell von Schleiermacher ausgesprochen ward, ei¬<lb/>
nem jeuer seinen Geister, die nachhaltig auf die Physiognomie Berlins eingewirkt<lb/>
haben. Man nehme die Reihe seiner eigentlich poetischen Schriften &#x2014; die Briefe<lb/>
über Lucinde, die Reden über Religion, die Monologe, die Weihnachtsfeier -<lb/>
ehe er sich in die Wissenschaft und Praxis der Religion versenkte, und heilte die<lb/>
geistreich-sinnige Lebensauffassung, den leitenden Ton ihrer Empfindung wie ihrer<lb/>
Prinzipien, mit Mendelsohn's Musik zusammen, so wird man über die Wahlvcr-<lb/>
wandschaft, die ich zwischen ihnen finde, weniger verwundert sein. &#x201E;Dn bist frei<lb/>
vom Leben, wenn du mit ihm spielst; du hast Religion, wenn du den Sinn für<lb/>
alles Schöne ^ausbildest!" das ist der Grundgedanke jener Schriften, der ersten,<lb/>
welche der romantischen Schule eine Berechtigung verschafften. Aus dieser Weltan¬<lb/>
schauung wird eben so wenig eine tragische Kunst hervorgehen, wie aus Mendel-<lb/>
sohn's musikalischer Bildung eine Beethoven'sche Symphonie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_67"> Beide sind leidenschaftlos, beide lieben die Parvdvxie, Parvdoxie im Leben<lb/>
wie im Denken und Dichten ist ein Zeichen der Freiheit; doch nur der gebildete<lb/>
Geist weiß sie mit Anstand zu gebrauchen. Wenn er in den Reden über die Re¬<lb/>
ligion den Glauben an Gott und Unsterblichkeit verschmäht, wenn er die Götter¬<lb/>
bilder nur als Spiel gelten läßt, die der Geist sich schaffe, um sich zu genießen,<lb/>
nicht sich hinzugeben; so würde ein feuriger, leidenschaftlicher Schriftsteller solcher<lb/>
Ansichten wegen als Ketzer gebrandmarkt sein. Schleiermacher galt bis an sein<lb/>
Ende als guter Christ; die Bildung und die freie Ironie seiner Darstellung im-<lb/>
ponirte auch der orthodoxen Bornirtheit; es war hier eine fremde Welt und sie ging<lb/>
scheu und ohne Anklage daran vorüber. Manche musikalische Freiheit Mendelsohn's<lb/>
würde an dergleichen erinnern. In träumerischen Stimmungen wird man auch durch<lb/>
das Auffallende uicht beleidigt, denn man vergleicht nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_68" next="#ID_69"> Schleiermacher's Schule hat nie die strenge Organisation gehabt, wie sie die<lb/>
Hegelianer wenigstens anstrebten; es wäre dies anch dem Sinn des Meisters durch¬<lb/>
aus entgegen gewesen. Dagegen ist sein Einfluß in allen Kreisen nachhaltig ge¬<lb/>
blieben, namentlich im Lchrerstande. Zum ersten Mal bei den lichtfreundlichen<lb/>
Protesten trat die Schule in einem gewissen Zusammenhange auf und gewann durch<lb/>
ihr Juste Milieu in dem damaligen Berlin eine Art Popularität. Unter den<lb/>
gegenwärtigen Umständen ist das freilich ein Grund zu Katzenmusiken, und schon</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] gruppirt. Ueberall geistreich, wird sein Lied selten innig; es hat immer etwas von dem Eisenocher des Svmmernachtstranms, einen gelinden Anflug von Ironie; eS ist mit den Tönen nicht ernst gemeint. Es sind Lieder ohne Worte, sie spie¬ len, sie tändeln mit der Empfindung, sie gehen nicht darin ans. Mit gleicher Bequemlichkeit spottet er in der Walpurgisnacht über die „dumpfen Pfaffen¬ christen," wie er im Elias dem wildesten Wahnsinn des jüdischen Fanatismus den angemessenen Ausdruck sucht. Der freie Künstler ist über alles hinaus; er kann jedes Gefühl anempfinden, er selber bleibt frei. Eine Freiheit, die principiell von Schleiermacher ausgesprochen ward, ei¬ nem jeuer seinen Geister, die nachhaltig auf die Physiognomie Berlins eingewirkt haben. Man nehme die Reihe seiner eigentlich poetischen Schriften — die Briefe über Lucinde, die Reden über Religion, die Monologe, die Weihnachtsfeier - ehe er sich in die Wissenschaft und Praxis der Religion versenkte, und heilte die geistreich-sinnige Lebensauffassung, den leitenden Ton ihrer Empfindung wie ihrer Prinzipien, mit Mendelsohn's Musik zusammen, so wird man über die Wahlvcr- wandschaft, die ich zwischen ihnen finde, weniger verwundert sein. „Dn bist frei vom Leben, wenn du mit ihm spielst; du hast Religion, wenn du den Sinn für alles Schöne ^ausbildest!" das ist der Grundgedanke jener Schriften, der ersten, welche der romantischen Schule eine Berechtigung verschafften. Aus dieser Weltan¬ schauung wird eben so wenig eine tragische Kunst hervorgehen, wie aus Mendel- sohn's musikalischer Bildung eine Beethoven'sche Symphonie. Beide sind leidenschaftlos, beide lieben die Parvdvxie, Parvdoxie im Leben wie im Denken und Dichten ist ein Zeichen der Freiheit; doch nur der gebildete Geist weiß sie mit Anstand zu gebrauchen. Wenn er in den Reden über die Re¬ ligion den Glauben an Gott und Unsterblichkeit verschmäht, wenn er die Götter¬ bilder nur als Spiel gelten läßt, die der Geist sich schaffe, um sich zu genießen, nicht sich hinzugeben; so würde ein feuriger, leidenschaftlicher Schriftsteller solcher Ansichten wegen als Ketzer gebrandmarkt sein. Schleiermacher galt bis an sein Ende als guter Christ; die Bildung und die freie Ironie seiner Darstellung im- ponirte auch der orthodoxen Bornirtheit; es war hier eine fremde Welt und sie ging scheu und ohne Anklage daran vorüber. Manche musikalische Freiheit Mendelsohn's würde an dergleichen erinnern. In träumerischen Stimmungen wird man auch durch das Auffallende uicht beleidigt, denn man vergleicht nicht. Schleiermacher's Schule hat nie die strenge Organisation gehabt, wie sie die Hegelianer wenigstens anstrebten; es wäre dies anch dem Sinn des Meisters durch¬ aus entgegen gewesen. Dagegen ist sein Einfluß in allen Kreisen nachhaltig ge¬ blieben, namentlich im Lchrerstande. Zum ersten Mal bei den lichtfreundlichen Protesten trat die Schule in einem gewissen Zusammenhange auf und gewann durch ihr Juste Milieu in dem damaligen Berlin eine Art Popularität. Unter den gegenwärtigen Umständen ist das freilich ein Grund zu Katzenmusiken, und schon

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/26>, abgerufen am 22.07.2024.