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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Nation zusammenzusetzen und den Schlußsatz so deuten würden, daß die Absetzung
der preußischen Beamten, die Bildung eines polnischen Heeres und Alles was
damit zusammenhängt, gesetzlich gestattet sei, wenn dabei nnr Niemand todtgeschla¬
gen oder beraubt würde.

Dem noch jungen Ministerium konnte man diese Beeinträchtigung der Deut¬
schen um so weniger zur Last legen, als deutsche Stadtverordnete aus der Stadt
Posen dieselbe gemeinschaftlich mit den Polen beantragt hatten und man in Berlin
wirklich der naiven Meinung war, die Deutschen im Großherzogthum beständen
nur aus einigen hundert Beamten; man keine Ahnung davon hatte, daß neben
den 700,000 Polen 500,000 Deutsche leben. Diese Nichtachtung der Dentschen
und ihrer Rechte mußte bei denselben eine tiefe Entrüstung hervorrufen. Sie
wurde noch gesteigert, da man vernahm, daß von der Deputation noch speziellere
Anträge über die Ausführung der Reorganisation dem Ministerium vorgelegt seien.
Am 27. Morgens fand die erste geregelte Volksversammlung der Deutschen statt,
an deren Spitze sich, durch ein Vertrauensvotum der Anwesenden berufen, der
Regierungsrath Freiherr Kölle v. Schreeb stellte. Es trat in der ersten Versamm¬
lung der Landgerichtsrath Boy auf, um sich und die übrige" deutschen Stadtver¬
ordneten, welche die polnische Deputation nach Berlin begleitet hatten, von dem
Vorwurfe der Verrätherei der deutschen Sache, der ihm dnrch ein an seine Thüre
geheftetes Placat zur Kenntniß gekommen war, zu rechtfertigen. Er hob es als
ein ganz besonderes Verdienst hervor, den Antrag durchgesetzt zu haben, daß den
aus diesem Landestheile scheidenden Beamten ein zweijähriges Gehalt als Ent¬
schädigung gezahlt werde; der Eindruck, den seine nicht gewöhnliche Beredsamkeit
machte, schien nur ein vorübergehender. Seit diesem Tage fanden ähnliche Ver¬
sammlungen wöchentlich zwei Mal statt.

Noch an demselben Tage hatte sich das polnische Comite das Recht vindicirt,
die Reorganisation - Commission zu ernennen, und die Art der Zusammenstellung
bestätigte, was die Deutschen vorausgesehen. Die Commission bestand nämlich
ans Dr. Libell, Dr. v. Kraszewski, Graf M. v. Mielzynski, v. Potworowski,
Assessor Szumann, Landschafts - Director v. Brodowski, Geistlicher Prusinowski
und Landgerichts-Rath Gregor; sür eine ganz besondere Entäußerung ihrer Ge¬
rechtsame wollte man es angesehen wissen, daß man zwei Deutsche, den Ober-
Bürgermeister Geheime-Rath Neumann und Landgerichts-Rath Boy einlud, ohne
Stimmrecht den Berathungen beizuwohnen. Ein anderes Mandat hatten die Ge¬
nannten nicht als ihren Willen; doch empfingen sie ihre Anerkennung dadurch,
daß der Ober - Präsident sie zu Berathungen bei sich vereinigte und ihre Anträge
entgegennahm. Diese Anträge waren gemäßigt, mögen sie nun aus einem Siege
der Besonnenen in der Commission, -- dieselbe enthielt viele Männer, denen wir
unsere aufrichtige Achtung nicht versagen können, -- hervorgegangen sein, oder


Nation zusammenzusetzen und den Schlußsatz so deuten würden, daß die Absetzung
der preußischen Beamten, die Bildung eines polnischen Heeres und Alles was
damit zusammenhängt, gesetzlich gestattet sei, wenn dabei nnr Niemand todtgeschla¬
gen oder beraubt würde.

Dem noch jungen Ministerium konnte man diese Beeinträchtigung der Deut¬
schen um so weniger zur Last legen, als deutsche Stadtverordnete aus der Stadt
Posen dieselbe gemeinschaftlich mit den Polen beantragt hatten und man in Berlin
wirklich der naiven Meinung war, die Deutschen im Großherzogthum beständen
nur aus einigen hundert Beamten; man keine Ahnung davon hatte, daß neben
den 700,000 Polen 500,000 Deutsche leben. Diese Nichtachtung der Dentschen
und ihrer Rechte mußte bei denselben eine tiefe Entrüstung hervorrufen. Sie
wurde noch gesteigert, da man vernahm, daß von der Deputation noch speziellere
Anträge über die Ausführung der Reorganisation dem Ministerium vorgelegt seien.
Am 27. Morgens fand die erste geregelte Volksversammlung der Deutschen statt,
an deren Spitze sich, durch ein Vertrauensvotum der Anwesenden berufen, der
Regierungsrath Freiherr Kölle v. Schreeb stellte. Es trat in der ersten Versamm¬
lung der Landgerichtsrath Boy auf, um sich und die übrige» deutschen Stadtver¬
ordneten, welche die polnische Deputation nach Berlin begleitet hatten, von dem
Vorwurfe der Verrätherei der deutschen Sache, der ihm dnrch ein an seine Thüre
geheftetes Placat zur Kenntniß gekommen war, zu rechtfertigen. Er hob es als
ein ganz besonderes Verdienst hervor, den Antrag durchgesetzt zu haben, daß den
aus diesem Landestheile scheidenden Beamten ein zweijähriges Gehalt als Ent¬
schädigung gezahlt werde; der Eindruck, den seine nicht gewöhnliche Beredsamkeit
machte, schien nur ein vorübergehender. Seit diesem Tage fanden ähnliche Ver¬
sammlungen wöchentlich zwei Mal statt.

Noch an demselben Tage hatte sich das polnische Comite das Recht vindicirt,
die Reorganisation - Commission zu ernennen, und die Art der Zusammenstellung
bestätigte, was die Deutschen vorausgesehen. Die Commission bestand nämlich
ans Dr. Libell, Dr. v. Kraszewski, Graf M. v. Mielzynski, v. Potworowski,
Assessor Szumann, Landschafts - Director v. Brodowski, Geistlicher Prusinowski
und Landgerichts-Rath Gregor; sür eine ganz besondere Entäußerung ihrer Ge¬
rechtsame wollte man es angesehen wissen, daß man zwei Deutsche, den Ober-
Bürgermeister Geheime-Rath Neumann und Landgerichts-Rath Boy einlud, ohne
Stimmrecht den Berathungen beizuwohnen. Ein anderes Mandat hatten die Ge¬
nannten nicht als ihren Willen; doch empfingen sie ihre Anerkennung dadurch,
daß der Ober - Präsident sie zu Berathungen bei sich vereinigte und ihre Anträge
entgegennahm. Diese Anträge waren gemäßigt, mögen sie nun aus einem Siege
der Besonnenen in der Commission, — dieselbe enthielt viele Männer, denen wir
unsere aufrichtige Achtung nicht versagen können, — hervorgegangen sein, oder


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[0248] Nation zusammenzusetzen und den Schlußsatz so deuten würden, daß die Absetzung der preußischen Beamten, die Bildung eines polnischen Heeres und Alles was damit zusammenhängt, gesetzlich gestattet sei, wenn dabei nnr Niemand todtgeschla¬ gen oder beraubt würde. Dem noch jungen Ministerium konnte man diese Beeinträchtigung der Deut¬ schen um so weniger zur Last legen, als deutsche Stadtverordnete aus der Stadt Posen dieselbe gemeinschaftlich mit den Polen beantragt hatten und man in Berlin wirklich der naiven Meinung war, die Deutschen im Großherzogthum beständen nur aus einigen hundert Beamten; man keine Ahnung davon hatte, daß neben den 700,000 Polen 500,000 Deutsche leben. Diese Nichtachtung der Dentschen und ihrer Rechte mußte bei denselben eine tiefe Entrüstung hervorrufen. Sie wurde noch gesteigert, da man vernahm, daß von der Deputation noch speziellere Anträge über die Ausführung der Reorganisation dem Ministerium vorgelegt seien. Am 27. Morgens fand die erste geregelte Volksversammlung der Deutschen statt, an deren Spitze sich, durch ein Vertrauensvotum der Anwesenden berufen, der Regierungsrath Freiherr Kölle v. Schreeb stellte. Es trat in der ersten Versamm¬ lung der Landgerichtsrath Boy auf, um sich und die übrige» deutschen Stadtver¬ ordneten, welche die polnische Deputation nach Berlin begleitet hatten, von dem Vorwurfe der Verrätherei der deutschen Sache, der ihm dnrch ein an seine Thüre geheftetes Placat zur Kenntniß gekommen war, zu rechtfertigen. Er hob es als ein ganz besonderes Verdienst hervor, den Antrag durchgesetzt zu haben, daß den aus diesem Landestheile scheidenden Beamten ein zweijähriges Gehalt als Ent¬ schädigung gezahlt werde; der Eindruck, den seine nicht gewöhnliche Beredsamkeit machte, schien nur ein vorübergehender. Seit diesem Tage fanden ähnliche Ver¬ sammlungen wöchentlich zwei Mal statt. Noch an demselben Tage hatte sich das polnische Comite das Recht vindicirt, die Reorganisation - Commission zu ernennen, und die Art der Zusammenstellung bestätigte, was die Deutschen vorausgesehen. Die Commission bestand nämlich ans Dr. Libell, Dr. v. Kraszewski, Graf M. v. Mielzynski, v. Potworowski, Assessor Szumann, Landschafts - Director v. Brodowski, Geistlicher Prusinowski und Landgerichts-Rath Gregor; sür eine ganz besondere Entäußerung ihrer Ge¬ rechtsame wollte man es angesehen wissen, daß man zwei Deutsche, den Ober- Bürgermeister Geheime-Rath Neumann und Landgerichts-Rath Boy einlud, ohne Stimmrecht den Berathungen beizuwohnen. Ein anderes Mandat hatten die Ge¬ nannten nicht als ihren Willen; doch empfingen sie ihre Anerkennung dadurch, daß der Ober - Präsident sie zu Berathungen bei sich vereinigte und ihre Anträge entgegennahm. Diese Anträge waren gemäßigt, mögen sie nun aus einem Siege der Besonnenen in der Commission, — dieselbe enthielt viele Männer, denen wir unsere aufrichtige Achtung nicht versagen können, — hervorgegangen sein, oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/248>, abgerufen am 29.06.2024.