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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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in jeder Zeile die Begeisterung für die Freiheit Polens athmete und zu deren
Erreichung den Beistand der Deutschen treulich anbot und zusicherte, mit allge¬
meiner Acclamation angenommen. ES war ein erhebender Moment, als das Bru¬
derwort aus deutschem und polnischem Munde erklang und die deutschen Farben
von den Polen, die polnischen von den Deutschen an Brust und Hut geheftet
wurden. Der offene Sinn der Deutschen gewährt die Bürgschaft, daß sie ent¬
schlossen waren, das gegebene Wort treu zu halten und für dasselbe freudig Alles
zu opfern, dessen Entäußerung sich mit der Würde und der Ehre ihrer Nation ver¬
trüge. Ans den Erfahrungen, die uns heute leider zur Seite stehen, ergibt sich
aber, daß Niemand von der exaltirten Partei an dem Acte der
Verbrüderung Theil nahm; hätte der Geist jener Stunde sich für die Dauer
Geltung verschafft, gewiß es stünde jetzt besser, nicht etwa mit dem Interesse der
Deutschen, sondern mit dem Interesse der Polen selbst. Noch an demselben Abend,
an dem ein Theil der in Berlin befreiten Polen im Triumphzuge in Posen ein¬
rückte und die Deutschen wie die Polen ihre Häuser festlich erleuchtet hatten,
trat das polnische Comite mit einer Handlungsweise hervor, der seine brüderliche
Gesinnung verdächtigen mußte. Die Ueberlassung der Haupträume des Rathhauses
war durch die Drohung, die ans dem Markt versammelte Menge fordere sie, von
den städtischen Behörden ertrotzt worden. In der Nacht des 20. zum 2!. März
begaben sich die Unterzeichner der erwähnten deutschen Adresse nach dem Rathhaus.
Das in den sonst stillen Räumen hervorgerufene Leben gewährte keinen der jungen
"Republik" nachtheiligen Anblick. Schon scheute man sich nämlich nicht, davon zu
sprechen, daß Polen frei gegeben sei und die Republik werde proclamirt wer¬
den, ja die Leiter bemühten sich Anordnungen zu treffen und Ereignisse hervorzu¬
rufen, die einem solchen Gerüchte den Schein der Wahrheit verleihen sollten. Von
dem Markte aus, die Treppen empor, in den Gängen und Vorsälen des altehr¬
würdigen Saales, den das Comite eingenommen, wogten die Massen in geheim-
nißvollem Schweigen, das nur hie und da durch einen Bruderkuß oder durch
einen Freudenruf unterbrochen wurde; überall blitzten die Gewehre der Schützen-
kache und je mehr man sich dem Sitzungssaal"! näherte, desto häufiger erblickte
man die weiß und rothe Fahne, den polnischen weißen Adler und die Provinzial-
färben in Schärpen und Livreeuniformen leuchten. Jedem Unbefangenen mußte
es klar werden, daß die Vorbereitung zu dieser Stunde nicht das Werk eines
Tages gewesen sein konnte. Obgleich der Sitzungssaal überfüllt war, die polni¬
schen Damen fehlten natürlich nicht, wurde die Deputation doch lautlos empfangen-
Der Vorsitzende, Buchhändler Stchinsky, nahm zwar dem Wortlaute nach die
dargebotene deutsche Bruderhand an, lehnte aber jede entsprechende That geschickt
ab. Eine besorgliche Aufregung, zu deren Mäßigung die Hilfe zugesagt wurde,
wollte der Vorsitzende nicht kennen, die Aufregung sei ihm eine höchst erfreuliche.
Den Antrag, Deutsche in's Comite aufzunehmen, wollte er zur Berathung ziehen,


in jeder Zeile die Begeisterung für die Freiheit Polens athmete und zu deren
Erreichung den Beistand der Deutschen treulich anbot und zusicherte, mit allge¬
meiner Acclamation angenommen. ES war ein erhebender Moment, als das Bru¬
derwort aus deutschem und polnischem Munde erklang und die deutschen Farben
von den Polen, die polnischen von den Deutschen an Brust und Hut geheftet
wurden. Der offene Sinn der Deutschen gewährt die Bürgschaft, daß sie ent¬
schlossen waren, das gegebene Wort treu zu halten und für dasselbe freudig Alles
zu opfern, dessen Entäußerung sich mit der Würde und der Ehre ihrer Nation ver¬
trüge. Ans den Erfahrungen, die uns heute leider zur Seite stehen, ergibt sich
aber, daß Niemand von der exaltirten Partei an dem Acte der
Verbrüderung Theil nahm; hätte der Geist jener Stunde sich für die Dauer
Geltung verschafft, gewiß es stünde jetzt besser, nicht etwa mit dem Interesse der
Deutschen, sondern mit dem Interesse der Polen selbst. Noch an demselben Abend,
an dem ein Theil der in Berlin befreiten Polen im Triumphzuge in Posen ein¬
rückte und die Deutschen wie die Polen ihre Häuser festlich erleuchtet hatten,
trat das polnische Comite mit einer Handlungsweise hervor, der seine brüderliche
Gesinnung verdächtigen mußte. Die Ueberlassung der Haupträume des Rathhauses
war durch die Drohung, die ans dem Markt versammelte Menge fordere sie, von
den städtischen Behörden ertrotzt worden. In der Nacht des 20. zum 2!. März
begaben sich die Unterzeichner der erwähnten deutschen Adresse nach dem Rathhaus.
Das in den sonst stillen Räumen hervorgerufene Leben gewährte keinen der jungen
„Republik" nachtheiligen Anblick. Schon scheute man sich nämlich nicht, davon zu
sprechen, daß Polen frei gegeben sei und die Republik werde proclamirt wer¬
den, ja die Leiter bemühten sich Anordnungen zu treffen und Ereignisse hervorzu¬
rufen, die einem solchen Gerüchte den Schein der Wahrheit verleihen sollten. Von
dem Markte aus, die Treppen empor, in den Gängen und Vorsälen des altehr¬
würdigen Saales, den das Comite eingenommen, wogten die Massen in geheim-
nißvollem Schweigen, das nur hie und da durch einen Bruderkuß oder durch
einen Freudenruf unterbrochen wurde; überall blitzten die Gewehre der Schützen-
kache und je mehr man sich dem Sitzungssaal«! näherte, desto häufiger erblickte
man die weiß und rothe Fahne, den polnischen weißen Adler und die Provinzial-
färben in Schärpen und Livreeuniformen leuchten. Jedem Unbefangenen mußte
es klar werden, daß die Vorbereitung zu dieser Stunde nicht das Werk eines
Tages gewesen sein konnte. Obgleich der Sitzungssaal überfüllt war, die polni¬
schen Damen fehlten natürlich nicht, wurde die Deputation doch lautlos empfangen-
Der Vorsitzende, Buchhändler Stchinsky, nahm zwar dem Wortlaute nach die
dargebotene deutsche Bruderhand an, lehnte aber jede entsprechende That geschickt
ab. Eine besorgliche Aufregung, zu deren Mäßigung die Hilfe zugesagt wurde,
wollte der Vorsitzende nicht kennen, die Aufregung sei ihm eine höchst erfreuliche.
Den Antrag, Deutsche in's Comite aufzunehmen, wollte er zur Berathung ziehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/243>, abgerufen am 29.06.2024.