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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Es gibt eine besonnene gemäßigte Adelspartei, die, von reiner Vaterlands¬
liebe durchglüht, das zu erringende Ziel klar vor Augen sieht und die Mittel er¬
wägt, die ihr zu Gebote stehen, die daher langsamer und um so sicherer vor-
schreiten möchte. -- Marcinkowski, dessen Werth darum auch nicht allgemein
anerkannt wurde, der aber Charakterstärke genug besaß, um sich nicht von seinem
Wege abbringen zu lassen, gehörte zu ihr; auf gleiche Weise rechnen wir mit
vielen Ehrenmännern Liebelt zu derselben. In Warschau und dem Königreich
Polen nennt man die Polen im Großherzogttmm Posen die Marktschreier;
mau meint mit ihnen die zuerst charakterisirte Partei.

Der scharfsinnige polnische Philosoph Trentowski in Freiburg, der hier in
Posen nicht absonderlich beliebt ist, wohl aber im Königreiche hoch verehrt wird
und in genauer Verbindung mit Marcinkowski stand, sprach sich noch vor einigen
Wochen in unserm Sinne aus, indem er vor den unvernünftigen Polen
warnte, die Hand in Hand mit Herwegh zu gehen die Absicht hätten, und Deutsch¬
land anflehte, von ihnen nicht einen Schluß auf die vernünftigen, besonnenen
Polen zu machen.

Wir haben bisher nur vom polnischen Adel gesprochen, weil es noch immer,
anch im Großherzogthum, keinen eigentlichen polnischen Mittelstand gibt, wenig¬
stens ist er so gering, daß er ohne Bedeutung bleibt und wo er besteht, sich mit
dem niedern Adel verbunden hat. -- Marcinkowski's Bemühungen gingen haupt¬
sächlich dahin, einen gehobenen Gewcrbcstand zu bilden. Der Bauer aber will
keine Veränderung, die materiellen Vortheile, welche ihm die preußische Regierung
hat zufließen lassen, sind ihm viel wichtiger erschienen, als nationale Institutionen.
Er kann demnach nur durch Furcht vor dem Adel, durch Anregung zum Fanatis¬
mus für seine Religion zum Aufstande erregt werden. Wie sehr diese Stimmung
der Bauern von der herrschenden polnischen Partei gefürchtet wird, zeigt folgendes
Beispiel. Das polnische Centralcomite in Posen erläßt am 15. April eine In-
struction an die Kreiscommissarien in Bezug auf die am 1. Mai vorzunehmenden
Wahlen und fordert darin ausdrücklich, den Ausdruck preußische Unterthanen
wegzulassen, weil dadurch die bäuerlichen Sympathien für die Negierung in's Spiel
gebracht werden könnten. Die Frage an einen Bauern, ob er deutsch werden
wolle, würde er mit Entrüstung zurückweisen, denn deutsch nud evangelisch sind
ihm gleich bedeutend; fragt man ihn aber, ob er preußisch bleiben wolle, so
spricht er voll Ehrfurcht von seinem König.

In Posen hatten nun die Pariser Februarereiguisse eine unerhörte Aufregung
hervorgerufen. Die Restaurationen waren zur Zeit der Postankuuft vollgedrängt,
die ankommenden Zeitungen, die im PostHause nur durch einen Kampf zu erringen
waren, wurden sofort als Gemeingut betrachtet, der Einzelne durfte sie nicht be¬
halten, wen" er sich nicht zum lauten Vorlesen bequemte und es sonderten sich


Es gibt eine besonnene gemäßigte Adelspartei, die, von reiner Vaterlands¬
liebe durchglüht, das zu erringende Ziel klar vor Augen sieht und die Mittel er¬
wägt, die ihr zu Gebote stehen, die daher langsamer und um so sicherer vor-
schreiten möchte. — Marcinkowski, dessen Werth darum auch nicht allgemein
anerkannt wurde, der aber Charakterstärke genug besaß, um sich nicht von seinem
Wege abbringen zu lassen, gehörte zu ihr; auf gleiche Weise rechnen wir mit
vielen Ehrenmännern Liebelt zu derselben. In Warschau und dem Königreich
Polen nennt man die Polen im Großherzogttmm Posen die Marktschreier;
mau meint mit ihnen die zuerst charakterisirte Partei.

Der scharfsinnige polnische Philosoph Trentowski in Freiburg, der hier in
Posen nicht absonderlich beliebt ist, wohl aber im Königreiche hoch verehrt wird
und in genauer Verbindung mit Marcinkowski stand, sprach sich noch vor einigen
Wochen in unserm Sinne aus, indem er vor den unvernünftigen Polen
warnte, die Hand in Hand mit Herwegh zu gehen die Absicht hätten, und Deutsch¬
land anflehte, von ihnen nicht einen Schluß auf die vernünftigen, besonnenen
Polen zu machen.

Wir haben bisher nur vom polnischen Adel gesprochen, weil es noch immer,
anch im Großherzogthum, keinen eigentlichen polnischen Mittelstand gibt, wenig¬
stens ist er so gering, daß er ohne Bedeutung bleibt und wo er besteht, sich mit
dem niedern Adel verbunden hat. — Marcinkowski's Bemühungen gingen haupt¬
sächlich dahin, einen gehobenen Gewcrbcstand zu bilden. Der Bauer aber will
keine Veränderung, die materiellen Vortheile, welche ihm die preußische Regierung
hat zufließen lassen, sind ihm viel wichtiger erschienen, als nationale Institutionen.
Er kann demnach nur durch Furcht vor dem Adel, durch Anregung zum Fanatis¬
mus für seine Religion zum Aufstande erregt werden. Wie sehr diese Stimmung
der Bauern von der herrschenden polnischen Partei gefürchtet wird, zeigt folgendes
Beispiel. Das polnische Centralcomite in Posen erläßt am 15. April eine In-
struction an die Kreiscommissarien in Bezug auf die am 1. Mai vorzunehmenden
Wahlen und fordert darin ausdrücklich, den Ausdruck preußische Unterthanen
wegzulassen, weil dadurch die bäuerlichen Sympathien für die Negierung in's Spiel
gebracht werden könnten. Die Frage an einen Bauern, ob er deutsch werden
wolle, würde er mit Entrüstung zurückweisen, denn deutsch nud evangelisch sind
ihm gleich bedeutend; fragt man ihn aber, ob er preußisch bleiben wolle, so
spricht er voll Ehrfurcht von seinem König.

In Posen hatten nun die Pariser Februarereiguisse eine unerhörte Aufregung
hervorgerufen. Die Restaurationen waren zur Zeit der Postankuuft vollgedrängt,
die ankommenden Zeitungen, die im PostHause nur durch einen Kampf zu erringen
waren, wurden sofort als Gemeingut betrachtet, der Einzelne durfte sie nicht be¬
halten, wen» er sich nicht zum lauten Vorlesen bequemte und es sonderten sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/240>, abgerufen am 28.09.2024.