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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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baren Uebereinstimmung, wir möchten sagen, im Temperamente der beiden Völker.
Wo wäre der Pole, gleich dem Franzosen, nicht als liebenswürdiger Gesellschafter
bekannt, der sich in jede Lage leicht zu finden weiß, starre Formen mit Genia¬
lität überspringt und Geist und Leben zu verbreiten versteht? Der Pole ist ge¬
schaffen zum leichten und fröhlichen Lebensgenuß, und wo es darauf ankommt
den Augenblick schnell zu erfassen, wird er dem bedächtigen Deutschen, der immer
"ach Zweck und Berechtigung dazu forscht, stets zuvorkommen. Dagegen sind die
Schwächen der Polen eben so großartig und allgemein anerkannt; der Pole ist vor
Allem kein guter Wirth; er fragt nie nach den Einnahmen, ehe er sich zur Aus¬
gabe bestimmen läßt; fehlt es ihm an Geld, so kommt es ihm nicht darauf an,
ob er 10 pCt. mehr oder weniger zahlt, wenn er es nur schnell bekommen kann.
Beachtet mau dazu die bedeutenden Opfer, welche der begüterte Adel im Jahre
1,830 brachte, die mächtigen und vielverbreiteten Anstrengungen, welche seit jenem
Jahre im Geheimen zur Gewinnung der nationalen Unabhängigkeit gemacht sind,
so kann es nicht befremden, daß ein großer Theil des polnischen Adels verarmt
ist. Deutsche Familien würden uuter solchen Verhältnissen die Mittel finden, um
ihre" Söhnen eine anch in pecuniärer Hinsicht gesicherte Existenz zu verschaffen,
indem sie dieselben zur Verwaltung eines Staatsamtes vorbereiten ließen. Dies
widerstrebt den Polen, nicht grade aus Mangel an Talent oder Fleiß, sondern
aus Abneigung davor, preußische Beamte zu sein, und aus Haß gegen die
deutschbedächtige langsame Weise, mit der in Preußen auf die Aneignung der zur
Verwaltung eines Amtes nöthigen Geschicklichkeit hingearbeitet wird. --

So gibt es denn gar wenige Polen, welche preußische Beamte sind, nicht
weil das preußische Gouvernement ihre Anstellung gescheut hat, sondern weil sie
sich nicht zur Anstellung meldeten, ja wir glauben es, ohne mißverstanden zu
werden, aussprechen zu dürfen, weil sie sich ihrer Nationaleigenthümlichkeit wegen
auch selten zu preußischen Beamten eigneten. Fehlt nun aber dieses Ausknnfts-
wittel dem, theils durch seinen großen Hang zum Wohlleben, theils durch
auf patriotische Anstrengungen verwandten Opfer verarmten Adel, um sich eine
'!"u zusagende Existenz zu sichern, so ist dadurch auch eine Partei hervorgerufen,
welche die Unzufriedenheit mit einem jeden geordneten Staatszustände nähren und
verbreiten muß.

Dieser verarmte Adel ist und bleibt, so lange er besteht, der Heerd, nicht
der Reorganisation, sondern der Revolution. Möge sein Entstehen und seine Ver¬
mehrung die perfide Staatskunst der Vergangenheit vertreten; sein Wirken aber
ist die Geißel Polens, das größte Hinderniß für seine Befreiung, denn diese
Partei, welche in diesem Augenblicke die Gewalt fast gänzlich an sich gerissen z"
haben scheint, erkennt die Freiheit nur in der Zügellosigkeit, das Heil Polens in
einer Überstürzung aller Verhältnisse, da die Unordnung allein das Element ist,
in dem sie sich Geltung zu verschaffen vermag.


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baren Uebereinstimmung, wir möchten sagen, im Temperamente der beiden Völker.
Wo wäre der Pole, gleich dem Franzosen, nicht als liebenswürdiger Gesellschafter
bekannt, der sich in jede Lage leicht zu finden weiß, starre Formen mit Genia¬
lität überspringt und Geist und Leben zu verbreiten versteht? Der Pole ist ge¬
schaffen zum leichten und fröhlichen Lebensgenuß, und wo es darauf ankommt
den Augenblick schnell zu erfassen, wird er dem bedächtigen Deutschen, der immer
„ach Zweck und Berechtigung dazu forscht, stets zuvorkommen. Dagegen sind die
Schwächen der Polen eben so großartig und allgemein anerkannt; der Pole ist vor
Allem kein guter Wirth; er fragt nie nach den Einnahmen, ehe er sich zur Aus¬
gabe bestimmen läßt; fehlt es ihm an Geld, so kommt es ihm nicht darauf an,
ob er 10 pCt. mehr oder weniger zahlt, wenn er es nur schnell bekommen kann.
Beachtet mau dazu die bedeutenden Opfer, welche der begüterte Adel im Jahre
1,830 brachte, die mächtigen und vielverbreiteten Anstrengungen, welche seit jenem
Jahre im Geheimen zur Gewinnung der nationalen Unabhängigkeit gemacht sind,
so kann es nicht befremden, daß ein großer Theil des polnischen Adels verarmt
ist. Deutsche Familien würden uuter solchen Verhältnissen die Mittel finden, um
ihre» Söhnen eine anch in pecuniärer Hinsicht gesicherte Existenz zu verschaffen,
indem sie dieselben zur Verwaltung eines Staatsamtes vorbereiten ließen. Dies
widerstrebt den Polen, nicht grade aus Mangel an Talent oder Fleiß, sondern
aus Abneigung davor, preußische Beamte zu sein, und aus Haß gegen die
deutschbedächtige langsame Weise, mit der in Preußen auf die Aneignung der zur
Verwaltung eines Amtes nöthigen Geschicklichkeit hingearbeitet wird. —

So gibt es denn gar wenige Polen, welche preußische Beamte sind, nicht
weil das preußische Gouvernement ihre Anstellung gescheut hat, sondern weil sie
sich nicht zur Anstellung meldeten, ja wir glauben es, ohne mißverstanden zu
werden, aussprechen zu dürfen, weil sie sich ihrer Nationaleigenthümlichkeit wegen
auch selten zu preußischen Beamten eigneten. Fehlt nun aber dieses Ausknnfts-
wittel dem, theils durch seinen großen Hang zum Wohlleben, theils durch
auf patriotische Anstrengungen verwandten Opfer verarmten Adel, um sich eine
'!»u zusagende Existenz zu sichern, so ist dadurch auch eine Partei hervorgerufen,
welche die Unzufriedenheit mit einem jeden geordneten Staatszustände nähren und
verbreiten muß.

Dieser verarmte Adel ist und bleibt, so lange er besteht, der Heerd, nicht
der Reorganisation, sondern der Revolution. Möge sein Entstehen und seine Ver¬
mehrung die perfide Staatskunst der Vergangenheit vertreten; sein Wirken aber
ist die Geißel Polens, das größte Hinderniß für seine Befreiung, denn diese
Partei, welche in diesem Augenblicke die Gewalt fast gänzlich an sich gerissen z"
haben scheint, erkennt die Freiheit nur in der Zügellosigkeit, das Heil Polens in
einer Überstürzung aller Verhältnisse, da die Unordnung allein das Element ist,
in dem sie sich Geltung zu verschaffen vermag.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/239>, abgerufen am 29.06.2024.