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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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welche das Vorspiel seiner nachmaligen diplomatischen Carriere waren. Die Doc-
trin der reaktionären Politik ist aus der Berliner liederlichen Romantik hervorge¬
gangen. Genz's Seele war getheilt; hier Christel, dort Nadel. Ans der
einen Seite die muntre, reizende Kriselte, die Weingelage, der Pharaotisch, Alles
was das menschliche Raffinement ausgedacht hat, sich so schnell wie möglich selbst
umzubringen; auf der andern die unverständlich hohe Seele, die in ihrem Salon
hoch in den Wolken über dem Getreide menschlicher Leidenschaften und Interessen
schwebte, aus Furcht, bei näherer Berührung durch die zu gewaltige Expansiv¬
kraft ihrer Seele die Welt zu zertrümmern. Es ist ergötzlich, dieser Briefwechsel
zwischen dem alten, abgefeimten Diplomaten, der nur das Endliche sah, und dem
genialen Weibe, das nur im Aether des Unendlichen zu schweben vermochte; wenn
er ihm seine kleinen Spitzbübereien treulich berichtet, überzeugt, sie stehe zu hoch,
um nicht mit gleicher Liebe auf den Sünder wie auf den Tugendspiegel herabzuse¬
hen, vorausgesetzt, daß beide interessant und vornehm genug wären. Wenn er an sie
schreibt: "Nein, was sind Sie für ein göttliches Weib! was können Sie für herr¬
liche Briefe schreiben! Ich verstehe sie zwar nicht, aber" u. s. w. Dem liederlichen
Genie ist es ein geheimer Kitzel, von einem abstract genialen Wesen in seiner
Genialität gewürdigt zu werden, mit der sich näher abzugeben er dnrch die curren-
ten Geschäfte abgehalten wird. Später, in grauen Haaren, war er auf der einen
Seite der epikuräische Wollüstling, der seinen gastronomischen Studien dnrch eine
Spätsommerliebe zu der schönen Tänzerin, die nachher eine europäische und trans¬
atlantische Berühmtheit geworden ist, eine poetische Weihe gab, ans der andern
der ritterliche Champion der Legitimität, der Anwalt jenes heuchlerischen Despo¬
tismus, der die Welt in den Staub niederdrückt, um sie vor Unsittlichkeiten zu
bewahren.

Ein Bund, der uicht so selten ist. Das aristokratische Berlin hatte seinen
Charakter aus den Zeiten Friedrich Wilhelm II. her. Abgesehen von den
Resten der altfritzischen, französischen, starkgcistigcu Frivoluät und dem militärischen
Preußenthum aus den Reminiscenzen des siebenjährigen Krieges, begegneten sich
hier nebeneinander die Lichten an mit ihrem an die Zeiten der römischen Kaiser
streifenden sinnlichen Raffinement, Bisch offsw erber mit seinem Mysticismus, seinem
Ordenswesen und seiner Geistersehern, und Wöllner mit seinen christlichen StaatS-
reccptcn. Alle drei stimmten sehr gut zusammen; der Unglaube an die wahrhaft
sittlichen Ideen macht das Herz leer, und geneigt, sich in die unsinnigsten Schwär¬
mereien künstlich hinein zu deklamiren. Wir haben dieselbe Wirthschaft in unsern
^S.en in zweiter Auflage erlebt.

Romantisch war diese Zeit, wo das uckermärkische Jnnkerthnm, die über alles
^"""Mcbcnde Speculation, die Alles besser wissende Diplomatie und die Geuia-
Utat, die sich ^ heilig achtete, um mit dem gemeinen Sterblichen sich in ernst-
hafte Berührung einzulassen, sich fanden: die schöne Zeit des Prinzen Louis und des


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welche das Vorspiel seiner nachmaligen diplomatischen Carriere waren. Die Doc-
trin der reaktionären Politik ist aus der Berliner liederlichen Romantik hervorge¬
gangen. Genz's Seele war getheilt; hier Christel, dort Nadel. Ans der
einen Seite die muntre, reizende Kriselte, die Weingelage, der Pharaotisch, Alles
was das menschliche Raffinement ausgedacht hat, sich so schnell wie möglich selbst
umzubringen; auf der andern die unverständlich hohe Seele, die in ihrem Salon
hoch in den Wolken über dem Getreide menschlicher Leidenschaften und Interessen
schwebte, aus Furcht, bei näherer Berührung durch die zu gewaltige Expansiv¬
kraft ihrer Seele die Welt zu zertrümmern. Es ist ergötzlich, dieser Briefwechsel
zwischen dem alten, abgefeimten Diplomaten, der nur das Endliche sah, und dem
genialen Weibe, das nur im Aether des Unendlichen zu schweben vermochte; wenn
er ihm seine kleinen Spitzbübereien treulich berichtet, überzeugt, sie stehe zu hoch,
um nicht mit gleicher Liebe auf den Sünder wie auf den Tugendspiegel herabzuse¬
hen, vorausgesetzt, daß beide interessant und vornehm genug wären. Wenn er an sie
schreibt: „Nein, was sind Sie für ein göttliches Weib! was können Sie für herr¬
liche Briefe schreiben! Ich verstehe sie zwar nicht, aber" u. s. w. Dem liederlichen
Genie ist es ein geheimer Kitzel, von einem abstract genialen Wesen in seiner
Genialität gewürdigt zu werden, mit der sich näher abzugeben er dnrch die curren-
ten Geschäfte abgehalten wird. Später, in grauen Haaren, war er auf der einen
Seite der epikuräische Wollüstling, der seinen gastronomischen Studien dnrch eine
Spätsommerliebe zu der schönen Tänzerin, die nachher eine europäische und trans¬
atlantische Berühmtheit geworden ist, eine poetische Weihe gab, ans der andern
der ritterliche Champion der Legitimität, der Anwalt jenes heuchlerischen Despo¬
tismus, der die Welt in den Staub niederdrückt, um sie vor Unsittlichkeiten zu
bewahren.

Ein Bund, der uicht so selten ist. Das aristokratische Berlin hatte seinen
Charakter aus den Zeiten Friedrich Wilhelm II. her. Abgesehen von den
Resten der altfritzischen, französischen, starkgcistigcu Frivoluät und dem militärischen
Preußenthum aus den Reminiscenzen des siebenjährigen Krieges, begegneten sich
hier nebeneinander die Lichten an mit ihrem an die Zeiten der römischen Kaiser
streifenden sinnlichen Raffinement, Bisch offsw erber mit seinem Mysticismus, seinem
Ordenswesen und seiner Geistersehern, und Wöllner mit seinen christlichen StaatS-
reccptcn. Alle drei stimmten sehr gut zusammen; der Unglaube an die wahrhaft
sittlichen Ideen macht das Herz leer, und geneigt, sich in die unsinnigsten Schwär¬
mereien künstlich hinein zu deklamiren. Wir haben dieselbe Wirthschaft in unsern
^S.en in zweiter Auflage erlebt.

Romantisch war diese Zeit, wo das uckermärkische Jnnkerthnm, die über alles
^"""Mcbcnde Speculation, die Alles besser wissende Diplomatie und die Geuia-
Utat, die sich ^ heilig achtete, um mit dem gemeinen Sterblichen sich in ernst-
hafte Berührung einzulassen, sich fanden: die schöne Zeit des Prinzen Louis und des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/23>, abgerufen am 26.06.2024.