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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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-- noch dazu, ehe man von der factischen Sicherheit dieser Grundlagen, von der
Giltigkeit dieser Beschlüsse in den einzelnen Provinzen sich gehörig unterrichtet hat.
Bei einzelnen Fragen, z. B. der Freizügigkeit, ist freilich ein constitnirenber Be¬
schluß der Nationalversammlung nothwendig, doch wäre es auch hier heilsam, wenn
ein Vertreter der einzelnen Staaten der Versammlung gegenüber das bestehende
Recht verträte und erklärte. Im Allgemeinen machte aber die Versammlung auch
in dieser Verhandlung einen höchst günstigen Eindruck; daß sie die Pariser, Ber¬
liner und Wiener in jeder Beziehung an Ehrlichkeit, wie an gründlicher Einsicht
weit hinter sich läßt, will nicht viel sagen, aber sie hat auch mit keiner frühern
constituirenden Versammlung den Vergleich zu scheuen. Sie ist--wie jede Consti¬
tuante -- mit ihren Amendements etwas ungeschickt, es herrscht ein Antragsficber.
das die Stellung des Präsidenten sehr erschwert, dagegen tritt doch in jeder De¬
batte der eine und der audere auf, der mit Einsicht und Verstand auf die Sache
eingeht, und außerdem eine und die andere originelle Figur, die die Versammlung
und die Galerie amüsirt, was ebenfalls nothwendig ist.

Dem Vorparlament und dem Fünfziger-Ausschuß gegenüber ist die Versamm¬
lung natürlich conservativ zu nennen, schon ihre rechtliche Begründung, im Gegen¬
satz zu dem revolutionären Wesen jeuer beiden, bringt das mit sich, daß die ra¬
dikale Partei schlimmer aus sie zu sprechen ist, als auf ihre beiden Vorgänger,
darf daher Niemand wundern. In den zu Leipzig erscheinenden Vaterlandsblät-
tern, dem Organ Robert Blums, war nachgewiesen, wie die ungeheure Majorität
der Versammlung durch Radowitz, Vincke und die übrigen Verschwornen in
ein ungeheures Komplott verwickelt wäre, mit Hilfe Rußlands den Absolutismus
wieder herzustellen, und wenn ich nicht irre, auch Frankieich zu erober". Robert
Blum selber ist zu klug dazu, solche Behauptungen offen in der Versammlung
auszusprechen, aber seine Anhänger versäumen keine Gelegenheit, ihn damit zu
compromittiren. Eine wahrhaft tragikomische Scene der Art veranlaßte kürzlich
Herr Martiny.

Die Nationalversammlung hat, im Verein mit der Centralgewalt, den schönen
Beruf, der Partei der rechtlichen Freiheit zum Mittelpunkt zu dienen. Die
konstitutionellen Vereine, so gut gemeint ihre Tendenz ist, kann das nicht, denn
in den Clubs ist die conservative Partei stets im Nachtheil gegen die Opposition.
Die letztere hat nichts zu verantworten, sie kann sich auf das bequeme Spiel
der Kritik beschränken. Conservative Clubs sind zweideutige, oft sehr unbequeme
Bundesgenossen der Negierung, wenn sie nicht älter sind als die Regierung, wenn
sie nicht einen positiverer Inhalt haben, als den bloßen Widerstand gegen die Anar¬
chie, wenn sie nicht -- wie die englischen Parteien -- eine Macht bilden, von der
die Regierung abhängr. Dagegen wird die Anarchie das Ihrige thun, sich selber
um allen Credit zu bringen. Ich erinnere an den Briefwechsel zwischen Hecker
und Heinzen, das Votum der siebzehn Radikalen in der Singakademie (worunter


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— noch dazu, ehe man von der factischen Sicherheit dieser Grundlagen, von der
Giltigkeit dieser Beschlüsse in den einzelnen Provinzen sich gehörig unterrichtet hat.
Bei einzelnen Fragen, z. B. der Freizügigkeit, ist freilich ein constitnirenber Be¬
schluß der Nationalversammlung nothwendig, doch wäre es auch hier heilsam, wenn
ein Vertreter der einzelnen Staaten der Versammlung gegenüber das bestehende
Recht verträte und erklärte. Im Allgemeinen machte aber die Versammlung auch
in dieser Verhandlung einen höchst günstigen Eindruck; daß sie die Pariser, Ber¬
liner und Wiener in jeder Beziehung an Ehrlichkeit, wie an gründlicher Einsicht
weit hinter sich läßt, will nicht viel sagen, aber sie hat auch mit keiner frühern
constituirenden Versammlung den Vergleich zu scheuen. Sie ist—wie jede Consti¬
tuante — mit ihren Amendements etwas ungeschickt, es herrscht ein Antragsficber.
das die Stellung des Präsidenten sehr erschwert, dagegen tritt doch in jeder De¬
batte der eine und der audere auf, der mit Einsicht und Verstand auf die Sache
eingeht, und außerdem eine und die andere originelle Figur, die die Versammlung
und die Galerie amüsirt, was ebenfalls nothwendig ist.

Dem Vorparlament und dem Fünfziger-Ausschuß gegenüber ist die Versamm¬
lung natürlich conservativ zu nennen, schon ihre rechtliche Begründung, im Gegen¬
satz zu dem revolutionären Wesen jeuer beiden, bringt das mit sich, daß die ra¬
dikale Partei schlimmer aus sie zu sprechen ist, als auf ihre beiden Vorgänger,
darf daher Niemand wundern. In den zu Leipzig erscheinenden Vaterlandsblät-
tern, dem Organ Robert Blums, war nachgewiesen, wie die ungeheure Majorität
der Versammlung durch Radowitz, Vincke und die übrigen Verschwornen in
ein ungeheures Komplott verwickelt wäre, mit Hilfe Rußlands den Absolutismus
wieder herzustellen, und wenn ich nicht irre, auch Frankieich zu erober». Robert
Blum selber ist zu klug dazu, solche Behauptungen offen in der Versammlung
auszusprechen, aber seine Anhänger versäumen keine Gelegenheit, ihn damit zu
compromittiren. Eine wahrhaft tragikomische Scene der Art veranlaßte kürzlich
Herr Martiny.

Die Nationalversammlung hat, im Verein mit der Centralgewalt, den schönen
Beruf, der Partei der rechtlichen Freiheit zum Mittelpunkt zu dienen. Die
konstitutionellen Vereine, so gut gemeint ihre Tendenz ist, kann das nicht, denn
in den Clubs ist die conservative Partei stets im Nachtheil gegen die Opposition.
Die letztere hat nichts zu verantworten, sie kann sich auf das bequeme Spiel
der Kritik beschränken. Conservative Clubs sind zweideutige, oft sehr unbequeme
Bundesgenossen der Negierung, wenn sie nicht älter sind als die Regierung, wenn
sie nicht einen positiverer Inhalt haben, als den bloßen Widerstand gegen die Anar¬
chie, wenn sie nicht — wie die englischen Parteien -- eine Macht bilden, von der
die Regierung abhängr. Dagegen wird die Anarchie das Ihrige thun, sich selber
um allen Credit zu bringen. Ich erinnere an den Briefwechsel zwischen Hecker
und Heinzen, das Votum der siebzehn Radikalen in der Singakademie (worunter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/213>, abgerufen am 28.09.2024.