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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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gab. "Eine neue Theilung Polens!" "Schändlich, einen Leichnam zerstückeln!"
"Abwarten bis Polen frei ist und dann die deutschen Kreise von ihm erobern! "
Und ähnlicher Unsinn. Den Preis in dieser Sache erwarb sich Jordan aus
Ostpreußen, der mit ebensoviel Klarheit als männlichem Freimuth der Frage den
richtigen Ausdruck gab. "Es ist nichts Anderes geschehen, als daß man festgestellt
hat, wie weit sich Deutschland thatsächlich nach Osten erstrecke, d. h. wie weit
deutsche Sprache und Gesittung siegreich vorgedrungen ist. Die Frage reducirt
sich darauf: Soll eine halbe Million Deutscher unter deutscher Negierung, unter
deutschen Beamten leben und zum großen deutschen Vaterlande gehören, oder
sollen sie in der secundären Rolle natnralistrter Ausländer in die Unterthänigkeit
einer anderen Nationalität, die nicht so viel humanen Inhalt hat als das Deutsch-
thum, gegeben werden?" Mit Recht nennt er es eine schwachsinnige Sentimenta¬
lität, Polen blos deswegen herstellen zu wollen, weil sein Untergang uns mit
gerechter Trauer erfüllt. Jordan wird Hab über das Zischen seiner bisherigen
Partei, mit der sich übrigens, wie zu erwarten, die Ultramontanen verbanden,
zu trösten wissen.

Der letzte Versuch der linken Seite, der Antrag Schaffrath's: "Polens Thei¬
lung für eine Schändlichkeit zu erklären (wonach sich also die Versammln"", an
Stelle der Geschichte gesetzt hätte) und das deutsche Volk zur Wiederherstellung
dieses Reichs zu verpflichten," scheitert wie die früheren. Die Versammlung zeigte
den Muth der Selbstbeschränkung. Der hohle Enthusiasmus für irgend eine Vor¬
stellung ist eines politischen Körpers unwürdig; nur das darf man verheißen,
dessen Ausführung im Reich der Möglichkeit liegt. Abgesehen davon, daß der sonst
unvermeidliche Krieg mit Rußland nun nicht eintritt, find die Polen auf ihre eigene
Kraft angewiesen; für sie zum Heil, denn ihr bisheriges Träume" war krankhaft,
nur durch selbstständige, ausdauernde Arbeit könne" sie wahrhaft frei werden.




In Beziehung anf die inneren - die Familienangelegenheiten, wie Herr
v. Auerswald sich ausdrückt, hat die Nationalversammlung die schwierige Aufgabe,
sich vor Uebergriffen zu hüten, ohne doch der zum Gedeihen des Gesammrvater-
landes nothwendigen Centralisation etwas zu vergeben. Die Neigung zur Uniformität
nach französischem Muster hat sich denn auch gezeigt. Die ersten staatsrechtlichen
Versammlungen bewegen sich auf theoretischem Gebiet, ungefähr wie die der fran¬
zösischen Assemblve von 1789 über die "Menschenrechte," deren Muster Lafayette
aus Nordamerika mitgebracht hatte. Die höhere Cultur unserer Zeit drückt sich in
der concreteren Fassung aus; wir sprechen doch nicht mehr von den Rechten des
abstracten Menschen, sondern von den Rechten des deutschen Staatsbürgers. Aber
auch hier ist die Frage, ob man nicht schneller und sicherer zum Ziele käme, wenn
man sich auf die Befriedigung bestimmter, im einzelne" vorliegender Bedürfnisse
beschränkte, anstatt ein ganz neues Gebäude von Grund aus aufführen zu wollen


gab. „Eine neue Theilung Polens!" „Schändlich, einen Leichnam zerstückeln!"
„Abwarten bis Polen frei ist und dann die deutschen Kreise von ihm erobern! "
Und ähnlicher Unsinn. Den Preis in dieser Sache erwarb sich Jordan aus
Ostpreußen, der mit ebensoviel Klarheit als männlichem Freimuth der Frage den
richtigen Ausdruck gab. „Es ist nichts Anderes geschehen, als daß man festgestellt
hat, wie weit sich Deutschland thatsächlich nach Osten erstrecke, d. h. wie weit
deutsche Sprache und Gesittung siegreich vorgedrungen ist. Die Frage reducirt
sich darauf: Soll eine halbe Million Deutscher unter deutscher Negierung, unter
deutschen Beamten leben und zum großen deutschen Vaterlande gehören, oder
sollen sie in der secundären Rolle natnralistrter Ausländer in die Unterthänigkeit
einer anderen Nationalität, die nicht so viel humanen Inhalt hat als das Deutsch-
thum, gegeben werden?" Mit Recht nennt er es eine schwachsinnige Sentimenta¬
lität, Polen blos deswegen herstellen zu wollen, weil sein Untergang uns mit
gerechter Trauer erfüllt. Jordan wird Hab über das Zischen seiner bisherigen
Partei, mit der sich übrigens, wie zu erwarten, die Ultramontanen verbanden,
zu trösten wissen.

Der letzte Versuch der linken Seite, der Antrag Schaffrath's: „Polens Thei¬
lung für eine Schändlichkeit zu erklären (wonach sich also die Versammln»«, an
Stelle der Geschichte gesetzt hätte) und das deutsche Volk zur Wiederherstellung
dieses Reichs zu verpflichten," scheitert wie die früheren. Die Versammlung zeigte
den Muth der Selbstbeschränkung. Der hohle Enthusiasmus für irgend eine Vor¬
stellung ist eines politischen Körpers unwürdig; nur das darf man verheißen,
dessen Ausführung im Reich der Möglichkeit liegt. Abgesehen davon, daß der sonst
unvermeidliche Krieg mit Rußland nun nicht eintritt, find die Polen auf ihre eigene
Kraft angewiesen; für sie zum Heil, denn ihr bisheriges Träume» war krankhaft,
nur durch selbstständige, ausdauernde Arbeit könne» sie wahrhaft frei werden.




In Beziehung anf die inneren - die Familienangelegenheiten, wie Herr
v. Auerswald sich ausdrückt, hat die Nationalversammlung die schwierige Aufgabe,
sich vor Uebergriffen zu hüten, ohne doch der zum Gedeihen des Gesammrvater-
landes nothwendigen Centralisation etwas zu vergeben. Die Neigung zur Uniformität
nach französischem Muster hat sich denn auch gezeigt. Die ersten staatsrechtlichen
Versammlungen bewegen sich auf theoretischem Gebiet, ungefähr wie die der fran¬
zösischen Assemblve von 1789 über die „Menschenrechte," deren Muster Lafayette
aus Nordamerika mitgebracht hatte. Die höhere Cultur unserer Zeit drückt sich in
der concreteren Fassung aus; wir sprechen doch nicht mehr von den Rechten des
abstracten Menschen, sondern von den Rechten des deutschen Staatsbürgers. Aber
auch hier ist die Frage, ob man nicht schneller und sicherer zum Ziele käme, wenn
man sich auf die Befriedigung bestimmter, im einzelne» vorliegender Bedürfnisse
beschränkte, anstatt ein ganz neues Gebäude von Grund aus aufführen zu wollen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/212>, abgerufen am 29.06.2024.