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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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leider auch Johann Jacoby!) zu Gunsten des Abgeordneten Kuhr, endlich die wür¬
dige Erklärung des Demagogen Held vor Gericht.

Wenn aber die Centralgewalt ihren Beruf, die Stütze der Ordnung zu sein, erfüllen
will, so muß sie sich erst über die Natur der föderalistischen Staatsform ins Klare setzen;
sie muß begreifen, daß ihre Macht innerhalb der Organisation der einzelnen
Staaten liege, nicht draußen. So aber ist es mehrfach geschehn, daß sie von der
revolutionären Fraction als Feldgeschrei gegen die Sache der Ordnung und des
Rechts benutzt ist. Zu solchen übereilten und bedenklichen Schritten zähle ich die
Aufforderung des Reichskriegsministers an die sämmtlichen Armeen, dem Reichs-
verweser an einem bestimmten Tage zu huldigen; besonders, da ungefähr in der¬
selben Zeit die wohlgemeinte, aber höchst, höchst unzeitige Erklärung der drei
Professoren über die Funktionen der Centralgewalt hinzukam, nach der es so aus¬
sah, als sollten die östreichischen und preußischen Truppen aus den östreichischen
und preußischen Festungen verlegt und diese einer "Reichsarmee" zur Besetzung
anvertraut werden. Was als letztes Ziel einer organischen Entwickelung in Aus¬
sicht gestellt werden dürfte, -- die diplomatische, militärische und merkantile Ein¬
heit des Reichs, trat hier mit der Impertinenz eines unmittelbaren Postulats den
einzelnen Staaten entgegen. Wenn man die Abstraction der gelehrten Männer
in die Sprache des gewöhnlichen Lebens übersetzt, so verliert sie freilich viel
von ihren Gehässigkeiten, denn jene "Reichstruppen" werden doch wohl wieder
Oestreicher, Preußen ze. sein sollen, aber es kommt hier eben auf den Ausdruck
an. Wenn die Centralgewalt die bestehenden Verhältnisse nicht schont, wenn sie
damit anfängt, alles was ihr uneben dünkt, zu "zermalmen," -- so wird ihr
Reich nicht lange von dieser Welt sein. Jene Aufforderung des Herrn v. Peucker
war freilich das schlimmere, denn sie war officiell. Sie ist einmal überflüssig,
denn es versteht sich von selbst, daß Kriege nur noch im Namen des Reichs ge¬
führt werden dürfen; sie ist ungenügend, denn der Reichsverweser ist ja ein
proviforisches Institut; sie ist unklar, denn der arme preußische Soldat muß
nnn vier Eide leisten, Treue gegen den König, gegen den Reichsverweser, die
Preußische und die Reichsverfassung, Eide: die in ihrem Wesen identisch sind,
deren Identität aber dem Verstand eines Bauerburschen nicht begreiflich gemacht
werden kann; sie ist endlich beleidigend gegen die bisher souveränen Fürsten,
die uun mit einmal in der Form eines Vasallen auftreten. Sie hat daher in
Preußen, wo man bisher von Reaction nnr gefabelt hat, eine wirkliche und dies¬
mal sehr ernsthafte Reaction hervorgerufen, und der "Reichsverweser" ist plötzlich
das Feldgeschrei der Radikalen, der Republikaner, der Zeughausstürmer geworden.
Nicht das specifische Preußenthum reagirt gegen die deutsche Freiheit, sondern die
reactionäre, aristokratisch-realistische Partei benutzt die unvorsichtige Verletzung
des preußischen Ehrgefühls, um gegen die neuen Staatsformen zu intriguiren.
Was folgt anders daraus, als eine Schwächung des Ansehns der Centralgewalt?


leider auch Johann Jacoby!) zu Gunsten des Abgeordneten Kuhr, endlich die wür¬
dige Erklärung des Demagogen Held vor Gericht.

Wenn aber die Centralgewalt ihren Beruf, die Stütze der Ordnung zu sein, erfüllen
will, so muß sie sich erst über die Natur der föderalistischen Staatsform ins Klare setzen;
sie muß begreifen, daß ihre Macht innerhalb der Organisation der einzelnen
Staaten liege, nicht draußen. So aber ist es mehrfach geschehn, daß sie von der
revolutionären Fraction als Feldgeschrei gegen die Sache der Ordnung und des
Rechts benutzt ist. Zu solchen übereilten und bedenklichen Schritten zähle ich die
Aufforderung des Reichskriegsministers an die sämmtlichen Armeen, dem Reichs-
verweser an einem bestimmten Tage zu huldigen; besonders, da ungefähr in der¬
selben Zeit die wohlgemeinte, aber höchst, höchst unzeitige Erklärung der drei
Professoren über die Funktionen der Centralgewalt hinzukam, nach der es so aus¬
sah, als sollten die östreichischen und preußischen Truppen aus den östreichischen
und preußischen Festungen verlegt und diese einer „Reichsarmee" zur Besetzung
anvertraut werden. Was als letztes Ziel einer organischen Entwickelung in Aus¬
sicht gestellt werden dürfte, — die diplomatische, militärische und merkantile Ein¬
heit des Reichs, trat hier mit der Impertinenz eines unmittelbaren Postulats den
einzelnen Staaten entgegen. Wenn man die Abstraction der gelehrten Männer
in die Sprache des gewöhnlichen Lebens übersetzt, so verliert sie freilich viel
von ihren Gehässigkeiten, denn jene „Reichstruppen" werden doch wohl wieder
Oestreicher, Preußen ze. sein sollen, aber es kommt hier eben auf den Ausdruck
an. Wenn die Centralgewalt die bestehenden Verhältnisse nicht schont, wenn sie
damit anfängt, alles was ihr uneben dünkt, zu „zermalmen," — so wird ihr
Reich nicht lange von dieser Welt sein. Jene Aufforderung des Herrn v. Peucker
war freilich das schlimmere, denn sie war officiell. Sie ist einmal überflüssig,
denn es versteht sich von selbst, daß Kriege nur noch im Namen des Reichs ge¬
führt werden dürfen; sie ist ungenügend, denn der Reichsverweser ist ja ein
proviforisches Institut; sie ist unklar, denn der arme preußische Soldat muß
nnn vier Eide leisten, Treue gegen den König, gegen den Reichsverweser, die
Preußische und die Reichsverfassung, Eide: die in ihrem Wesen identisch sind,
deren Identität aber dem Verstand eines Bauerburschen nicht begreiflich gemacht
werden kann; sie ist endlich beleidigend gegen die bisher souveränen Fürsten,
die uun mit einmal in der Form eines Vasallen auftreten. Sie hat daher in
Preußen, wo man bisher von Reaction nnr gefabelt hat, eine wirkliche und dies¬
mal sehr ernsthafte Reaction hervorgerufen, und der „Reichsverweser" ist plötzlich
das Feldgeschrei der Radikalen, der Republikaner, der Zeughausstürmer geworden.
Nicht das specifische Preußenthum reagirt gegen die deutsche Freiheit, sondern die
reactionäre, aristokratisch-realistische Partei benutzt die unvorsichtige Verletzung
des preußischen Ehrgefühls, um gegen die neuen Staatsformen zu intriguiren.
Was folgt anders daraus, als eine Schwächung des Ansehns der Centralgewalt?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/214>, abgerufen am 28.09.2024.