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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Nationalversammlung vorläufig zugelassen. Es handelte sich M die definitive
Feststellung dieser Verhältnisse.

Der Antrag der Commission ging dahin, die Trennung der deutschen Lar>
destheile des Großherzogthums von den polnischen und die Vereinigung der er¬
steren mit dem Reich im Prinzip anzuerkennen; die Modalität dieser Theilung,
die genauere Bestimmung der Grenzlinie einer späteren Entscheidung ^. "zH
Maßgabe einer genauern Vorlage der preußischen Negierung -- zu überlassen.

Dagegen forderte die äußerste Linke die Einberufung eines europäischen
Congresses -- natürlich die russischen "Barbaren" ausgeschlossen -- weil die polnische
Frage eine europäische sei, keine deutsche. Arnold Rüge, der Wortführer die¬
ser Partei, verwickelte sich in die allgemeinen Ideen des "Humanismus" derge¬
stalt, daß er zuletzt keinen Ausweg mehr fand, sich erhitzte und die gesammten
Oestreicher durch seinen Wunsch, Radetzki möchte von den Italienern geschlagen
werden, skandalisirte. Die posener AlWeordneten hielten sich ernst und würdig;
sie beschuldigten die deutsche Nation, wenn sie aus wunderlichen kosmopolitischen
Ideen ihre Brüder an einen Staat verkaufte, der noch gar nicht existirte, der
aber keinesfalls eine gute Heimath sein würde, geradezu des Verraths und er¬
klärten, sie würden in diesem Fall ihre Freiheit mit den Waffen zu schützen wissen.
Robert Blum trat mit seiner Sympathie für die Barrikadenbrüder nicht ganz
so offen hervor; er schützte die Jncompctenz der Versammlung vor und trug dar¬
auf an, eine Commission nach Posen zu schicken, um den Streit zwischen der
preußischen Regierung und den Polen zu untersuchen. Seinem Antrag lag der
geheime Sinn zu Grunde: was die preußische Regierung uns von jenen Verhält¬
nissen erzählt , ist gelogen, denn sie ist Negierung; was die Deutschen aus Posen
erzählen, ist gleichfalls erlogen, denn sie stimmen mit der Regierung überein;
was dagegen die Polen sagen, müssen wir als wahr annehmen, denn es find
Männer der Barrikaden. Ruge's Antrag, der doch wenigstens ein Prinzip ver¬
trat, fand nnr wenige Stimmen; für den gänzlich prinziplosen und perfiden An¬
trag des Abgeordneten von Leipzig stimmte ein Drittel der Versadimlung! -- Die
Anrräge der Commission wurden angenommen, mit dem sehr schlechten Amendement
des Oestreichers Giskra: die definitive Entscheidung der Grenzlinie sollte nicht
nach Vorlagen der preußischen Negierung, sondern nach einer Vorlage des Reichs-
derwesers erfolgen: eine Modification, die ebenso unausführbar als beleidigend
für Preußen ist. Noch immer bedenkt die Versammlung viel zu wenig, daß sie
so mächtiger ist, je weniger sie sich in die inneren Angelegenheiten der einzel-
nen Staaten, die sie doch im Detail uicht versteht, einmischt. Daß es sich aber
hier zunächst um eine innere Angelegenheit des preußischen Staats handelt, liegt
doch wohl auf der Hand.

Die Linke wurde doppelt' geschlagen: einmal in dem Resultat, dann in dem
moralischen Eindruck, den die hohlen Phrasen machten, die sie diesmal zum Besten


Nationalversammlung vorläufig zugelassen. Es handelte sich M die definitive
Feststellung dieser Verhältnisse.

Der Antrag der Commission ging dahin, die Trennung der deutschen Lar>
destheile des Großherzogthums von den polnischen und die Vereinigung der er¬
steren mit dem Reich im Prinzip anzuerkennen; die Modalität dieser Theilung,
die genauere Bestimmung der Grenzlinie einer späteren Entscheidung ^. „zH
Maßgabe einer genauern Vorlage der preußischen Negierung — zu überlassen.

Dagegen forderte die äußerste Linke die Einberufung eines europäischen
Congresses — natürlich die russischen „Barbaren" ausgeschlossen — weil die polnische
Frage eine europäische sei, keine deutsche. Arnold Rüge, der Wortführer die¬
ser Partei, verwickelte sich in die allgemeinen Ideen des „Humanismus" derge¬
stalt, daß er zuletzt keinen Ausweg mehr fand, sich erhitzte und die gesammten
Oestreicher durch seinen Wunsch, Radetzki möchte von den Italienern geschlagen
werden, skandalisirte. Die posener AlWeordneten hielten sich ernst und würdig;
sie beschuldigten die deutsche Nation, wenn sie aus wunderlichen kosmopolitischen
Ideen ihre Brüder an einen Staat verkaufte, der noch gar nicht existirte, der
aber keinesfalls eine gute Heimath sein würde, geradezu des Verraths und er¬
klärten, sie würden in diesem Fall ihre Freiheit mit den Waffen zu schützen wissen.
Robert Blum trat mit seiner Sympathie für die Barrikadenbrüder nicht ganz
so offen hervor; er schützte die Jncompctenz der Versammlung vor und trug dar¬
auf an, eine Commission nach Posen zu schicken, um den Streit zwischen der
preußischen Regierung und den Polen zu untersuchen. Seinem Antrag lag der
geheime Sinn zu Grunde: was die preußische Regierung uns von jenen Verhält¬
nissen erzählt , ist gelogen, denn sie ist Negierung; was die Deutschen aus Posen
erzählen, ist gleichfalls erlogen, denn sie stimmen mit der Regierung überein;
was dagegen die Polen sagen, müssen wir als wahr annehmen, denn es find
Männer der Barrikaden. Ruge's Antrag, der doch wenigstens ein Prinzip ver¬
trat, fand nnr wenige Stimmen; für den gänzlich prinziplosen und perfiden An¬
trag des Abgeordneten von Leipzig stimmte ein Drittel der Versadimlung! — Die
Anrräge der Commission wurden angenommen, mit dem sehr schlechten Amendement
des Oestreichers Giskra: die definitive Entscheidung der Grenzlinie sollte nicht
nach Vorlagen der preußischen Negierung, sondern nach einer Vorlage des Reichs-
derwesers erfolgen: eine Modification, die ebenso unausführbar als beleidigend
für Preußen ist. Noch immer bedenkt die Versammlung viel zu wenig, daß sie
so mächtiger ist, je weniger sie sich in die inneren Angelegenheiten der einzel-
nen Staaten, die sie doch im Detail uicht versteht, einmischt. Daß es sich aber
hier zunächst um eine innere Angelegenheit des preußischen Staats handelt, liegt
doch wohl auf der Hand.

Die Linke wurde doppelt' geschlagen: einmal in dem Resultat, dann in dem
moralischen Eindruck, den die hohlen Phrasen machten, die sie diesmal zum Besten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/211>, abgerufen am 29.06.2024.