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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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dachte man eigentlich unter Reorganisation? eine Besetzung der Administration mit
Polen? Aber diese hatte man schon früher sehnlichst erstrebt und sie war nur an
dem poetischen Sinn der Polen gescheitert, die sich theils der prosaischen Noth¬
wendigkeit der Staats - Examina nicht unterziehen, theils die Herstellung des Kö¬
nigreichs abwarten wollten. Sie hatten zu viel zu thun, zu trauern und zu con-
spiriren; an weitere Geschäfte konnten sie nicht denken. Bei der Reorganisation
dachten sie sich offenbar eine Lösung vom preußischen Staat und einen Kriege gegen
Rußland.

Nun kamen die prosaischen Bedenken. Einerseits fing man an zu begreifen"
daß ein Krieg gegen Rußland die nothwendige Folge einer derartigen Reor¬
ganisation, denn doch manches Bedenkliche hätte. Andererseits kamen die Deut¬
schen des Großherzogthums zum Bewußtsein; sie fragten sich, wie sie dazu kommen
sollten, plötzlich unter polnischen Edelleuten zu stehen -- und mau machte schon
ernstlich Anstalt, auch in den deutschen Kreisen die deutschen Landräthe durch pol¬
nische zu ersetzen; sie fragten sich, was bei Wiederherstellung eines polnischen
Reichs denn ihnen für eine Stellung zugedacht wäre.

Unter diesen Umständen kam General Willisen, als Chef der neuen Re¬
organisation, in's Großherzogthum. Neun Jahre lang im innigen Verhältniß mit
den Polen, Liberal, Enthusiast und Poet, ging er sofort auf alle Ideen der
Polen ein; er empfing die Visiten der Deutschen, den Tacitus in der Hand,
ließ sich die polnischen Reden auf gut Glück verdollmetschen und erledigte eine der
schwierigsten Fragen durch geistreiche Aphorismen. Die Deutschen, empört über
ein solches Verfahren, griffen im Verein mit ihren Behörden zu den Waffen; die
Polen standen schon gewaffnet da. Willisen verlor seinen Einfluß bei beiden
Theilen, er mußte Versprechen zurücknehmen, ein allgemeines Mißtrauen machte
jeden Ausgleich unmöglich, es kam zum Bürgerkrieg.

Die Polen, in offene Rebellion ausbrechend, wurden geschlagen. Die Thei¬
lung des Großherzogthums nach seinem deutschen und polnischen Theile, mit der
man hätte anfangen sollen, fiel nun natürlich so ans, daß dem Sieger der Antheil
des Löwen ward. Aber die Polen nannten ja jede Theilung einen Eingriff in
die Rechte ihrer Souveränität! Uns gehört die polnische Erde, so argumentirten
sie, ihre Bewohner sind unsere Knechte und wer sie uns rauben will, der verübt
ein neues Attentat auf die Integrität des polnischen Reiches -- das bis jetzt
freilich nur in den Herzen der patriotischen Jugend besteht.

Die Polen wollten nun mit der preußischen Regierung nichts mehr zu thun
haben, sie wandten sich an das deutsche Volk. In letzter Instanz hatte die
Nationalversammlung zu entscheiden.

Der preußische Staat hatte die deutschen Kreise seiner Provinz zum deutschen
Bunde geschlagen -- was ihm nach der Bundesacte zustand -- der Bundestag
hatte diese Vereinigung genehmigt. Die Deputaten von Posen waren von der


dachte man eigentlich unter Reorganisation? eine Besetzung der Administration mit
Polen? Aber diese hatte man schon früher sehnlichst erstrebt und sie war nur an
dem poetischen Sinn der Polen gescheitert, die sich theils der prosaischen Noth¬
wendigkeit der Staats - Examina nicht unterziehen, theils die Herstellung des Kö¬
nigreichs abwarten wollten. Sie hatten zu viel zu thun, zu trauern und zu con-
spiriren; an weitere Geschäfte konnten sie nicht denken. Bei der Reorganisation
dachten sie sich offenbar eine Lösung vom preußischen Staat und einen Kriege gegen
Rußland.

Nun kamen die prosaischen Bedenken. Einerseits fing man an zu begreifen»
daß ein Krieg gegen Rußland die nothwendige Folge einer derartigen Reor¬
ganisation, denn doch manches Bedenkliche hätte. Andererseits kamen die Deut¬
schen des Großherzogthums zum Bewußtsein; sie fragten sich, wie sie dazu kommen
sollten, plötzlich unter polnischen Edelleuten zu stehen — und mau machte schon
ernstlich Anstalt, auch in den deutschen Kreisen die deutschen Landräthe durch pol¬
nische zu ersetzen; sie fragten sich, was bei Wiederherstellung eines polnischen
Reichs denn ihnen für eine Stellung zugedacht wäre.

Unter diesen Umständen kam General Willisen, als Chef der neuen Re¬
organisation, in's Großherzogthum. Neun Jahre lang im innigen Verhältniß mit
den Polen, Liberal, Enthusiast und Poet, ging er sofort auf alle Ideen der
Polen ein; er empfing die Visiten der Deutschen, den Tacitus in der Hand,
ließ sich die polnischen Reden auf gut Glück verdollmetschen und erledigte eine der
schwierigsten Fragen durch geistreiche Aphorismen. Die Deutschen, empört über
ein solches Verfahren, griffen im Verein mit ihren Behörden zu den Waffen; die
Polen standen schon gewaffnet da. Willisen verlor seinen Einfluß bei beiden
Theilen, er mußte Versprechen zurücknehmen, ein allgemeines Mißtrauen machte
jeden Ausgleich unmöglich, es kam zum Bürgerkrieg.

Die Polen, in offene Rebellion ausbrechend, wurden geschlagen. Die Thei¬
lung des Großherzogthums nach seinem deutschen und polnischen Theile, mit der
man hätte anfangen sollen, fiel nun natürlich so ans, daß dem Sieger der Antheil
des Löwen ward. Aber die Polen nannten ja jede Theilung einen Eingriff in
die Rechte ihrer Souveränität! Uns gehört die polnische Erde, so argumentirten
sie, ihre Bewohner sind unsere Knechte und wer sie uns rauben will, der verübt
ein neues Attentat auf die Integrität des polnischen Reiches — das bis jetzt
freilich nur in den Herzen der patriotischen Jugend besteht.

Die Polen wollten nun mit der preußischen Regierung nichts mehr zu thun
haben, sie wandten sich an das deutsche Volk. In letzter Instanz hatte die
Nationalversammlung zu entscheiden.

Der preußische Staat hatte die deutschen Kreise seiner Provinz zum deutschen
Bunde geschlagen — was ihm nach der Bundesacte zustand — der Bundestag
hatte diese Vereinigung genehmigt. Die Deputaten von Posen waren von der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/210>, abgerufen am 29.06.2024.