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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Idee, glaubten sie mit diesem Anflug ideeller Trauer die Ansprüche der Geschichte
vollständig befriedigt zu haben und ergaben sich in ihren "Mußestunden" dem
leichten, sinnlichen Wesen, das in der Regel die Champions der Legitimität aus¬
zeichnet. Ju dem blutigen Kampf von 1831 glaubten sie die Märtyrerkrone der
Freiheit errungen zu haben, die sie in dem Kalender des Liberalismus als un¬
zweifelhafte Heilige beglaubigen müsse. Und in der That galt es auch als ein
Verbrechen an der Majestät der Menschheit, an dem welthistorischen Beruf der
Polen zu zweifeln. Wir Deutsche hatten von uns selber eine so schlechte Mei¬
nung, daß wir überglücklich waren, wenigstens in einem andern Volk die Ideale
anzubeten, die wir in unserer alten Dogmatik aufgezeichnet fanden und an deren
Realität in unserm eignen Wesen wir verzweifeln müßten.

Seit 183 l sahen wir die rothen Kraknsenmützen auf allen Barrikaden, die
gegen die Gewalt aufgerichtet wurden; in allen Zweckbällen war ein blasser Sar¬
mate der gefeierte Held und der ritterlichste Tänzer. Wir machten Sonnette gegen
unsere eigene Abscheulichkeit, ein so chevalereskeö Volk einmal bestohlen zu haben.

Die Verschwörung von 1846 und die Oeffentlichkeit der preußischen Gerichts¬
verhandlungen hatte die Stimmung einigermaßen umgewandelt. Von einer so
bodenlosen Phantasterei hatte man denn doch keine Ahnung gehabt und die Art
und Weise, wie sich die Angeklagten -- mit Ausnahme Miroslawski's -- dem
Staat gegenüberstellten, konnte die Sympathien nicht rege machen. Man bedauerte
sie noch immer, aber mit Achselzucken; das tragische Interesse war vorüber.

Jetzt erfolgte die Nacht des 18. März. Das Volk von Berlin, im Sieges-
taumel der neugewonnenen Freiheit, hatte den Edelmuth, sich augenblicklich an
die verurtheilten Polen zu erinnern, die ja gegen denselben Feind, für dieselbe
Sache sich verschworen hatten. Man öffnete die Gefängnisse der Polen und führte
sie im Triumph vor das Schloß. Miroslawski, der schöne Mann mit dem Nim¬
bus eines aufopfernden Helden - und Märtyrerthums, stand mit himmelwärts ge¬
wandten Blicken auf dem Siegeswagen, schwenkte eine schwarz-roch-goldne Fahne
und küßte, mit dem theatralischen Instinkt dieses Volkes, unaufhörlich und mit
Inbrunst einen Mann "aus dem Volke," der so ruppig aussah wie möglich, um
symbolisch die Vereinigung der Aristokratie und Demokratie anzudeuten. Nun
strömten die Flüchtlinge ans Frankreich von den Pariser Barrikaden nach Berlin
und weiter nach der Heimath zu, um das alte Reich der Jagcllvnen, von der'
Ostsee bis zum Dniepr, von Neuem zu erobern.

Wie verhielt sich damals das deutsche Volk, wie die Regierung zu dieser
Bewegung? Es ist nicht zu leugnen, daß in dem Schwindel, der alle Gemüther
ergriffen hatte, keine bestimmte Vorstellung Platz gewann. Damals hatte Graf
Arnim die Bildung eines Ministeriums übernommen: Flottwell's Nachfolger im
Oberpräsidium des Großherzogthums, der die energischen GermanisirnngSversuche
seines Vorgängers mit einer eben so entschiedenen Hinneigung zu dem polnischen


Idee, glaubten sie mit diesem Anflug ideeller Trauer die Ansprüche der Geschichte
vollständig befriedigt zu haben und ergaben sich in ihren „Mußestunden" dem
leichten, sinnlichen Wesen, das in der Regel die Champions der Legitimität aus¬
zeichnet. Ju dem blutigen Kampf von 1831 glaubten sie die Märtyrerkrone der
Freiheit errungen zu haben, die sie in dem Kalender des Liberalismus als un¬
zweifelhafte Heilige beglaubigen müsse. Und in der That galt es auch als ein
Verbrechen an der Majestät der Menschheit, an dem welthistorischen Beruf der
Polen zu zweifeln. Wir Deutsche hatten von uns selber eine so schlechte Mei¬
nung, daß wir überglücklich waren, wenigstens in einem andern Volk die Ideale
anzubeten, die wir in unserer alten Dogmatik aufgezeichnet fanden und an deren
Realität in unserm eignen Wesen wir verzweifeln müßten.

Seit 183 l sahen wir die rothen Kraknsenmützen auf allen Barrikaden, die
gegen die Gewalt aufgerichtet wurden; in allen Zweckbällen war ein blasser Sar¬
mate der gefeierte Held und der ritterlichste Tänzer. Wir machten Sonnette gegen
unsere eigene Abscheulichkeit, ein so chevalereskeö Volk einmal bestohlen zu haben.

Die Verschwörung von 1846 und die Oeffentlichkeit der preußischen Gerichts¬
verhandlungen hatte die Stimmung einigermaßen umgewandelt. Von einer so
bodenlosen Phantasterei hatte man denn doch keine Ahnung gehabt und die Art
und Weise, wie sich die Angeklagten — mit Ausnahme Miroslawski's — dem
Staat gegenüberstellten, konnte die Sympathien nicht rege machen. Man bedauerte
sie noch immer, aber mit Achselzucken; das tragische Interesse war vorüber.

Jetzt erfolgte die Nacht des 18. März. Das Volk von Berlin, im Sieges-
taumel der neugewonnenen Freiheit, hatte den Edelmuth, sich augenblicklich an
die verurtheilten Polen zu erinnern, die ja gegen denselben Feind, für dieselbe
Sache sich verschworen hatten. Man öffnete die Gefängnisse der Polen und führte
sie im Triumph vor das Schloß. Miroslawski, der schöne Mann mit dem Nim¬
bus eines aufopfernden Helden - und Märtyrerthums, stand mit himmelwärts ge¬
wandten Blicken auf dem Siegeswagen, schwenkte eine schwarz-roch-goldne Fahne
und küßte, mit dem theatralischen Instinkt dieses Volkes, unaufhörlich und mit
Inbrunst einen Mann „aus dem Volke," der so ruppig aussah wie möglich, um
symbolisch die Vereinigung der Aristokratie und Demokratie anzudeuten. Nun
strömten die Flüchtlinge ans Frankreich von den Pariser Barrikaden nach Berlin
und weiter nach der Heimath zu, um das alte Reich der Jagcllvnen, von der'
Ostsee bis zum Dniepr, von Neuem zu erobern.

Wie verhielt sich damals das deutsche Volk, wie die Regierung zu dieser
Bewegung? Es ist nicht zu leugnen, daß in dem Schwindel, der alle Gemüther
ergriffen hatte, keine bestimmte Vorstellung Platz gewann. Damals hatte Graf
Arnim die Bildung eines Ministeriums übernommen: Flottwell's Nachfolger im
Oberpräsidium des Großherzogthums, der die energischen GermanisirnngSversuche
seines Vorgängers mit einer eben so entschiedenen Hinneigung zu dem polnischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/208>, abgerufen am 29.06.2024.