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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Nachgiebigkeit auf dem Fuße folgen. Nicht ohne Einfluß wird auch die bestimmte
Erklärung des Magyarischen Finanzministers sein, Ungarn gebe seine Mannschaft
für den italienischen Krieg mir in dein Sinn, daß dieser Krieg lediglich zur Er¬
kämpfung eincH ehrenvollen Friedens, nicht etwa zur Wiedereroberung der italie¬
nischen^ Provinzen, zu erneuter Unterdrückung eines freien Volks dienen soll. Möge
Oestreich über dem neuen Sieg nicht wieder in die alten Habsburgischen Ervbe-
rungsgelüste verfallen. Wir Deutschen, in der glorreichsten Erhebung begriffen,
die unsere Nation erlebt, müssen dem Freiheitsstreben anderer edlen Völker, so
weit es unsere wahren Interessen nicht verletzt, jeden Vorschub leisten, der mit
der Pietät gegen unser eigenes Vaterland nicht in Widerspruch steht. Daß wir,
gefußt auf unser gutes Recht, den einzigen Seehafen im adriatischen Meer und
die Brennerpässe nicht herausgehen dürfen, versteht sich von selbst, ebenso, daß
das östreichische Volk, was seine frühern Despoten verschuldet, uicht allein zu
tragen hat.

Ein scheinbar analoges und doch in der That viel complicirtereS Verhältniß
hat die Nationalversammlung so eben in der polnischen Frage gelöst.




Die Abstimmung über die polnische Frage ist die größte Niederlage,
welche die radikale Partei bis jetzt erlitten hat. Allen Traditionen des alt legi¬
timen Liberalismus zuwider, hat die Nationalversammlung sich in allen Phasen
der Fragestellung gegen die Ansprüche der Polen erklärt, und Herr Herwegh
wird nun ein zweites Gedicht vom "Verrath" verfertige" können, den wiederum
das "niederträchtige" Volk der Deutschen an dem alleinseligmachenden Palladium
der polnischen Nationalität ausgeübt hat.

Das Interesse Deutschlands an der polnischen Sache, welches in den letzten
Decennien sich zu einer Art Fieber gesteigert hatte, erklärt sich aus der Romantik
unserer eigenen Zustände. Seit einem halben Jahrhundert führen die Polen ein
Traumleben. Sie wiegten sich in den Träumen ehemaliger und zukünftiger Größe,
in den Träumen eines plötzlichen, die ganze politische Atmosphäre zersetzenden Un-
gewitters, aus dem wie durch ein Wunder die Wiedergeburt des alten polnischen
Reichs hervorgehen sollte. In diesem Traumleben verschmähten sie den Ernst der
nüchternen Arbeit; sie versäumten es, mit Schweiß den Boden zu ackern, ans dem
die Saat ihrer künftigen Freiheit hervorgehen sollte, sie ließen ihre Grundstücke
verfallen, die uun der eiserne Fleiß des einwandernden Deutschen erworben, sie
entzogen sich dem Staatsleben, das ihnen bereitwillig geöffnet wurde und damit
auch der politischen Bildung, und blickten sehnsüchtig nach Osten und Westen, ob
Nicht durch eine unerwartete Konstellation ihre gute Sache zu einem glück¬
lichen Ausgang geführt werden könnte. Mit aller äußerlichen Grazie jenes rit¬
terlichen Wesens ausgestattet, das ihre Verwandtschaft mit den Franzosen begrün¬
det, gewannen sie überall die Gunst der Frauen; getragen von einer tragischen


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Nachgiebigkeit auf dem Fuße folgen. Nicht ohne Einfluß wird auch die bestimmte
Erklärung des Magyarischen Finanzministers sein, Ungarn gebe seine Mannschaft
für den italienischen Krieg mir in dein Sinn, daß dieser Krieg lediglich zur Er¬
kämpfung eincH ehrenvollen Friedens, nicht etwa zur Wiedereroberung der italie¬
nischen^ Provinzen, zu erneuter Unterdrückung eines freien Volks dienen soll. Möge
Oestreich über dem neuen Sieg nicht wieder in die alten Habsburgischen Ervbe-
rungsgelüste verfallen. Wir Deutschen, in der glorreichsten Erhebung begriffen,
die unsere Nation erlebt, müssen dem Freiheitsstreben anderer edlen Völker, so
weit es unsere wahren Interessen nicht verletzt, jeden Vorschub leisten, der mit
der Pietät gegen unser eigenes Vaterland nicht in Widerspruch steht. Daß wir,
gefußt auf unser gutes Recht, den einzigen Seehafen im adriatischen Meer und
die Brennerpässe nicht herausgehen dürfen, versteht sich von selbst, ebenso, daß
das östreichische Volk, was seine frühern Despoten verschuldet, uicht allein zu
tragen hat.

Ein scheinbar analoges und doch in der That viel complicirtereS Verhältniß
hat die Nationalversammlung so eben in der polnischen Frage gelöst.




Die Abstimmung über die polnische Frage ist die größte Niederlage,
welche die radikale Partei bis jetzt erlitten hat. Allen Traditionen des alt legi¬
timen Liberalismus zuwider, hat die Nationalversammlung sich in allen Phasen
der Fragestellung gegen die Ansprüche der Polen erklärt, und Herr Herwegh
wird nun ein zweites Gedicht vom „Verrath" verfertige» können, den wiederum
das „niederträchtige" Volk der Deutschen an dem alleinseligmachenden Palladium
der polnischen Nationalität ausgeübt hat.

Das Interesse Deutschlands an der polnischen Sache, welches in den letzten
Decennien sich zu einer Art Fieber gesteigert hatte, erklärt sich aus der Romantik
unserer eigenen Zustände. Seit einem halben Jahrhundert führen die Polen ein
Traumleben. Sie wiegten sich in den Träumen ehemaliger und zukünftiger Größe,
in den Träumen eines plötzlichen, die ganze politische Atmosphäre zersetzenden Un-
gewitters, aus dem wie durch ein Wunder die Wiedergeburt des alten polnischen
Reichs hervorgehen sollte. In diesem Traumleben verschmähten sie den Ernst der
nüchternen Arbeit; sie versäumten es, mit Schweiß den Boden zu ackern, ans dem
die Saat ihrer künftigen Freiheit hervorgehen sollte, sie ließen ihre Grundstücke
verfallen, die uun der eiserne Fleiß des einwandernden Deutschen erworben, sie
entzogen sich dem Staatsleben, das ihnen bereitwillig geöffnet wurde und damit
auch der politischen Bildung, und blickten sehnsüchtig nach Osten und Westen, ob
Nicht durch eine unerwartete Konstellation ihre gute Sache zu einem glück¬
lichen Ausgang geführt werden könnte. Mit aller äußerlichen Grazie jenes rit¬
terlichen Wesens ausgestattet, das ihre Verwandtschaft mit den Franzosen begrün¬
det, gewannen sie überall die Gunst der Frauen; getragen von einer tragischen


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[0207] Nachgiebigkeit auf dem Fuße folgen. Nicht ohne Einfluß wird auch die bestimmte Erklärung des Magyarischen Finanzministers sein, Ungarn gebe seine Mannschaft für den italienischen Krieg mir in dein Sinn, daß dieser Krieg lediglich zur Er¬ kämpfung eincH ehrenvollen Friedens, nicht etwa zur Wiedereroberung der italie¬ nischen^ Provinzen, zu erneuter Unterdrückung eines freien Volks dienen soll. Möge Oestreich über dem neuen Sieg nicht wieder in die alten Habsburgischen Ervbe- rungsgelüste verfallen. Wir Deutschen, in der glorreichsten Erhebung begriffen, die unsere Nation erlebt, müssen dem Freiheitsstreben anderer edlen Völker, so weit es unsere wahren Interessen nicht verletzt, jeden Vorschub leisten, der mit der Pietät gegen unser eigenes Vaterland nicht in Widerspruch steht. Daß wir, gefußt auf unser gutes Recht, den einzigen Seehafen im adriatischen Meer und die Brennerpässe nicht herausgehen dürfen, versteht sich von selbst, ebenso, daß das östreichische Volk, was seine frühern Despoten verschuldet, uicht allein zu tragen hat. Ein scheinbar analoges und doch in der That viel complicirtereS Verhältniß hat die Nationalversammlung so eben in der polnischen Frage gelöst. Die Abstimmung über die polnische Frage ist die größte Niederlage, welche die radikale Partei bis jetzt erlitten hat. Allen Traditionen des alt legi¬ timen Liberalismus zuwider, hat die Nationalversammlung sich in allen Phasen der Fragestellung gegen die Ansprüche der Polen erklärt, und Herr Herwegh wird nun ein zweites Gedicht vom „Verrath" verfertige» können, den wiederum das „niederträchtige" Volk der Deutschen an dem alleinseligmachenden Palladium der polnischen Nationalität ausgeübt hat. Das Interesse Deutschlands an der polnischen Sache, welches in den letzten Decennien sich zu einer Art Fieber gesteigert hatte, erklärt sich aus der Romantik unserer eigenen Zustände. Seit einem halben Jahrhundert führen die Polen ein Traumleben. Sie wiegten sich in den Träumen ehemaliger und zukünftiger Größe, in den Träumen eines plötzlichen, die ganze politische Atmosphäre zersetzenden Un- gewitters, aus dem wie durch ein Wunder die Wiedergeburt des alten polnischen Reichs hervorgehen sollte. In diesem Traumleben verschmähten sie den Ernst der nüchternen Arbeit; sie versäumten es, mit Schweiß den Boden zu ackern, ans dem die Saat ihrer künftigen Freiheit hervorgehen sollte, sie ließen ihre Grundstücke verfallen, die uun der eiserne Fleiß des einwandernden Deutschen erworben, sie entzogen sich dem Staatsleben, das ihnen bereitwillig geöffnet wurde und damit auch der politischen Bildung, und blickten sehnsüchtig nach Osten und Westen, ob Nicht durch eine unerwartete Konstellation ihre gute Sache zu einem glück¬ lichen Ausgang geführt werden könnte. Mit aller äußerlichen Grazie jenes rit¬ terlichen Wesens ausgestattet, das ihre Verwandtschaft mit den Franzosen begrün¬ det, gewannen sie überall die Gunst der Frauen; getragen von einer tragischen 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/207>, abgerufen am 28.09.2024.