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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Handgreiflichkeit jener Trugschlüsse unglaublich sein, wenn bei der gegenwärtigen
Verwirrung in allen Rechtsbegriffen noch etwas unbegreiflich wäre.

Von einem Recht der Nationalversammlung, die Souveränität im Herzog-
thum Limburg zu alteriren, ist nämlich eben so wenig die Rede, als von einem
Recht in Beziehung auf die übrigen deutschen Staaten. Sie hat kein anderes
Recht, als das Recht der Revolution, das Recht des Stärkern. Heil uns, daß
sie es hat! aber heben wir den glorreichen -- nachträglich durch die Bei¬
stimmung der competenten Theile zum Rechtszustand erhobenen --
Sieg der Revolution nicht durch kleinliche Sophismen auf. Der Zustand des
deutschen Volks war vor der Revolution so elend, so rechtlos, so ohne Fähigkeit
der Entwickelung, daß nur Gewalt ihn lösen könnte, und zum Heile Deutschlands
ereignete es sich, daß diese Gewalt mit einer solchen Ordnung und Besonnenheit
ausgeübt wurde, daß sogleich ein kräftiges politisches Leben daraus hervorging.
Nach der Bundesacte waren die deutschen Fürsten souverän, so weit dieselbe diese
Souveränität nicht ausdrücklich beschränkte. Der Volkswille hat ihnen -- uns
allen zur Freude -- diese Souveränität genommen. Aber er hatte kein Recht
dazu, denn Rechte kann nur haben, was eine legale Existenz hat. Wenn man
freilich, wie Herr Wesendonck gethan, die Tollheit so weit treibt, der National¬
versammlung das Recht zuzuschreiben, die kleinen Fürsten zu mediatisiren und nur
die Zweckmäßigkeit eines solchen Schrittes in Frage stellt, so find alle weiteren
Rechtsansprüche Bagatell dagegen. Mit solcher Begriffsverwirrung ist aber nichts
gewonnen. Es gibt höhere Mächte in der Geschichte, als das todte
Recht. Eine solche Macht hat den Rechtszustand des deutschen Bundes aufge¬
hoben, sie kann aber nicht den Begriff des Rechtes aufheben.

Die Nationalversammlung hat auch sehr gut gefühlt, daß sie nicht einen blo¬
ßen Rechtsanspruch verfolgte, daß ihre Forderungen etwas Neues enthielten.
Ich will die sonst noch laut werdenden Wünsche -- ganz Holland, das sich eigent¬
lich vom Reich losgerissen habe, solle demselben wieder annectirt werden u. s. w.
-- nicht herbeiziehen; aber in dem Ausschußbericht selber wird hervorgehoben, wie
sowohl bei der Errichtung des Königreichs der Niederlande als bei der Trennung
Belgiens Deutschland in seinen Territorialansprnchen verkürzt worden sei und dann
hinzugesetzt: "Jetzt dürfte die Zeit gekommen sein, wo dieses Unrecht aufgehoben
und in Uebereinstimmung mit dem lebhaften Wunsche der deutschen Brüder in
Limburg eine nicht blos nominelle, sondern auch reelle Vereinigung mit Deutsch¬
land hergestellt werden kann und muß." Es handelt sich also hoch um eine we¬
sentliche Umgestaltung des Rechtszustandes, um eine Eroberung.

Wir wollen den Fall setzen -- wahrscheinlich oder unwahrscheinlich, gilt hier
gleich viel -- der König von Preußen hätte sich vor Jahren durch eine zweck¬
mäßige, liberale Organisation seines Staats die Sympathien der übrigen deut¬
schen Stämme erworben; es wäre ihm in Folge dessen gelungen, etwa mit nach-


Handgreiflichkeit jener Trugschlüsse unglaublich sein, wenn bei der gegenwärtigen
Verwirrung in allen Rechtsbegriffen noch etwas unbegreiflich wäre.

Von einem Recht der Nationalversammlung, die Souveränität im Herzog-
thum Limburg zu alteriren, ist nämlich eben so wenig die Rede, als von einem
Recht in Beziehung auf die übrigen deutschen Staaten. Sie hat kein anderes
Recht, als das Recht der Revolution, das Recht des Stärkern. Heil uns, daß
sie es hat! aber heben wir den glorreichen — nachträglich durch die Bei¬
stimmung der competenten Theile zum Rechtszustand erhobenen —
Sieg der Revolution nicht durch kleinliche Sophismen auf. Der Zustand des
deutschen Volks war vor der Revolution so elend, so rechtlos, so ohne Fähigkeit
der Entwickelung, daß nur Gewalt ihn lösen könnte, und zum Heile Deutschlands
ereignete es sich, daß diese Gewalt mit einer solchen Ordnung und Besonnenheit
ausgeübt wurde, daß sogleich ein kräftiges politisches Leben daraus hervorging.
Nach der Bundesacte waren die deutschen Fürsten souverän, so weit dieselbe diese
Souveränität nicht ausdrücklich beschränkte. Der Volkswille hat ihnen — uns
allen zur Freude — diese Souveränität genommen. Aber er hatte kein Recht
dazu, denn Rechte kann nur haben, was eine legale Existenz hat. Wenn man
freilich, wie Herr Wesendonck gethan, die Tollheit so weit treibt, der National¬
versammlung das Recht zuzuschreiben, die kleinen Fürsten zu mediatisiren und nur
die Zweckmäßigkeit eines solchen Schrittes in Frage stellt, so find alle weiteren
Rechtsansprüche Bagatell dagegen. Mit solcher Begriffsverwirrung ist aber nichts
gewonnen. Es gibt höhere Mächte in der Geschichte, als das todte
Recht. Eine solche Macht hat den Rechtszustand des deutschen Bundes aufge¬
hoben, sie kann aber nicht den Begriff des Rechtes aufheben.

Die Nationalversammlung hat auch sehr gut gefühlt, daß sie nicht einen blo¬
ßen Rechtsanspruch verfolgte, daß ihre Forderungen etwas Neues enthielten.
Ich will die sonst noch laut werdenden Wünsche — ganz Holland, das sich eigent¬
lich vom Reich losgerissen habe, solle demselben wieder annectirt werden u. s. w.
— nicht herbeiziehen; aber in dem Ausschußbericht selber wird hervorgehoben, wie
sowohl bei der Errichtung des Königreichs der Niederlande als bei der Trennung
Belgiens Deutschland in seinen Territorialansprnchen verkürzt worden sei und dann
hinzugesetzt: „Jetzt dürfte die Zeit gekommen sein, wo dieses Unrecht aufgehoben
und in Uebereinstimmung mit dem lebhaften Wunsche der deutschen Brüder in
Limburg eine nicht blos nominelle, sondern auch reelle Vereinigung mit Deutsch¬
land hergestellt werden kann und muß." Es handelt sich also hoch um eine we¬
sentliche Umgestaltung des Rechtszustandes, um eine Eroberung.

Wir wollen den Fall setzen — wahrscheinlich oder unwahrscheinlich, gilt hier
gleich viel — der König von Preußen hätte sich vor Jahren durch eine zweck¬
mäßige, liberale Organisation seines Staats die Sympathien der übrigen deut¬
schen Stämme erworben; es wäre ihm in Folge dessen gelungen, etwa mit nach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/204>, abgerufen am 28.09.2024.