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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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des Heerwesens festhielt. Es ist nicht zu läugnen, daß die Discussion beide Par¬
teien näher brachte. Für eine Volksbewaffnung, wie sie die Berliner Radikalen
im Auge haben, dem "souveränen Volk" zu seinem Recht, über alle Angelegen¬
heiten nach Willkür zu verfügen, auch die Mittel zu geben, d. h. eine Horde von
Prätoriancrn zu bilden, die ans den Wink ihrer Demagogen zu jeder Gewaltthat
bereit wären -- für eine solche Art der Volksbewaffnung fanden sich in Frankfurt
sehr wenig Anwälte. Man sah ein, daß eine Volksbewaffnung nur dann einen
Sinn habe, wenn sie nicht ein Spiel, eine Sonntagsparade wäre, sondern eine
ernste, strenge Uebung in der Kriegszucht. Zu einer solchen Einübung -- wozu
denn auch eine bestimmte Disciplin gehört -- erkannte man bald einen stehenden
Stamm der Bewaffnung, d. h. der Erziehung des Volks zum Waffendienst, für
nöthig -- kurz, man näherte sich dem preußischen Wchrsystem. Auf der andern
Seite verkannte man nicht die vielfachen Mängel dieses Systems, das Unnütze des
Kamaschendienstes, das Gehässige des Gardcjnnkerlhnms u. s. w. Es lief daher
im Grunde Alles darauf hinaus, dem Heer eine volksthümlichere Basis und leich¬
tere Einrichtung zu geben. Die beiden Amendements, die als Zusatzartikel zu
dem ursprünglichen Antrag der Commission hinzugefügt wurden, hatten diesen Sinn.

Eine imposante Macht kam bei diesen Beschlüssen für die vereinigten Staaten
von Deutschland heraus. Nahe an eine Million schlagfertiger Soldaten! Und
doch kaum genug für die kriegerische Stellung, die Deutschland einnehmen müßte,
wenn wir dem ersten Eindruck dieses neu erwachten Nationalbewußtseins ohne
weiteres Folge geben wollten.

Daß die Regenerativ" des deutschen Bundes auch der politischen Stellung
zum Ausland eine andere Wendung geben mußte, lag in der Natur der Sache.
Die deutsche Bundesverfassung war nach Außen wie nach Innen hin ein hohles
Gebäude, ein künstliches, verwickeltes und unbrauchbares Gespinnst der Diplomatie.
Die Stellung der außerdeutschen Staaten -- Dänemark, Niederland und wir
müssen im alten Sinn auch Oestreich und Preußen dazu rechnen -- zum Reich war
eine in jeder Beziehung unklare und unhaltbare. Mit der neuen Organisation
mußten diese Unklarheiten schwinden und die Nationalversammlung mußte eben so
natürlich Alles daran setzen, überall die Rechte des Reichs zu wahren. Nur sollte
ste mehr, als sie es bis jetzt gethan, dem Sinn jener Bundesacte Rechnung tra¬
gen, die durch das neue Reich gänzlich aufgehoben wird und mit der anch die
Stellung jener Mächte zu Deutschland sich ändert; sie sollte Rechnung tragen der
Auffassung jener Mächte, die bei den verwickelten, in sich selbst widersprechenden
Bestimmungen jener Akte einer gewissen Begründung nicht entbehrt. Sie sollte
acht der französischen Nationalversammlung von 1792 nachahmen, die ohne weite¬
res das Schwert in die Wagschale warf und den Knoten der verschiedenen
Rechtsansprüche Deutschlands und Frankreichs im Elsaß dadurch löste, daß sie
ihn zerhieb.


des Heerwesens festhielt. Es ist nicht zu läugnen, daß die Discussion beide Par¬
teien näher brachte. Für eine Volksbewaffnung, wie sie die Berliner Radikalen
im Auge haben, dem „souveränen Volk" zu seinem Recht, über alle Angelegen¬
heiten nach Willkür zu verfügen, auch die Mittel zu geben, d. h. eine Horde von
Prätoriancrn zu bilden, die ans den Wink ihrer Demagogen zu jeder Gewaltthat
bereit wären — für eine solche Art der Volksbewaffnung fanden sich in Frankfurt
sehr wenig Anwälte. Man sah ein, daß eine Volksbewaffnung nur dann einen
Sinn habe, wenn sie nicht ein Spiel, eine Sonntagsparade wäre, sondern eine
ernste, strenge Uebung in der Kriegszucht. Zu einer solchen Einübung — wozu
denn auch eine bestimmte Disciplin gehört — erkannte man bald einen stehenden
Stamm der Bewaffnung, d. h. der Erziehung des Volks zum Waffendienst, für
nöthig — kurz, man näherte sich dem preußischen Wchrsystem. Auf der andern
Seite verkannte man nicht die vielfachen Mängel dieses Systems, das Unnütze des
Kamaschendienstes, das Gehässige des Gardcjnnkerlhnms u. s. w. Es lief daher
im Grunde Alles darauf hinaus, dem Heer eine volksthümlichere Basis und leich¬
tere Einrichtung zu geben. Die beiden Amendements, die als Zusatzartikel zu
dem ursprünglichen Antrag der Commission hinzugefügt wurden, hatten diesen Sinn.

Eine imposante Macht kam bei diesen Beschlüssen für die vereinigten Staaten
von Deutschland heraus. Nahe an eine Million schlagfertiger Soldaten! Und
doch kaum genug für die kriegerische Stellung, die Deutschland einnehmen müßte,
wenn wir dem ersten Eindruck dieses neu erwachten Nationalbewußtseins ohne
weiteres Folge geben wollten.

Daß die Regenerativ« des deutschen Bundes auch der politischen Stellung
zum Ausland eine andere Wendung geben mußte, lag in der Natur der Sache.
Die deutsche Bundesverfassung war nach Außen wie nach Innen hin ein hohles
Gebäude, ein künstliches, verwickeltes und unbrauchbares Gespinnst der Diplomatie.
Die Stellung der außerdeutschen Staaten — Dänemark, Niederland und wir
müssen im alten Sinn auch Oestreich und Preußen dazu rechnen — zum Reich war
eine in jeder Beziehung unklare und unhaltbare. Mit der neuen Organisation
mußten diese Unklarheiten schwinden und die Nationalversammlung mußte eben so
natürlich Alles daran setzen, überall die Rechte des Reichs zu wahren. Nur sollte
ste mehr, als sie es bis jetzt gethan, dem Sinn jener Bundesacte Rechnung tra¬
gen, die durch das neue Reich gänzlich aufgehoben wird und mit der anch die
Stellung jener Mächte zu Deutschland sich ändert; sie sollte Rechnung tragen der
Auffassung jener Mächte, die bei den verwickelten, in sich selbst widersprechenden
Bestimmungen jener Akte einer gewissen Begründung nicht entbehrt. Sie sollte
acht der französischen Nationalversammlung von 1792 nachahmen, die ohne weite¬
res das Schwert in die Wagschale warf und den Knoten der verschiedenen
Rechtsansprüche Deutschlands und Frankreichs im Elsaß dadurch löste, daß sie
ihn zerhieb.


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[0201] des Heerwesens festhielt. Es ist nicht zu läugnen, daß die Discussion beide Par¬ teien näher brachte. Für eine Volksbewaffnung, wie sie die Berliner Radikalen im Auge haben, dem „souveränen Volk" zu seinem Recht, über alle Angelegen¬ heiten nach Willkür zu verfügen, auch die Mittel zu geben, d. h. eine Horde von Prätoriancrn zu bilden, die ans den Wink ihrer Demagogen zu jeder Gewaltthat bereit wären — für eine solche Art der Volksbewaffnung fanden sich in Frankfurt sehr wenig Anwälte. Man sah ein, daß eine Volksbewaffnung nur dann einen Sinn habe, wenn sie nicht ein Spiel, eine Sonntagsparade wäre, sondern eine ernste, strenge Uebung in der Kriegszucht. Zu einer solchen Einübung — wozu denn auch eine bestimmte Disciplin gehört — erkannte man bald einen stehenden Stamm der Bewaffnung, d. h. der Erziehung des Volks zum Waffendienst, für nöthig — kurz, man näherte sich dem preußischen Wchrsystem. Auf der andern Seite verkannte man nicht die vielfachen Mängel dieses Systems, das Unnütze des Kamaschendienstes, das Gehässige des Gardcjnnkerlhnms u. s. w. Es lief daher im Grunde Alles darauf hinaus, dem Heer eine volksthümlichere Basis und leich¬ tere Einrichtung zu geben. Die beiden Amendements, die als Zusatzartikel zu dem ursprünglichen Antrag der Commission hinzugefügt wurden, hatten diesen Sinn. Eine imposante Macht kam bei diesen Beschlüssen für die vereinigten Staaten von Deutschland heraus. Nahe an eine Million schlagfertiger Soldaten! Und doch kaum genug für die kriegerische Stellung, die Deutschland einnehmen müßte, wenn wir dem ersten Eindruck dieses neu erwachten Nationalbewußtseins ohne weiteres Folge geben wollten. Daß die Regenerativ« des deutschen Bundes auch der politischen Stellung zum Ausland eine andere Wendung geben mußte, lag in der Natur der Sache. Die deutsche Bundesverfassung war nach Außen wie nach Innen hin ein hohles Gebäude, ein künstliches, verwickeltes und unbrauchbares Gespinnst der Diplomatie. Die Stellung der außerdeutschen Staaten — Dänemark, Niederland und wir müssen im alten Sinn auch Oestreich und Preußen dazu rechnen — zum Reich war eine in jeder Beziehung unklare und unhaltbare. Mit der neuen Organisation mußten diese Unklarheiten schwinden und die Nationalversammlung mußte eben so natürlich Alles daran setzen, überall die Rechte des Reichs zu wahren. Nur sollte ste mehr, als sie es bis jetzt gethan, dem Sinn jener Bundesacte Rechnung tra¬ gen, die durch das neue Reich gänzlich aufgehoben wird und mit der anch die Stellung jener Mächte zu Deutschland sich ändert; sie sollte Rechnung tragen der Auffassung jener Mächte, die bei den verwickelten, in sich selbst widersprechenden Bestimmungen jener Akte einer gewissen Begründung nicht entbehrt. Sie sollte acht der französischen Nationalversammlung von 1792 nachahmen, die ohne weite¬ res das Schwert in die Wagschale warf und den Knoten der verschiedenen Rechtsansprüche Deutschlands und Frankreichs im Elsaß dadurch löste, daß sie ihn zerhieb.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/201>, abgerufen am 28.09.2024.