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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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nachdem das Dramatische der neuen Staatsveränderung vorüber ist, die Persön¬
lichkeit etwas mehr in den Hintergrund trete.

Von den deutschen Fürsten, welche das Gewicht ihrer Persönlichkeit in die
Wagschale der Entscheidung legten, waren König Ludwig von Baiern und Friedrich
Wilhelm IV. die bedeutendsten; der eine konnte auch bei der nüchternsten Staats¬
angelegenheit den Dichter, der Andere den geistreichen und in romantischen Doc-
trinen geschulten Mann nicht verläugnen. Beides hat sich ihren Staaten nicht als
heilsam erwiesen. Die Gräfin v. Landsfeld auf der einen Seite, die Barrikaden¬
nacht nud jener Ritt auf der andern waren der letzte Act einer in großem Schnitt
angelegten Exposition, die sich mehr für einen künftigen Walter Scott, als für
einen denkenden Geschichtschreiber eignen möchte. Das Regierungssystem unter
Friedrich Wilhelm III. war unendlich viel altpreußischer, als unter seinem Sohne,
und doch ist sein Andenken gesegnet, während es keinen Mops im heiligen römi¬
schen Reiche gibt, der nicht wenigstens den schwachen Versuch gemacht hätte, dem
"Mächtigen" von Preußen nach den Waden zu schnappen. Erst sangen die Dichter
ihn an, nachher schrieben sie ihm grobe Briefe, und das Volk, das bei den ersten
schönen Worten vor Rührung geweint, wurde wild, wenn das Schauspiel nicht
in angemessener Steigerung fortging. Es ist nicht gut, die dramatischen Mittel
zu rasch aufzubrauchen.

Jetzt ist die Gemüthlichkeit als Charakterwerk an Stelle des Geistes und der
Poesie getreten. Sie ist weniger gefährlich, weil sie weniger zu Extravaganzen
verleitet; Jffland ist es leichter, fehlerfrei zu sein, als Hebbel, aber es ist doch
von Uebel.

ES ist eine falsche Ansicht, daß zur Popularität ein gewisser Nimbus von
Bourgeoisie gehört, daß der Fürst sich "gemein machen" muß, um dem Volk an¬
genehm zu sein. Keine Negierung ist -- und mit Recht -- populärer als die
Sächsische, und doch kennt kein Hof eine strengere Etikette. Der Grund liegt
einfach darin,-daß wir hier eine wahrhaft constitutionelle Regierung haben; der
König dringt seine Persönlichkeit nirgend auf, aber man weiß, daß mau sich auf
ihn verlassen kam. Mit Friedrich Wilhelm III. war es, obgleich in einer abso¬
lutistischen Regierungsform, ein ähnlicher Fall.

Freilich verkenne ich nicht den Unterschied der Verhältnisse. Die neue Würde
hat etwas Mysteriöses, Neues, Romantisches; Erzherzog Johann ist nicht wegen
seiner Geburt, sondern wegen seiner Persönlichkeit zum Reichsverweser gewählt,
^ehe Persönlichkeit mußte daher zu Anfang etwas präsentirt werden. Nur nicht
zu lange! denn so etwas nutzt sich ab. Der Reichsverweser ist unverantwort¬
licher Regent in einem constitutionellen Staatswesen, d. h. der Inhalt
seines Willens, seiner Ansichten, seiner Wünsche und Vorstellungen darf bei den
Entscheidungen des Staats in keiner Weise in Betracht kommen. Er ist das
rühmliche Feldgeschrei, das schöne Wappen auf der Reichssahne, der Punkt über


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nachdem das Dramatische der neuen Staatsveränderung vorüber ist, die Persön¬
lichkeit etwas mehr in den Hintergrund trete.

Von den deutschen Fürsten, welche das Gewicht ihrer Persönlichkeit in die
Wagschale der Entscheidung legten, waren König Ludwig von Baiern und Friedrich
Wilhelm IV. die bedeutendsten; der eine konnte auch bei der nüchternsten Staats¬
angelegenheit den Dichter, der Andere den geistreichen und in romantischen Doc-
trinen geschulten Mann nicht verläugnen. Beides hat sich ihren Staaten nicht als
heilsam erwiesen. Die Gräfin v. Landsfeld auf der einen Seite, die Barrikaden¬
nacht nud jener Ritt auf der andern waren der letzte Act einer in großem Schnitt
angelegten Exposition, die sich mehr für einen künftigen Walter Scott, als für
einen denkenden Geschichtschreiber eignen möchte. Das Regierungssystem unter
Friedrich Wilhelm III. war unendlich viel altpreußischer, als unter seinem Sohne,
und doch ist sein Andenken gesegnet, während es keinen Mops im heiligen römi¬
schen Reiche gibt, der nicht wenigstens den schwachen Versuch gemacht hätte, dem
„Mächtigen" von Preußen nach den Waden zu schnappen. Erst sangen die Dichter
ihn an, nachher schrieben sie ihm grobe Briefe, und das Volk, das bei den ersten
schönen Worten vor Rührung geweint, wurde wild, wenn das Schauspiel nicht
in angemessener Steigerung fortging. Es ist nicht gut, die dramatischen Mittel
zu rasch aufzubrauchen.

Jetzt ist die Gemüthlichkeit als Charakterwerk an Stelle des Geistes und der
Poesie getreten. Sie ist weniger gefährlich, weil sie weniger zu Extravaganzen
verleitet; Jffland ist es leichter, fehlerfrei zu sein, als Hebbel, aber es ist doch
von Uebel.

ES ist eine falsche Ansicht, daß zur Popularität ein gewisser Nimbus von
Bourgeoisie gehört, daß der Fürst sich „gemein machen" muß, um dem Volk an¬
genehm zu sein. Keine Negierung ist — und mit Recht — populärer als die
Sächsische, und doch kennt kein Hof eine strengere Etikette. Der Grund liegt
einfach darin,-daß wir hier eine wahrhaft constitutionelle Regierung haben; der
König dringt seine Persönlichkeit nirgend auf, aber man weiß, daß mau sich auf
ihn verlassen kam. Mit Friedrich Wilhelm III. war es, obgleich in einer abso¬
lutistischen Regierungsform, ein ähnlicher Fall.

Freilich verkenne ich nicht den Unterschied der Verhältnisse. Die neue Würde
hat etwas Mysteriöses, Neues, Romantisches; Erzherzog Johann ist nicht wegen
seiner Geburt, sondern wegen seiner Persönlichkeit zum Reichsverweser gewählt,
^ehe Persönlichkeit mußte daher zu Anfang etwas präsentirt werden. Nur nicht
zu lange! denn so etwas nutzt sich ab. Der Reichsverweser ist unverantwort¬
licher Regent in einem constitutionellen Staatswesen, d. h. der Inhalt
seines Willens, seiner Ansichten, seiner Wünsche und Vorstellungen darf bei den
Entscheidungen des Staats in keiner Weise in Betracht kommen. Er ist das
rühmliche Feldgeschrei, das schöne Wappen auf der Reichssahne, der Punkt über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/199>, abgerufen am 22.07.2024.