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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Vom Reich.



in.

Seit der Wahl des Reichsverwesers ist in den öffentlichen Angelegenheiten
Deutschlands eine Gemüthlichkeit eingerissen, die in der Politik etwas Unheim¬
liches hat. Zuerst die von Hekscher so anschaulich geschilderte Reise von Wien
nach Frankfurt mit obligaten Festessen und biedern Gesiunungsäußerungen. Dann
der Commers deutscher Männer und Geheimeräthe in der Mainlust, die roman¬
tischen Schulreminiscenzen, die sich vom Landesvater bis auf den Fürsten von
Thoren ausdehnten. Die Scene im Theater vor der Abreise des Erzherzogs nach
Wien -- in den alten Metternich'schen Zeiten das einzige Mittel, sich mit dem
Volke zu unterhalten -- die Beziehung auf "das, was dem deutschen Mann das
Theuerste ist." Die Fortsetzung dieses Iffland'schen Tendcnzstücks bei der Eröffnung
des Wiener Reichstags, wo der Vorsitzende, Herr Schmidt, neben dem Erzher¬
zoge und der kaiserlichen Familie auch das, "was seinem Herzen am theuersten
ist" und was auf der Galerie anwesend war, hock) leben ließ; die Ueberwältigung
durch Gerührtsein, die bürgerfrenndliche Unterhaltung mit dem Akademiker Sepp
über den Arm, den er in der Binde trug, mit den verschiedenen Bürgermeistern
über deu Krieg gegen die "Wälschen" u. s. w.

Die Gemüthlichkeit ist am östreichischen Hose Convenienz; sie ist nicht immer
ein Zeichen liberaler Gesinnungen. Kaiser Franz sprach reiner Wienerisch als
irgend einer seiner erlauchten Familie, diesen Dialekt reizender Naivität, und doch
war er einer der schlimmsten Despoten, uuter deren Druck Oestreich geseufzt hat.
Bei dem Erzherzog Johann ist davon nicht die Rede, in seinem äußern Austreten
ist die natürliche Liebenswürdigkeit wirklich ausgedrückt und wir haben nichts da¬
gegen,, ihn für den "ersten deutschen Mann" zu erklären, so wie die Baronin
Brandhos für die "erste deutsche Frau," nicht obgleich, sondern weil sie die
Tochter eines Postmeisters ist; wir freuen uns über die Uneigennützigkeit, mit
welcher er die Prophezeiung des ultraradikalen Grafen Reichenbach, die Central-
gewalt werde dem Reich eine Civilliste von sechs Millionen kosten, vereitelt hat.
Nur wünschten wir, im Interesse der guten Sache, daß wenigstens von nun an,


Vom Reich.



in.

Seit der Wahl des Reichsverwesers ist in den öffentlichen Angelegenheiten
Deutschlands eine Gemüthlichkeit eingerissen, die in der Politik etwas Unheim¬
liches hat. Zuerst die von Hekscher so anschaulich geschilderte Reise von Wien
nach Frankfurt mit obligaten Festessen und biedern Gesiunungsäußerungen. Dann
der Commers deutscher Männer und Geheimeräthe in der Mainlust, die roman¬
tischen Schulreminiscenzen, die sich vom Landesvater bis auf den Fürsten von
Thoren ausdehnten. Die Scene im Theater vor der Abreise des Erzherzogs nach
Wien — in den alten Metternich'schen Zeiten das einzige Mittel, sich mit dem
Volke zu unterhalten — die Beziehung auf „das, was dem deutschen Mann das
Theuerste ist." Die Fortsetzung dieses Iffland'schen Tendcnzstücks bei der Eröffnung
des Wiener Reichstags, wo der Vorsitzende, Herr Schmidt, neben dem Erzher¬
zoge und der kaiserlichen Familie auch das, „was seinem Herzen am theuersten
ist" und was auf der Galerie anwesend war, hock) leben ließ; die Ueberwältigung
durch Gerührtsein, die bürgerfrenndliche Unterhaltung mit dem Akademiker Sepp
über den Arm, den er in der Binde trug, mit den verschiedenen Bürgermeistern
über deu Krieg gegen die „Wälschen" u. s. w.

Die Gemüthlichkeit ist am östreichischen Hose Convenienz; sie ist nicht immer
ein Zeichen liberaler Gesinnungen. Kaiser Franz sprach reiner Wienerisch als
irgend einer seiner erlauchten Familie, diesen Dialekt reizender Naivität, und doch
war er einer der schlimmsten Despoten, uuter deren Druck Oestreich geseufzt hat.
Bei dem Erzherzog Johann ist davon nicht die Rede, in seinem äußern Austreten
ist die natürliche Liebenswürdigkeit wirklich ausgedrückt und wir haben nichts da¬
gegen,, ihn für den „ersten deutschen Mann" zu erklären, so wie die Baronin
Brandhos für die „erste deutsche Frau," nicht obgleich, sondern weil sie die
Tochter eines Postmeisters ist; wir freuen uns über die Uneigennützigkeit, mit
welcher er die Prophezeiung des ultraradikalen Grafen Reichenbach, die Central-
gewalt werde dem Reich eine Civilliste von sechs Millionen kosten, vereitelt hat.
Nur wünschten wir, im Interesse der guten Sache, daß wenigstens von nun an,


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[0198] Vom Reich. in. Seit der Wahl des Reichsverwesers ist in den öffentlichen Angelegenheiten Deutschlands eine Gemüthlichkeit eingerissen, die in der Politik etwas Unheim¬ liches hat. Zuerst die von Hekscher so anschaulich geschilderte Reise von Wien nach Frankfurt mit obligaten Festessen und biedern Gesiunungsäußerungen. Dann der Commers deutscher Männer und Geheimeräthe in der Mainlust, die roman¬ tischen Schulreminiscenzen, die sich vom Landesvater bis auf den Fürsten von Thoren ausdehnten. Die Scene im Theater vor der Abreise des Erzherzogs nach Wien — in den alten Metternich'schen Zeiten das einzige Mittel, sich mit dem Volke zu unterhalten — die Beziehung auf „das, was dem deutschen Mann das Theuerste ist." Die Fortsetzung dieses Iffland'schen Tendcnzstücks bei der Eröffnung des Wiener Reichstags, wo der Vorsitzende, Herr Schmidt, neben dem Erzher¬ zoge und der kaiserlichen Familie auch das, „was seinem Herzen am theuersten ist" und was auf der Galerie anwesend war, hock) leben ließ; die Ueberwältigung durch Gerührtsein, die bürgerfrenndliche Unterhaltung mit dem Akademiker Sepp über den Arm, den er in der Binde trug, mit den verschiedenen Bürgermeistern über deu Krieg gegen die „Wälschen" u. s. w. Die Gemüthlichkeit ist am östreichischen Hose Convenienz; sie ist nicht immer ein Zeichen liberaler Gesinnungen. Kaiser Franz sprach reiner Wienerisch als irgend einer seiner erlauchten Familie, diesen Dialekt reizender Naivität, und doch war er einer der schlimmsten Despoten, uuter deren Druck Oestreich geseufzt hat. Bei dem Erzherzog Johann ist davon nicht die Rede, in seinem äußern Austreten ist die natürliche Liebenswürdigkeit wirklich ausgedrückt und wir haben nichts da¬ gegen,, ihn für den „ersten deutschen Mann" zu erklären, so wie die Baronin Brandhos für die „erste deutsche Frau," nicht obgleich, sondern weil sie die Tochter eines Postmeisters ist; wir freuen uns über die Uneigennützigkeit, mit welcher er die Prophezeiung des ultraradikalen Grafen Reichenbach, die Central- gewalt werde dem Reich eine Civilliste von sechs Millionen kosten, vereitelt hat. Nur wünschten wir, im Interesse der guten Sache, daß wenigstens von nun an,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/198>, abgerufen am 22.07.2024.