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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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bewirkt wird. Diese Krisis aber wird eintreten, und sie wird entweder die gänz¬
liche Auflösung des Kaiserstaates zur Folge haben, oder denselben in einen Bundes^
Staat mit Proviuzial-Souveränitäten umformen. Und wenn in beiden Fällen die
Hoffnung festzuhalten ist, daß die deutscheu Provinzen Oestreichs früher oder
später die Vereinigung mit Deutschland suchen werden, so Miß mau doch besor¬
gen, daß dies erst spät der Fall sein wird und daß dieselben nicht die Organisa¬
tion kräftiger Einheiten, sondern finanzielle Verwirrung, kraftlose Regierungen
und ein gestörtes Volksleben mitbringen werden.

Es ist demnach die Gefahr, daß Einer von den drei Haupttheilen Deutsch-
lands der jetzt versuchten Vereinigung nicht beitreten wird: sie wird sich zu be¬
gnügen haben mit einer Verbindung Preußens und der übrigen kleinen Staaten.
Wenn Preußen zu dieser Koalition dem Ländcrgebiet und der Einwohnerzahl nach
ungefähr die Hälfte beiträgt, so stellt sich die Rechnung noch ganz anders, wenn
man die staatliche Kraft der beiden Theile gegeneinander abwägt. Wie es auch
um das Ansehen Preußens in der Meinung des Tages stehen mag, nie und von
keiner Partei darf geläugnet werden, daß ein Staat mit einem Heerbann von fast
500,000 exerzirteu Soldaten, dessen bisherige Schulden eine zweijährige Staats-
einuahme kaum übersteigen, dessen Verwaltung trotz aller Mängel des alten Re¬
gimes zu den besten der Welt gehört, eine große Ueberlegenheit über die gleiche
Zahl von Menschen und Quadratmeilen hat, wenn diese in eine Anzahl von
unmvtivirteu Einheiten zersplittert sind. Selbst der unbefriedigende Eindruck,
welchen das erwachende Volksleben in Preußen gegenwärtig,macht, darf den Er¬
fahrenen nicht irren, denn es liegt in dem härteren und spröderen Wesen der
Norddeutschen, daß jede Schwäche und Unbehilflichkeit sich leicht in unangenehmen
und peinigende" Formen äußert. Wenn aber Preußen bei einer Vereinigung mit
den übrigen Staaten an Ansehn, Kraft und Energie bei weitem mehr als die
Hälfte mitbringt, so hat es auch ein Recht zu wünschen, daß dies anerkannt
werde und seine Stellung im richtigen Verhältniß zu seiner Macht sei.

Gegenwärtig ist dies uicht der Fall, Preußen hat ans die deutsche Revolution,
welche ihre gesetzlichen Formen durch die Frankfurter Nationalversammlung bekom¬
men hat, nicht den Einfluß, der ihm gebührt. Diese Empfindung lebt nicht nur
im preußischen Heer, sie ist selbst bei der Partei unserer Demokraten vorhanden,
welche zum Heil deutscher Einheit ein Zerfallen Preußens hoffen. Dies Letztere
aber ist,' wie sich die Verhältnisse seit dem Februar gestaltet haben, weder zu
fürchten uoch zu wünschen. Es gehört wenig Urtheil dazu einzusehen, daß die
Existenz Preußens kein Zufall, keine Laune des Weltgeistes ist, sondern daß
Preußen noch immer das Markenland der deutschen Völker gegen Osten, Norden
und jetzt auch gegen Westen sein muß und daß die Nothwendigkeiten, welche ihm
seineu Ursprung geben, so lange fortdauern, als ein slavischer, scandinavischer und
französischer Egoismus vorhanden ist, welcher an den Grenzen Deutschlands eine


bewirkt wird. Diese Krisis aber wird eintreten, und sie wird entweder die gänz¬
liche Auflösung des Kaiserstaates zur Folge haben, oder denselben in einen Bundes^
Staat mit Proviuzial-Souveränitäten umformen. Und wenn in beiden Fällen die
Hoffnung festzuhalten ist, daß die deutscheu Provinzen Oestreichs früher oder
später die Vereinigung mit Deutschland suchen werden, so Miß mau doch besor¬
gen, daß dies erst spät der Fall sein wird und daß dieselben nicht die Organisa¬
tion kräftiger Einheiten, sondern finanzielle Verwirrung, kraftlose Regierungen
und ein gestörtes Volksleben mitbringen werden.

Es ist demnach die Gefahr, daß Einer von den drei Haupttheilen Deutsch-
lands der jetzt versuchten Vereinigung nicht beitreten wird: sie wird sich zu be¬
gnügen haben mit einer Verbindung Preußens und der übrigen kleinen Staaten.
Wenn Preußen zu dieser Koalition dem Ländcrgebiet und der Einwohnerzahl nach
ungefähr die Hälfte beiträgt, so stellt sich die Rechnung noch ganz anders, wenn
man die staatliche Kraft der beiden Theile gegeneinander abwägt. Wie es auch
um das Ansehen Preußens in der Meinung des Tages stehen mag, nie und von
keiner Partei darf geläugnet werden, daß ein Staat mit einem Heerbann von fast
500,000 exerzirteu Soldaten, dessen bisherige Schulden eine zweijährige Staats-
einuahme kaum übersteigen, dessen Verwaltung trotz aller Mängel des alten Re¬
gimes zu den besten der Welt gehört, eine große Ueberlegenheit über die gleiche
Zahl von Menschen und Quadratmeilen hat, wenn diese in eine Anzahl von
unmvtivirteu Einheiten zersplittert sind. Selbst der unbefriedigende Eindruck,
welchen das erwachende Volksleben in Preußen gegenwärtig,macht, darf den Er¬
fahrenen nicht irren, denn es liegt in dem härteren und spröderen Wesen der
Norddeutschen, daß jede Schwäche und Unbehilflichkeit sich leicht in unangenehmen
und peinigende« Formen äußert. Wenn aber Preußen bei einer Vereinigung mit
den übrigen Staaten an Ansehn, Kraft und Energie bei weitem mehr als die
Hälfte mitbringt, so hat es auch ein Recht zu wünschen, daß dies anerkannt
werde und seine Stellung im richtigen Verhältniß zu seiner Macht sei.

Gegenwärtig ist dies uicht der Fall, Preußen hat ans die deutsche Revolution,
welche ihre gesetzlichen Formen durch die Frankfurter Nationalversammlung bekom¬
men hat, nicht den Einfluß, der ihm gebührt. Diese Empfindung lebt nicht nur
im preußischen Heer, sie ist selbst bei der Partei unserer Demokraten vorhanden,
welche zum Heil deutscher Einheit ein Zerfallen Preußens hoffen. Dies Letztere
aber ist,' wie sich die Verhältnisse seit dem Februar gestaltet haben, weder zu
fürchten uoch zu wünschen. Es gehört wenig Urtheil dazu einzusehen, daß die
Existenz Preußens kein Zufall, keine Laune des Weltgeistes ist, sondern daß
Preußen noch immer das Markenland der deutschen Völker gegen Osten, Norden
und jetzt auch gegen Westen sein muß und daß die Nothwendigkeiten, welche ihm
seineu Ursprung geben, so lange fortdauern, als ein slavischer, scandinavischer und
französischer Egoismus vorhanden ist, welcher an den Grenzen Deutschlands eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/190>, abgerufen am 03.07.2024.