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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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i.
Äus Paris.

Man hat bisher an der politischen Kapacität Cavaignac's gezweifelt und ihm nur
Feldherrntalent zugeschrieben. Beobachtet man seine bisherige Verwaltungsmcisc aber
genauer, so wird man finden, daß er die Regierung geschickt zu handhaben versteht.
Eine brutale Anwendung des Kriegsgesetzes würde ihn in dem immerhin liberalen Frank¬
reich, wo man so viel auf die Form gibt, bald gestürzt haben; er läßt die Masse deshalb
den Kriegszustand so wenig als möglich suhlen und wendet die Strenge des Krieqs-
gesetzes nur nach den Richtungen hin an, von denen her die ihm nothwendig scheinende
diktatorische Gewalt bedroht werden konnte. Während in der Stadt äußerlich kaum
noch eine Spur vom Kriegszustande zu finden ist, wird die Presse mit Argusaugen
bewacht und Garantien unterworfen, denen der größere Theil der seit dem Februar
erschienenen Journale nicht nachkommen kann. Emil v. Girardin. der nun endlich auf
freien Fuß gesetzt worden ist, scheint eben so sehr ein Opfer der Vorsicht Cavaignac's,
wie der Privatrache seiner Feinde gewesen zu sein und die vorläufige Vertheidigung,
die er so eben in der belgischen "Jndevendance" hat erscheinen lassen, bezeichnet den
National mit seiner Partei als diesen Feind. Unerklärlich ist die Strenge, mit welcher
Girardin behandelt wurde, allerdings, man hat ihn eine Zeit lang in ein unterirdisches
feuchtes Gewölbe gesperrt und ihm nicht den mindesten Verkehr, sogar nicht einmal die
Lectüre von Journalen gestattet. Die übrigens sehr matte Vertheidigung verräth die
aristokratische Natur Girardin's, die nicht umhin kann, den Charakter seiner Mitgefan¬
genen zu verdächtigen. Es ist ihm nicht zu verdenken, daß ihm die Rohheit dieser
Menschen zuwider war, aber in dieser hätte er eben zum Theil auch ihre Entschuldigung
sehen sollen. Statt dessen benutzt er seine Schilderung des BcstrafungssystcmS unserer
Gesellschaft nur zu einer Apologie der früher von ihm gemachten Vorschläge zur Ver¬
besserung desselben. An der Conciergerie. in der er gefangen saß, war ich neulich Zeuge
einer erschütternden Scene, die mir zugleich die Ueberzeugung gab, daß die dort Ge-
fangenen nicht aus lauter verdächtigen Personen bestehen, wie eine gereizte Partei dies
S^" glauben machen möchte. An einem Ncbeneingange in die Gefängnisse stand mam-
mas zur Essenszeit eine ansehnliche Masse von Weibern und Mädchen, beladen mit Kör¬
ben ^^,,,^^1, Wäsche und sonstigen ärmlichen Mitteln, das harte Loos der Gefan-
genschaft zu erleichtern. Hagere, blasse, meist sauber gekleidete Gestatte", die in der
Erwartung über die Säbelbrücke einer Militärbehörde gehen zu müssen, Toilette gemacht
zu haben schienen, falsche Thräncnröthe auf den Gesichtern, vor die die mageren Hände


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Äus Paris.

Man hat bisher an der politischen Kapacität Cavaignac's gezweifelt und ihm nur
Feldherrntalent zugeschrieben. Beobachtet man seine bisherige Verwaltungsmcisc aber
genauer, so wird man finden, daß er die Regierung geschickt zu handhaben versteht.
Eine brutale Anwendung des Kriegsgesetzes würde ihn in dem immerhin liberalen Frank¬
reich, wo man so viel auf die Form gibt, bald gestürzt haben; er läßt die Masse deshalb
den Kriegszustand so wenig als möglich suhlen und wendet die Strenge des Krieqs-
gesetzes nur nach den Richtungen hin an, von denen her die ihm nothwendig scheinende
diktatorische Gewalt bedroht werden konnte. Während in der Stadt äußerlich kaum
noch eine Spur vom Kriegszustande zu finden ist, wird die Presse mit Argusaugen
bewacht und Garantien unterworfen, denen der größere Theil der seit dem Februar
erschienenen Journale nicht nachkommen kann. Emil v. Girardin. der nun endlich auf
freien Fuß gesetzt worden ist, scheint eben so sehr ein Opfer der Vorsicht Cavaignac's,
wie der Privatrache seiner Feinde gewesen zu sein und die vorläufige Vertheidigung,
die er so eben in der belgischen „Jndevendance" hat erscheinen lassen, bezeichnet den
National mit seiner Partei als diesen Feind. Unerklärlich ist die Strenge, mit welcher
Girardin behandelt wurde, allerdings, man hat ihn eine Zeit lang in ein unterirdisches
feuchtes Gewölbe gesperrt und ihm nicht den mindesten Verkehr, sogar nicht einmal die
Lectüre von Journalen gestattet. Die übrigens sehr matte Vertheidigung verräth die
aristokratische Natur Girardin's, die nicht umhin kann, den Charakter seiner Mitgefan¬
genen zu verdächtigen. Es ist ihm nicht zu verdenken, daß ihm die Rohheit dieser
Menschen zuwider war, aber in dieser hätte er eben zum Theil auch ihre Entschuldigung
sehen sollen. Statt dessen benutzt er seine Schilderung des BcstrafungssystcmS unserer
Gesellschaft nur zu einer Apologie der früher von ihm gemachten Vorschläge zur Ver¬
besserung desselben. An der Conciergerie. in der er gefangen saß, war ich neulich Zeuge
einer erschütternden Scene, die mir zugleich die Ueberzeugung gab, daß die dort Ge-
fangenen nicht aus lauter verdächtigen Personen bestehen, wie eine gereizte Partei dies
S^» glauben machen möchte. An einem Ncbeneingange in die Gefängnisse stand mam-
mas zur Essenszeit eine ansehnliche Masse von Weibern und Mädchen, beladen mit Kör¬
ben ^^,,,^^1, Wäsche und sonstigen ärmlichen Mitteln, das harte Loos der Gefan-
genschaft zu erleichtern. Hagere, blasse, meist sauber gekleidete Gestatte», die in der
Erwartung über die Säbelbrücke einer Militärbehörde gehen zu müssen, Toilette gemacht
zu haben schienen, falsche Thräncnröthe auf den Gesichtern, vor die die mageren Hände


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/175>, abgerufen am 22.07.2024.