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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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ten der griechischen Berge fand; wie es moderne Poeten den chevaleresken Polen
und Italienern zu Theil werden lassen. Aber Chateaubriand war nicht blos Poet,
er war auch Diplomat, seinen geistigen Anlagen wie seiner Stellung nach; er
machte die Kongresse mit und beschrieb sie, nicht getragen von einer großen Idee,
einem bedeutenden Zweck, sondern mit der Freude an der Virtuosität eines feinen
Geistes und den Intriguen. Ein geistreicher Mann, der seine Principien aus der
wechselnden Stimmung nimmt, wird sich gern etwas darauf zu Gute thun, mit
den Feinster und Schläuchen zu wetteifern und sie zu durchschauen.

Da seine Politik in der Reflexion entsprang, vertrugen sich all diese Wider¬
sprüche in ihr. Seine Konsequenzen waren nur scheinbar. Wahr ist es, er hat
mit der Julirevolution nicht transigirt, er ist der alten Dynastie "treu geblieben,"
er hat Louis Philipp uicht Treue geschworen und darum konnte das Juste-Milieu
seine Wallfahrt nach Belgrave Square nicht "brandmarken", wie die der übrigen
Legitimisten. Aber diese Treue war romantisch und impotent und die Männer
der dynastischen Opposition wie Thiers und seine Freunde, welche das I^-ut nccttmpli
der Republik anerkannt haben, ohne ihre Principien aufzugeben, die im Gegen¬
theil das was sie für Recht und zweckmäßig halten, in der neuen Staatsform mit
derselben Energie verfechten, wie unter dem Königthum, sind bessere Politiker und
haben ein festeres Princip, als die Legitimisten, deren Beständigkeit sich lediglich
an die Romantik eines Namens heftet. Freilich ist Chateaubriand in allen Ver-
änderungen der Zeit derselbe geblieben -- als Emigrant, als belletristischer Ver¬
ehrer des Kaiserreichs, als Minister, als Führer der ultraroyalistischen Opposition,
als Liberaler, als Legitimist, als Diplomat und als Historiker; d. h. immer
derselbe weiche, feine, empfängliche und unproductive Reflexiousmeusch, nicht der
Mens !l" ton-ex in'"n"s!ti, den der Einsturz der Welt zwar erschlägt, aber ohne
seinen Charakter zu ändern. Wenn er die liberale Ansicht, die er 1797 in seinen
Essays ausgedrückt hatte, in der Ausgabe vou 1814: vu ouvr-ixe nun' avve >mo
toi -men,"";, beinahe in das Gegentheil modificirte -- eine Umwandlung, die beiläufig
Herr von Gentz ungefähr in der nämlichen Zeit mit sich vornahm -- so ist das
kein Abfall, sondern nnr ein weiteres Ausspinnen der alten Unklarheit und Un¬
bestimmtheit, die das Wesen seines Geistes ausmacht. So kommt es, daß er trotz
der Uneigennützigkeit, die er -- freilich mit etwas dramatischem Relief -- in der
Julirevolution entwickelte, doch kein politischer Charakter, trotz seiner Feinheit kein
Staatsmann und kein Historiker, trotz seiner Phantasie kein Dichter genannt wer¬
den kann.

Die spätern Zeiten haben der Romantik Frankreichs eine neue Wendung ge¬
geben. Die deutsche Literatur, zuerst durch Frau v. Stal-l eingeführt, die neben
Chateaubriand wohl die bedeutendste Stellung in dieser Uebergangs - Epoche ein¬
nimmt, hat sich seitdem in alle Kreise verbreitet, und dieses Wühlen in der Inner-


Gr-"zi>°.en. III. 22

ten der griechischen Berge fand; wie es moderne Poeten den chevaleresken Polen
und Italienern zu Theil werden lassen. Aber Chateaubriand war nicht blos Poet,
er war auch Diplomat, seinen geistigen Anlagen wie seiner Stellung nach; er
machte die Kongresse mit und beschrieb sie, nicht getragen von einer großen Idee,
einem bedeutenden Zweck, sondern mit der Freude an der Virtuosität eines feinen
Geistes und den Intriguen. Ein geistreicher Mann, der seine Principien aus der
wechselnden Stimmung nimmt, wird sich gern etwas darauf zu Gute thun, mit
den Feinster und Schläuchen zu wetteifern und sie zu durchschauen.

Da seine Politik in der Reflexion entsprang, vertrugen sich all diese Wider¬
sprüche in ihr. Seine Konsequenzen waren nur scheinbar. Wahr ist es, er hat
mit der Julirevolution nicht transigirt, er ist der alten Dynastie „treu geblieben,"
er hat Louis Philipp uicht Treue geschworen und darum konnte das Juste-Milieu
seine Wallfahrt nach Belgrave Square nicht „brandmarken", wie die der übrigen
Legitimisten. Aber diese Treue war romantisch und impotent und die Männer
der dynastischen Opposition wie Thiers und seine Freunde, welche das I^-ut nccttmpli
der Republik anerkannt haben, ohne ihre Principien aufzugeben, die im Gegen¬
theil das was sie für Recht und zweckmäßig halten, in der neuen Staatsform mit
derselben Energie verfechten, wie unter dem Königthum, sind bessere Politiker und
haben ein festeres Princip, als die Legitimisten, deren Beständigkeit sich lediglich
an die Romantik eines Namens heftet. Freilich ist Chateaubriand in allen Ver-
änderungen der Zeit derselbe geblieben — als Emigrant, als belletristischer Ver¬
ehrer des Kaiserreichs, als Minister, als Führer der ultraroyalistischen Opposition,
als Liberaler, als Legitimist, als Diplomat und als Historiker; d. h. immer
derselbe weiche, feine, empfängliche und unproductive Reflexiousmeusch, nicht der
Mens !l« ton-ex in'»n»s!ti, den der Einsturz der Welt zwar erschlägt, aber ohne
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Essays ausgedrückt hatte, in der Ausgabe vou 1814: vu ouvr-ixe nun' avve >mo
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Herr von Gentz ungefähr in der nämlichen Zeit mit sich vornahm — so ist das
kein Abfall, sondern nnr ein weiteres Ausspinnen der alten Unklarheit und Un¬
bestimmtheit, die das Wesen seines Geistes ausmacht. So kommt es, daß er trotz
der Uneigennützigkeit, die er — freilich mit etwas dramatischem Relief — in der
Julirevolution entwickelte, doch kein politischer Charakter, trotz seiner Feinheit kein
Staatsmann und kein Historiker, trotz seiner Phantasie kein Dichter genannt wer¬
den kann.

Die spätern Zeiten haben der Romantik Frankreichs eine neue Wendung ge¬
geben. Die deutsche Literatur, zuerst durch Frau v. Stal-l eingeführt, die neben
Chateaubriand wohl die bedeutendste Stellung in dieser Uebergangs - Epoche ein¬
nimmt, hat sich seitdem in alle Kreise verbreitet, und dieses Wühlen in der Inner-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/173>, abgerufen am 22.07.2024.