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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Maßstab des echten Historikers und Politikers gemacht. Wie sehr er auch mit
dem Ursprünglichen und naiven kokettirte, der Glanz und die Etikette ging ihm
doch darüber. Die Natur in der stattlichen Fülle des Urwaldes, der Staat in
der Majestät Ludwigs XI V. und des Kaisers, die Religion in aller Salbung des
Mittelalters, das waren seine Ideale.

Die Aristokratie hatte wohl mit der Aufklärung gespielt, um sich durch sie
frei zu machen von dem Glaubensdruck, der auf dem "Pöbel" lastete, aber der
eigentlich aufgeklärte Stand war die Bourgeoisie. Der bürgerliche Beigeschmack
des aufgeklärten Wesens war es vorzugsweise, der sie der neuen Aristokratie der
Geistreichen verleidete. In Frankreich hatte sich der Nationalismus unter dem
Direktorium zu einer Art von Kirche herausgebildet, den sogenannten Theophilau-
thropen la Ncveillere's; man versuchte schon damals in Paris, was in unsern
Tagen die Lichtfreunde unternahmen: einen Cultus ohne die Idee des Opfers,
einen Glauben ohne supranatnralistische Färbung. Wie das in solchen Fällen zu
geschehen pflegt, die neue Kirche ging an ihrer Langweiligkeit unter. Sich er¬
bauen zu lassen von Leuten, die nichts anders sind als das Publikum, ohne In¬
spiration, ohne Weihe, das geht auf die Länge nicht. Das Christenthum wurde
wieder Modesache, wie der Decade dem Dimanche weichen mußte. Eben damals
nahm sich Schleiermacher in seinen "Reden über die Religion an die Gebildeten
unter ihren Verächtern" der alte" legitimen Religionen ohne Unterschied gegen die
abgeblaßten Figuren deS blos aufgeklärten Glaubens an. Schleiermacher war Prote¬
stant und hatte den Muth, die ganze Religion ans einem Bedürfniß der geistreichen
und sinnigen Individualität herzuleiten; er wies nach, daß religiöse Gefühle dem
feinen Geist wohl anstehen, da sie ihm vor den Pöbel auszeichnen und daß mau
sich übrigens ihnen überlassen könne ohne die Abhängigkeit von dem Glauben an ir¬
gend einen Gott, denn die Götter seien ja doch nichts als Phantasiegemälde eines
glaubensbedürftiger Herzens und der geistreiche Mann genieße das doppelte Gefühl
der süßen Abhängigkeit und der Freiheit, denn er wisse, daß die Gegenstände seiner
Verehrung aus seinein Atelier herkämen, was der ungebildete Götzendiener nicht wisse.
Eine solche Kühnheit konnte dem Katholiken nicht zugemuthet werden. Er ging
"icht von dem Recht der Subjectivität, sondern von dem historisch Gegebnen aus,
von der Jungfrau Maria, den Heiligen, den Feierlichkeiten des Cultus u. f. w.,
und wies nach, daß darin dem ästhetischen Sinn und der Phantasie Alles geboten
^"re, was man irgend wünschen könne. Er gehörte zur Partei: ^arec"^", der
Protestant zu <duoi,i>i<-; er rechtfertigte den historischen Glauben aus subjectiven
Gründen, aber er nahm ihn aus der Historie. Seine Rechtfertigung sprach mit
naiver Unbefangenheit aus, was die alten katholischen Poeten -- Calderon u. f. w.
-- ohne Bewußtsein dargestellt hatten; seine Religion blieb eine phantastische, sie
hatte mit einer innern Zerkiürschnng, mit einem Bruch des Gemüths nichts zu
thun. Die katholische Romantik ist so wenig pietistisch wie die katholische Kirche


Maßstab des echten Historikers und Politikers gemacht. Wie sehr er auch mit
dem Ursprünglichen und naiven kokettirte, der Glanz und die Etikette ging ihm
doch darüber. Die Natur in der stattlichen Fülle des Urwaldes, der Staat in
der Majestät Ludwigs XI V. und des Kaisers, die Religion in aller Salbung des
Mittelalters, das waren seine Ideale.

Die Aristokratie hatte wohl mit der Aufklärung gespielt, um sich durch sie
frei zu machen von dem Glaubensdruck, der auf dem „Pöbel" lastete, aber der
eigentlich aufgeklärte Stand war die Bourgeoisie. Der bürgerliche Beigeschmack
des aufgeklärten Wesens war es vorzugsweise, der sie der neuen Aristokratie der
Geistreichen verleidete. In Frankreich hatte sich der Nationalismus unter dem
Direktorium zu einer Art von Kirche herausgebildet, den sogenannten Theophilau-
thropen la Ncveillere's; man versuchte schon damals in Paris, was in unsern
Tagen die Lichtfreunde unternahmen: einen Cultus ohne die Idee des Opfers,
einen Glauben ohne supranatnralistische Färbung. Wie das in solchen Fällen zu
geschehen pflegt, die neue Kirche ging an ihrer Langweiligkeit unter. Sich er¬
bauen zu lassen von Leuten, die nichts anders sind als das Publikum, ohne In¬
spiration, ohne Weihe, das geht auf die Länge nicht. Das Christenthum wurde
wieder Modesache, wie der Decade dem Dimanche weichen mußte. Eben damals
nahm sich Schleiermacher in seinen „Reden über die Religion an die Gebildeten
unter ihren Verächtern" der alte» legitimen Religionen ohne Unterschied gegen die
abgeblaßten Figuren deS blos aufgeklärten Glaubens an. Schleiermacher war Prote¬
stant und hatte den Muth, die ganze Religion ans einem Bedürfniß der geistreichen
und sinnigen Individualität herzuleiten; er wies nach, daß religiöse Gefühle dem
feinen Geist wohl anstehen, da sie ihm vor den Pöbel auszeichnen und daß mau
sich übrigens ihnen überlassen könne ohne die Abhängigkeit von dem Glauben an ir¬
gend einen Gott, denn die Götter seien ja doch nichts als Phantasiegemälde eines
glaubensbedürftiger Herzens und der geistreiche Mann genieße das doppelte Gefühl
der süßen Abhängigkeit und der Freiheit, denn er wisse, daß die Gegenstände seiner
Verehrung aus seinein Atelier herkämen, was der ungebildete Götzendiener nicht wisse.
Eine solche Kühnheit konnte dem Katholiken nicht zugemuthet werden. Er ging
«icht von dem Recht der Subjectivität, sondern von dem historisch Gegebnen aus,
von der Jungfrau Maria, den Heiligen, den Feierlichkeiten des Cultus u. f. w.,
und wies nach, daß darin dem ästhetischen Sinn und der Phantasie Alles geboten
^"re, was man irgend wünschen könne. Er gehörte zur Partei: ^arec«^«, der
Protestant zu <duoi,i>i<-; er rechtfertigte den historischen Glauben aus subjectiven
Gründen, aber er nahm ihn aus der Historie. Seine Rechtfertigung sprach mit
naiver Unbefangenheit aus, was die alten katholischen Poeten — Calderon u. f. w.
— ohne Bewußtsein dargestellt hatten; seine Religion blieb eine phantastische, sie
hatte mit einer innern Zerkiürschnng, mit einem Bruch des Gemüths nichts zu
thun. Die katholische Romantik ist so wenig pietistisch wie die katholische Kirche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/171>, abgerufen am 22.07.2024.