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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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towirten Wilden der Südsee, wie Lord Anson, Capitän Wilson und andere --
wir kennen sie ja von unsern Kinderjahren her durch Joachim Heinrich Campe.
Der feingebildete Mann kann aber den Geruch ungegerbter Pelze nicht vertragen;
Herr v. Chateaubriand hat daher seine Wilden aus Mrcipan gebacken und die
Reminiscenzen seiner Wanderung in Nordamerika, wohin er aus dem Boden der
Revolution flüchtete, heften sich höchstens an die Federn und Corallen, mit denen Atala
und ihr Liebster ihr Haar schmücken, oder an die Vegetation, die als Coulissen
dient. Es gibt vornehme Familien unter uns, die ans dem Boden der neuen
Revolution wieder in die neue Welt flüchten möchten, obgleich dort Republik ist;
sie erwarten die Wilden ebenfalls von Marcipan zu finden, oder wenigstens im
Costüm der Taglioni, der Elster n. s. w., mit der angemessenen Dekoration von
Gropius.

Züge nach der neuen Welt gehörten schon vor Chateaubriand bei dem jungen
französischen Adel zum guten Ton; aber damals waren es Kreuzzüge für die gute
Sache der Freiheit und gegen die Erbfeinde jenseit des Canals. -- Der junge
Lafauette zog als flotter Abenteurer über die See, aber er kam in ein thätig be¬
wegtes Leben und an Washingtons Seite und brachte die "Menschenrechte" und
die Republik nach seinem Vaterlande zurück; Chateaubriand floh das bewegte Le¬
ben seines Vaterlandes, er pilgerte umher in den Wäldern und die Frucht seiner
Reise war der sentimentale Cooper'sche Roman.

Doch noch Eins! der Sinn für das Leben in der scheinbar seelenlosen Natur.
Wenn er auch nur als Dilettant seine Aufmerksamkeit auf die Physiognomie der
Pflanzen wendet, -- eine Aufmerksamkeit, welche die in einseitigem Hmnamsmnö
befangene Aufklärung der Natur, die sie nur als Object des Nutzens betrachtet,
uicht schenken konnte, -- so war er doch ein Vorläufer Humbold's. Die Eng¬
länder in ihrer Naturpoesie hatten einiges geleistet, aber doch nur mit wesent¬
licher Rücksicht aus das menschliche Leben; so Thompson und seine deutschen
Jünger; auch Buffon, trotz mancher sinnigen Einfälle, mißbrauchte das Natur-
leben zu hänfig, zu bloßer Allegorie. Näher verwandt mit Chateaubriand ist
Berncirdin de Se. Pierre, dessen feingebanter geistiger Organismus nur einen ge¬
lingen Umfang hatte. Die Natur wird erst dann ein würdiges Object, wenn man
aus dem sentimentalen Verschwimmen ins Allgemeine zur plastische" Gestaltung""d zur wissenschaftlichen Bestimmtheit übergeht -- eine Tendenz, welcher der herr¬
schende Geist der damaligen Zeit geradezu widerstrebte. Die damalige Natnrphi-
!°sopl)le, die mehr oder minder auch auf die eigentliche Wissenschaft inflnirte, setzte
^ Natur zu einem Gespinnst logischer Phantasien herab, wie weiland Jacob
Böhme h Schelling und seine Freunde in Deutschland, dem trotz aller poeti.
sirenden Redensarten aller künstlerische Sinn abging. Die Franzosen, weniger in
dem Netz der Dialektik befangen, wollten wenigstens das Reich der Wunder und
der Offenbarung hineinphantaflren -- so Bonnet und Se. Martin, in der


towirten Wilden der Südsee, wie Lord Anson, Capitän Wilson und andere —
wir kennen sie ja von unsern Kinderjahren her durch Joachim Heinrich Campe.
Der feingebildete Mann kann aber den Geruch ungegerbter Pelze nicht vertragen;
Herr v. Chateaubriand hat daher seine Wilden aus Mrcipan gebacken und die
Reminiscenzen seiner Wanderung in Nordamerika, wohin er aus dem Boden der
Revolution flüchtete, heften sich höchstens an die Federn und Corallen, mit denen Atala
und ihr Liebster ihr Haar schmücken, oder an die Vegetation, die als Coulissen
dient. Es gibt vornehme Familien unter uns, die ans dem Boden der neuen
Revolution wieder in die neue Welt flüchten möchten, obgleich dort Republik ist;
sie erwarten die Wilden ebenfalls von Marcipan zu finden, oder wenigstens im
Costüm der Taglioni, der Elster n. s. w., mit der angemessenen Dekoration von
Gropius.

Züge nach der neuen Welt gehörten schon vor Chateaubriand bei dem jungen
französischen Adel zum guten Ton; aber damals waren es Kreuzzüge für die gute
Sache der Freiheit und gegen die Erbfeinde jenseit des Canals. — Der junge
Lafauette zog als flotter Abenteurer über die See, aber er kam in ein thätig be¬
wegtes Leben und an Washingtons Seite und brachte die „Menschenrechte" und
die Republik nach seinem Vaterlande zurück; Chateaubriand floh das bewegte Le¬
ben seines Vaterlandes, er pilgerte umher in den Wäldern und die Frucht seiner
Reise war der sentimentale Cooper'sche Roman.

Doch noch Eins! der Sinn für das Leben in der scheinbar seelenlosen Natur.
Wenn er auch nur als Dilettant seine Aufmerksamkeit auf die Physiognomie der
Pflanzen wendet, — eine Aufmerksamkeit, welche die in einseitigem Hmnamsmnö
befangene Aufklärung der Natur, die sie nur als Object des Nutzens betrachtet,
uicht schenken konnte, — so war er doch ein Vorläufer Humbold's. Die Eng¬
länder in ihrer Naturpoesie hatten einiges geleistet, aber doch nur mit wesent¬
licher Rücksicht aus das menschliche Leben; so Thompson und seine deutschen
Jünger; auch Buffon, trotz mancher sinnigen Einfälle, mißbrauchte das Natur-
leben zu hänfig, zu bloßer Allegorie. Näher verwandt mit Chateaubriand ist
Berncirdin de Se. Pierre, dessen feingebanter geistiger Organismus nur einen ge¬
lingen Umfang hatte. Die Natur wird erst dann ein würdiges Object, wenn man
aus dem sentimentalen Verschwimmen ins Allgemeine zur plastische» Gestaltung""d zur wissenschaftlichen Bestimmtheit übergeht — eine Tendenz, welcher der herr¬
schende Geist der damaligen Zeit geradezu widerstrebte. Die damalige Natnrphi-
!°sopl)le, die mehr oder minder auch auf die eigentliche Wissenschaft inflnirte, setzte
^ Natur zu einem Gespinnst logischer Phantasien herab, wie weiland Jacob
Böhme h Schelling und seine Freunde in Deutschland, dem trotz aller poeti.
sirenden Redensarten aller künstlerische Sinn abging. Die Franzosen, weniger in
dem Netz der Dialektik befangen, wollten wenigstens das Reich der Wunder und
der Offenbarung hineinphantaflren — so Bonnet und Se. Martin, in der


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[0169] towirten Wilden der Südsee, wie Lord Anson, Capitän Wilson und andere — wir kennen sie ja von unsern Kinderjahren her durch Joachim Heinrich Campe. Der feingebildete Mann kann aber den Geruch ungegerbter Pelze nicht vertragen; Herr v. Chateaubriand hat daher seine Wilden aus Mrcipan gebacken und die Reminiscenzen seiner Wanderung in Nordamerika, wohin er aus dem Boden der Revolution flüchtete, heften sich höchstens an die Federn und Corallen, mit denen Atala und ihr Liebster ihr Haar schmücken, oder an die Vegetation, die als Coulissen dient. Es gibt vornehme Familien unter uns, die ans dem Boden der neuen Revolution wieder in die neue Welt flüchten möchten, obgleich dort Republik ist; sie erwarten die Wilden ebenfalls von Marcipan zu finden, oder wenigstens im Costüm der Taglioni, der Elster n. s. w., mit der angemessenen Dekoration von Gropius. Züge nach der neuen Welt gehörten schon vor Chateaubriand bei dem jungen französischen Adel zum guten Ton; aber damals waren es Kreuzzüge für die gute Sache der Freiheit und gegen die Erbfeinde jenseit des Canals. — Der junge Lafauette zog als flotter Abenteurer über die See, aber er kam in ein thätig be¬ wegtes Leben und an Washingtons Seite und brachte die „Menschenrechte" und die Republik nach seinem Vaterlande zurück; Chateaubriand floh das bewegte Le¬ ben seines Vaterlandes, er pilgerte umher in den Wäldern und die Frucht seiner Reise war der sentimentale Cooper'sche Roman. Doch noch Eins! der Sinn für das Leben in der scheinbar seelenlosen Natur. Wenn er auch nur als Dilettant seine Aufmerksamkeit auf die Physiognomie der Pflanzen wendet, — eine Aufmerksamkeit, welche die in einseitigem Hmnamsmnö befangene Aufklärung der Natur, die sie nur als Object des Nutzens betrachtet, uicht schenken konnte, — so war er doch ein Vorläufer Humbold's. Die Eng¬ länder in ihrer Naturpoesie hatten einiges geleistet, aber doch nur mit wesent¬ licher Rücksicht aus das menschliche Leben; so Thompson und seine deutschen Jünger; auch Buffon, trotz mancher sinnigen Einfälle, mißbrauchte das Natur- leben zu hänfig, zu bloßer Allegorie. Näher verwandt mit Chateaubriand ist Berncirdin de Se. Pierre, dessen feingebanter geistiger Organismus nur einen ge¬ lingen Umfang hatte. Die Natur wird erst dann ein würdiges Object, wenn man aus dem sentimentalen Verschwimmen ins Allgemeine zur plastische» Gestaltung""d zur wissenschaftlichen Bestimmtheit übergeht — eine Tendenz, welcher der herr¬ schende Geist der damaligen Zeit geradezu widerstrebte. Die damalige Natnrphi- !°sopl)le, die mehr oder minder auch auf die eigentliche Wissenschaft inflnirte, setzte ^ Natur zu einem Gespinnst logischer Phantasien herab, wie weiland Jacob Böhme h Schelling und seine Freunde in Deutschland, dem trotz aller poeti. sirenden Redensarten aller künstlerische Sinn abging. Die Franzosen, weniger in dem Netz der Dialektik befangen, wollten wenigstens das Reich der Wunder und der Offenbarung hineinphantaflren — so Bonnet und Se. Martin, in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/169>, abgerufen am 22.07.2024.