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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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mit allen Völkern, die sich frei machen wollten, ein System der Eroberung ge¬
worden war. Schon damals galt als reactionär, wer sich nicht in die brüderlich
ausgespannten Arme des allein seligmachenden Frankreich warf, und wenn die
Soldaten des Kaisers in die neumodischen Republiken einfielen, saugen sie noch
immer den alten Refrain:

Die Franzosen müssen ihre Ideen an ein Symbol, eine bestimmte Erscheinung
kliüpfen; als sie die Tricolore erfunden, da erst war die Einigung der Freiheits¬
kämpfer hergestellt, die Tricolore fand ihren rechten Platz erst zu Häupten des
französischen Adlers, der Adler seine Schwungkraft in der Hand des Helden von
Korsika.

Welche Zeit des Ruhms und der Wunder! Abgesehen von jene" romantischen
Reminiscenzen der Freiheit, mit denen sich der Eroberer noch immer trug, ohne
den Widerspruch zu fühlen, weil der Franzose von Freiheit überhaupt nie einen
rechten Begriff gehabt, ergoß sich der Glanz des Orients und des Occidents über
die Häupter der Helden von Frankreich. Mit den alten Feinden, den Engländern,
war der Kampf begonnen, aber er wurde bis an den Nil, bis an die syrischen
Küsten hineingeführt, unter den Pyramiden siegte die französische Armee -- und
wie wußte hier der Führer durch passend angewandte Rhetorik dem abenteuerlichen
Sinn seines Volkes zu schmeicheln --; der Blick des Feldherrn richtete sich bis
nach Indien, um dort die Macht Britanniens an der Wurzel zu untergraben.
Italien, bald auch Spanien, den größten Theil von Deutschland umfaßte das neue
Cäsarenreich.

Eine Fabelwelt im orientalischen Geschmack! Die Kirche selbst, diese kalte,
harte, egoistische Macht, wurde schmindlich; sie sah in Napoleon den Erwählten
des Herrn, den Wiederhersteller ihres Reichs. An der Wiege des Königs von
Rom sammelten sich die Großen von Europa, und Frankreichs Poeten sahen über
ihm den hellleuchtenden Stern der Ankunft.

Bei diesem Schwindel, der in den Ereignissen selbst lag, darf man sich über
den träumerisch phantastischen Anstrich, den die französische Literatur annahm, nicht
wundern. Chateaubriand und Beranger, wer könnte zwei literarische Notabilitäten
finden, die in --- ich kann wohl sagen -- jeder Richtung einen entschiedenem Ge¬
gensatz ausdrückten! Und doch, wenn sie sich gegenseitig Complimente machen, ist
es nicht nur die formelle Anerkennung, die Anerkennung des Styls; es ist eine
gewisse Verwandtschaft zwischen ihnen, es sind beide Träumer, die von der Sehn¬
sucht nach einem eingebildeten, ziemlich unbestimmten Zustand zehren, nur daß der


mit allen Völkern, die sich frei machen wollten, ein System der Eroberung ge¬
worden war. Schon damals galt als reactionär, wer sich nicht in die brüderlich
ausgespannten Arme des allein seligmachenden Frankreich warf, und wenn die
Soldaten des Kaisers in die neumodischen Republiken einfielen, saugen sie noch
immer den alten Refrain:

Die Franzosen müssen ihre Ideen an ein Symbol, eine bestimmte Erscheinung
kliüpfen; als sie die Tricolore erfunden, da erst war die Einigung der Freiheits¬
kämpfer hergestellt, die Tricolore fand ihren rechten Platz erst zu Häupten des
französischen Adlers, der Adler seine Schwungkraft in der Hand des Helden von
Korsika.

Welche Zeit des Ruhms und der Wunder! Abgesehen von jene» romantischen
Reminiscenzen der Freiheit, mit denen sich der Eroberer noch immer trug, ohne
den Widerspruch zu fühlen, weil der Franzose von Freiheit überhaupt nie einen
rechten Begriff gehabt, ergoß sich der Glanz des Orients und des Occidents über
die Häupter der Helden von Frankreich. Mit den alten Feinden, den Engländern,
war der Kampf begonnen, aber er wurde bis an den Nil, bis an die syrischen
Küsten hineingeführt, unter den Pyramiden siegte die französische Armee — und
wie wußte hier der Führer durch passend angewandte Rhetorik dem abenteuerlichen
Sinn seines Volkes zu schmeicheln —; der Blick des Feldherrn richtete sich bis
nach Indien, um dort die Macht Britanniens an der Wurzel zu untergraben.
Italien, bald auch Spanien, den größten Theil von Deutschland umfaßte das neue
Cäsarenreich.

Eine Fabelwelt im orientalischen Geschmack! Die Kirche selbst, diese kalte,
harte, egoistische Macht, wurde schmindlich; sie sah in Napoleon den Erwählten
des Herrn, den Wiederhersteller ihres Reichs. An der Wiege des Königs von
Rom sammelten sich die Großen von Europa, und Frankreichs Poeten sahen über
ihm den hellleuchtenden Stern der Ankunft.

Bei diesem Schwindel, der in den Ereignissen selbst lag, darf man sich über
den träumerisch phantastischen Anstrich, den die französische Literatur annahm, nicht
wundern. Chateaubriand und Beranger, wer könnte zwei literarische Notabilitäten
finden, die in —- ich kann wohl sagen — jeder Richtung einen entschiedenem Ge¬
gensatz ausdrückten! Und doch, wenn sie sich gegenseitig Complimente machen, ist
es nicht nur die formelle Anerkennung, die Anerkennung des Styls; es ist eine
gewisse Verwandtschaft zwischen ihnen, es sind beide Träumer, die von der Sehn¬
sucht nach einem eingebildeten, ziemlich unbestimmten Zustand zehren, nur daß der


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[0166] mit allen Völkern, die sich frei machen wollten, ein System der Eroberung ge¬ worden war. Schon damals galt als reactionär, wer sich nicht in die brüderlich ausgespannten Arme des allein seligmachenden Frankreich warf, und wenn die Soldaten des Kaisers in die neumodischen Republiken einfielen, saugen sie noch immer den alten Refrain: Die Franzosen müssen ihre Ideen an ein Symbol, eine bestimmte Erscheinung kliüpfen; als sie die Tricolore erfunden, da erst war die Einigung der Freiheits¬ kämpfer hergestellt, die Tricolore fand ihren rechten Platz erst zu Häupten des französischen Adlers, der Adler seine Schwungkraft in der Hand des Helden von Korsika. Welche Zeit des Ruhms und der Wunder! Abgesehen von jene» romantischen Reminiscenzen der Freiheit, mit denen sich der Eroberer noch immer trug, ohne den Widerspruch zu fühlen, weil der Franzose von Freiheit überhaupt nie einen rechten Begriff gehabt, ergoß sich der Glanz des Orients und des Occidents über die Häupter der Helden von Frankreich. Mit den alten Feinden, den Engländern, war der Kampf begonnen, aber er wurde bis an den Nil, bis an die syrischen Küsten hineingeführt, unter den Pyramiden siegte die französische Armee — und wie wußte hier der Führer durch passend angewandte Rhetorik dem abenteuerlichen Sinn seines Volkes zu schmeicheln —; der Blick des Feldherrn richtete sich bis nach Indien, um dort die Macht Britanniens an der Wurzel zu untergraben. Italien, bald auch Spanien, den größten Theil von Deutschland umfaßte das neue Cäsarenreich. Eine Fabelwelt im orientalischen Geschmack! Die Kirche selbst, diese kalte, harte, egoistische Macht, wurde schmindlich; sie sah in Napoleon den Erwählten des Herrn, den Wiederhersteller ihres Reichs. An der Wiege des Königs von Rom sammelten sich die Großen von Europa, und Frankreichs Poeten sahen über ihm den hellleuchtenden Stern der Ankunft. Bei diesem Schwindel, der in den Ereignissen selbst lag, darf man sich über den träumerisch phantastischen Anstrich, den die französische Literatur annahm, nicht wundern. Chateaubriand und Beranger, wer könnte zwei literarische Notabilitäten finden, die in —- ich kann wohl sagen — jeder Richtung einen entschiedenem Ge¬ gensatz ausdrückten! Und doch, wenn sie sich gegenseitig Complimente machen, ist es nicht nur die formelle Anerkennung, die Anerkennung des Styls; es ist eine gewisse Verwandtschaft zwischen ihnen, es sind beide Träumer, die von der Sehn¬ sucht nach einem eingebildeten, ziemlich unbestimmten Zustand zehren, nur daß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/166>, abgerufen am 22.07.2024.