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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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solch wüstem Zeug, wie wir es bei unsern verwilderten Romantikern erlebt haben,
bewahrte die Franzosen das DiLtivn-uro do I'^c-täemie ^r"n?ais".

Die französische Romantik steht zwischen der englischen und deutschen in der
Mitte. Bei der deutschen war das Mittelalter, der Katholicismus, die Hexerei
u. tgi. Nebensache, die Hauptsache war das glückliche Gefühl des losgesprochenen
Schuljungen, nicht mehr unter der Ruthe zu stehen und ungezogen sein zu dürfen
ohne Strafe. Wenn die deutschen Romantiker von dem Somnambulismus, von
Heiligen und Gespenstern faseln, so merkt man es ihnen an, daß es ihnen schwer fällt,
denn von Natur ist der Deutsche gewissenhaft; es fleht aus wie die erste Cigarre,
die der flotte Bursche rauchen Muß, um seine Unabhängigkeit zu zeigen, so erbärm¬
lich ihm auch dabei zu Muthe wird. Bei den Engländern wieder überwiegt das
rein stoffliche Interesse; wenn sie die Vortrefflichkeit der Feudalzeiten schildern wollen,
so machen sie ihre Studien dazu, bis auf Kleider und Sporen, sie lesen wirklich
die alten Chroniken und haben die Bilder jener Zeit in der noch lebendigen Ari¬
stokratie vor Augen. Außerdem verlieren sie nie den gesunden Menschenverstand;
man vergleiche die Gemüthsrichtung eines Byron, oder die Capricen eines Water¬
ford mit den wahnsinnigen Schwangerschaftsgelüsten unserer specifisch romantischen
Schriftsteller, so erscheint der englische Lord mit all seinem Spleen als ein Mu¬
sterexemplar von Verstand und Gesittung. Wenn der torystische W. Scott seinen
unpopulären Charakteren -- einen Claverhouse u. s. w. auch noch so viel Interesse
abzugewinnen versteht, so geht es doch ohne aufgeklärtes Kopfschütteln nicht ab;
geräth aber der Deutsche in's Feuer, so sieht und hört er nicht mehr; Philipp II.
wird ein Engel und sämmtliche Jesuiten eine Galerie verkannter Heiligen.

Chateaubriand steht in der Mitte. Es ist nicht der gesunde Menschenverstand,
nicht die Gründlichkeit, was ihn von den Extremen der deutschen Romantik fern
hält, es ist theils der conventionelle Anstand, theils die Abwesenheit von allen
dialektischen Spitzfindigkeiten. Die französische Aufklärung hatte die todte Form
Scholastik durch die Eleganz ihres Witzes vollständig aufgehoben; die deutsche
Aufklärung hatte sie mit dem neuen Inhalt wieder eingeschmuggelt. Der Deutsche
konnte keinen Spaß mehr machen, ohne zu speculiren.

Dazu kam der concrete Inhalt des französischen Selbstgefühls. Wenn der
Franzose auch sein Vaterland floh, der Gedanke von dem Ruhm seiner großen
Nation verließ ihn nicht. Bis zum Ausbruch der Revolution sah sich Frankreich
Licht der allein fertigen Bildung den "Barbaren" gegenüber, deren beste Ta¬
lente ihr großer König in Sold nahm, um auch hier in der Ferne der französi¬
schen Gloire Weihrauch zu streuen; seit der Erstürmung der Bastille war nun
Paris auch das Foyer der Freiheit und die Repräsentanten der "Menschheit"
kamen im Hotel de Ville zusammen, ihren Rettern die Huldigungen des dankbaren
Europa darzubringen. Mit diesen Ideen der Freiheit kokettirte man weiter, auch
als ein kühner Soldat sich des Regiments bemächtigt hatte, als aus der Allianz
Sr.N


tW.n. lit. I8". 21

solch wüstem Zeug, wie wir es bei unsern verwilderten Romantikern erlebt haben,
bewahrte die Franzosen das DiLtivn-uro do I'^c-täemie ^r»n?ais«.

Die französische Romantik steht zwischen der englischen und deutschen in der
Mitte. Bei der deutschen war das Mittelalter, der Katholicismus, die Hexerei
u. tgi. Nebensache, die Hauptsache war das glückliche Gefühl des losgesprochenen
Schuljungen, nicht mehr unter der Ruthe zu stehen und ungezogen sein zu dürfen
ohne Strafe. Wenn die deutschen Romantiker von dem Somnambulismus, von
Heiligen und Gespenstern faseln, so merkt man es ihnen an, daß es ihnen schwer fällt,
denn von Natur ist der Deutsche gewissenhaft; es fleht aus wie die erste Cigarre,
die der flotte Bursche rauchen Muß, um seine Unabhängigkeit zu zeigen, so erbärm¬
lich ihm auch dabei zu Muthe wird. Bei den Engländern wieder überwiegt das
rein stoffliche Interesse; wenn sie die Vortrefflichkeit der Feudalzeiten schildern wollen,
so machen sie ihre Studien dazu, bis auf Kleider und Sporen, sie lesen wirklich
die alten Chroniken und haben die Bilder jener Zeit in der noch lebendigen Ari¬
stokratie vor Augen. Außerdem verlieren sie nie den gesunden Menschenverstand;
man vergleiche die Gemüthsrichtung eines Byron, oder die Capricen eines Water¬
ford mit den wahnsinnigen Schwangerschaftsgelüsten unserer specifisch romantischen
Schriftsteller, so erscheint der englische Lord mit all seinem Spleen als ein Mu¬
sterexemplar von Verstand und Gesittung. Wenn der torystische W. Scott seinen
unpopulären Charakteren — einen Claverhouse u. s. w. auch noch so viel Interesse
abzugewinnen versteht, so geht es doch ohne aufgeklärtes Kopfschütteln nicht ab;
geräth aber der Deutsche in's Feuer, so sieht und hört er nicht mehr; Philipp II.
wird ein Engel und sämmtliche Jesuiten eine Galerie verkannter Heiligen.

Chateaubriand steht in der Mitte. Es ist nicht der gesunde Menschenverstand,
nicht die Gründlichkeit, was ihn von den Extremen der deutschen Romantik fern
hält, es ist theils der conventionelle Anstand, theils die Abwesenheit von allen
dialektischen Spitzfindigkeiten. Die französische Aufklärung hatte die todte Form
Scholastik durch die Eleganz ihres Witzes vollständig aufgehoben; die deutsche
Aufklärung hatte sie mit dem neuen Inhalt wieder eingeschmuggelt. Der Deutsche
konnte keinen Spaß mehr machen, ohne zu speculiren.

Dazu kam der concrete Inhalt des französischen Selbstgefühls. Wenn der
Franzose auch sein Vaterland floh, der Gedanke von dem Ruhm seiner großen
Nation verließ ihn nicht. Bis zum Ausbruch der Revolution sah sich Frankreich
Licht der allein fertigen Bildung den „Barbaren" gegenüber, deren beste Ta¬
lente ihr großer König in Sold nahm, um auch hier in der Ferne der französi¬
schen Gloire Weihrauch zu streuen; seit der Erstürmung der Bastille war nun
Paris auch das Foyer der Freiheit und die Repräsentanten der „Menschheit"
kamen im Hotel de Ville zusammen, ihren Rettern die Huldigungen des dankbaren
Europa darzubringen. Mit diesen Ideen der Freiheit kokettirte man weiter, auch
als ein kühner Soldat sich des Regiments bemächtigt hatte, als aus der Allianz
Sr.N


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/165>, abgerufen am 22.07.2024.