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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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aller guten Kavaliere aus der alten Schule. Sein Leben ist ein glückliches zu
nennen, denn er hat dem Wechsel seinen Stimmungen überall Realität zu schaffen
gewußt, und sein Ruf ist dabei unbefleckt geblieben.

Seine eigentlich productive Zeit war die Restauration des alten Frankreich,
wie sie, schon seit den Thennidvricrn beginnend, unter Napoleon sich vollendete.
Eine geistige Restauration, die Dentschland und England gleichzeitig durchmachten.
In England war die Reaction am gelindesten, weil in der britischen Aristokratie
und selbst in der Eigenthümlichkeit ihrer Kirchenverfassung der Geist der Legiti¬
mität einen unschädlichen Ableiter gefunden hatte, und weil die politische,, sociale
und selbst literarische Entwickelung Englands durchschnittlich gesunder gewesen war,
als die des Kontinents. Ihre Aufklärung hatte nie den phantastischen Anstrich
gehabt, den sie in Deutschland und Frankreich annahm, weil ihr Grundprincip,
der Materialismus, bei dieser idealistischen Nation nur künstlich das hohe Ansehen
gewinnen konnte. Geschah es doch sehr bald, daß die Encyclvpädisten sich in ge¬
heime Orden vertieften, mit Symbolen spielen und endlich Hand in Hand gin¬
gen mit den Magiern und Nekromanten jener Tage, eine Vermischung, die das
bekannte Petrefact jener Stimmung, die Maurerei, getreulich aufbewahrt hat.

Die Aufklärung wollte alles zum Geschäft machen, sie wollte keine Kraft
nutzlos vergeuden, und hielt nicht viel von der brodlosen Kunst, nicht viel von
der Stimmung des Gemüths, die man nicht praktisch verwerthen konnte. Der
Engländer ist ein geborner Geschäftsmann, und außerdem ließ er in seinen sittlichen
Ansichten jener Naturkraft des Gemüths freie Entfaltung, die in Deutschland und
Frankreich bei den herzlosen Abstractionen der Voltairischen Schule gebunden blieb.
Als nun die Revolution kam, um die Ansprüche der bis dahin unbefriedigten Auf¬
klärung ins Werk zu setzen, da kam der höchst ungemüthliche Charakter dieser An¬
sprüche zum Vorschein, und das Gemüth empörte sich aus alle" Kräften dagegen.

Burke begann den Kampf; er schilderte in seiner glänzenden Rhetorik die
Vorzüge der mittelalterlichen Staatsform vor der ungemüthlichen Gleichheitswirth¬
schaft der modernen Levellers, die später W. Scott in seinen epischen Bildern,
Uhland lyrisch zur Anschauung brachte. Gleichzeitig trat in Deutschland Frie¬
drich Schleiermacher vom Standpunkte eines gebildeten Gemüths für die
Religion in die Schranken, die man bisher der Brutalität steifleinener Orthodoxen
überlassen hatte. Mit ihm verbunden, verfocht die Schlegel'sche Schule gegen das
Nützlichkeitsprinzip der Aufklärung die "Freiheit" der Kunst und der geniale"
Natur, d. h. das Recht der absoluten Caprice. In diese Reihe gehört Cha¬
teaubriand.

Nur daß bei dem Franzosen auch das Dämmerhafte und Träumerische der
Sehnsucht eine mehr conventionelle Form annimmt; mit dem Styl ist auch die
Denkweise gebunden, auch die Originalität hat eine aufgeschriebene Hand. Vor


aller guten Kavaliere aus der alten Schule. Sein Leben ist ein glückliches zu
nennen, denn er hat dem Wechsel seinen Stimmungen überall Realität zu schaffen
gewußt, und sein Ruf ist dabei unbefleckt geblieben.

Seine eigentlich productive Zeit war die Restauration des alten Frankreich,
wie sie, schon seit den Thennidvricrn beginnend, unter Napoleon sich vollendete.
Eine geistige Restauration, die Dentschland und England gleichzeitig durchmachten.
In England war die Reaction am gelindesten, weil in der britischen Aristokratie
und selbst in der Eigenthümlichkeit ihrer Kirchenverfassung der Geist der Legiti¬
mität einen unschädlichen Ableiter gefunden hatte, und weil die politische,, sociale
und selbst literarische Entwickelung Englands durchschnittlich gesunder gewesen war,
als die des Kontinents. Ihre Aufklärung hatte nie den phantastischen Anstrich
gehabt, den sie in Deutschland und Frankreich annahm, weil ihr Grundprincip,
der Materialismus, bei dieser idealistischen Nation nur künstlich das hohe Ansehen
gewinnen konnte. Geschah es doch sehr bald, daß die Encyclvpädisten sich in ge¬
heime Orden vertieften, mit Symbolen spielen und endlich Hand in Hand gin¬
gen mit den Magiern und Nekromanten jener Tage, eine Vermischung, die das
bekannte Petrefact jener Stimmung, die Maurerei, getreulich aufbewahrt hat.

Die Aufklärung wollte alles zum Geschäft machen, sie wollte keine Kraft
nutzlos vergeuden, und hielt nicht viel von der brodlosen Kunst, nicht viel von
der Stimmung des Gemüths, die man nicht praktisch verwerthen konnte. Der
Engländer ist ein geborner Geschäftsmann, und außerdem ließ er in seinen sittlichen
Ansichten jener Naturkraft des Gemüths freie Entfaltung, die in Deutschland und
Frankreich bei den herzlosen Abstractionen der Voltairischen Schule gebunden blieb.
Als nun die Revolution kam, um die Ansprüche der bis dahin unbefriedigten Auf¬
klärung ins Werk zu setzen, da kam der höchst ungemüthliche Charakter dieser An¬
sprüche zum Vorschein, und das Gemüth empörte sich aus alle« Kräften dagegen.

Burke begann den Kampf; er schilderte in seiner glänzenden Rhetorik die
Vorzüge der mittelalterlichen Staatsform vor der ungemüthlichen Gleichheitswirth¬
schaft der modernen Levellers, die später W. Scott in seinen epischen Bildern,
Uhland lyrisch zur Anschauung brachte. Gleichzeitig trat in Deutschland Frie¬
drich Schleiermacher vom Standpunkte eines gebildeten Gemüths für die
Religion in die Schranken, die man bisher der Brutalität steifleinener Orthodoxen
überlassen hatte. Mit ihm verbunden, verfocht die Schlegel'sche Schule gegen das
Nützlichkeitsprinzip der Aufklärung die „Freiheit" der Kunst und der geniale»
Natur, d. h. das Recht der absoluten Caprice. In diese Reihe gehört Cha¬
teaubriand.

Nur daß bei dem Franzosen auch das Dämmerhafte und Träumerische der
Sehnsucht eine mehr conventionelle Form annimmt; mit dem Styl ist auch die
Denkweise gebunden, auch die Originalität hat eine aufgeschriebene Hand. Vor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/164>, abgerufen am 03.07.2024.