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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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sorbiren nicht mir unsere Thätigkeit, sonder" anch unsere Gedanken. Es fällt mir
am wenigsten ein, gegen eine Lage der Dinge Protest einzulegen, die für ein
tüchtiges Volk die normale ist; aber die Bestinnnnng der Grenzboten, in Bildern
zu fixiren, was in der eigentlichen Tagesliteratur in der formlosen Flüssigkeit der
Bewegung vorübergeht, gibt mir das siecht, einem bedeutenden Mann ein Paar
Augenblicke mehr zu schenken, als gerade seine unmittelbare Beziehung zu der Ta¬
gesfrage erheischen möchte.

Was Chateaubriand in der. eigentlich politischen Sphäre geleistet, wird in
der Geschichte kein besonderes Gewicht haben; auch zweifle ich, ob die künftige
Kritik in einem neuen Kanon classischer Schriftsteller von seinen Werken Notiz
nehmen wird. Für den aufmerksamen Geschichtsforscher dagegen haben diese Ueber-
gangsformen des Geistes, diese Erscheinungen einer werdenden Zeit, wie wir
in Chateaubriand eine der glänzendsten finden, vielleicht einen größern Reiz, als
die vollendeten Blüthen einer fertigen Zeit.

Chateaubriand ist der Vater der neufranzösischen Literatur -- ich möchte sa¬
gen, der neufranzösischen Sprache. Er ist der eigentliche Typus der romantischen
Reaction gegen den Geist der Aufklärung, -- der keineswegs, wie oberflächliche
Kritiker finden, mit der Restauration beginnt, sondern mit der Revolution -- der
Typus wenigstens für Frankreich. Die Franzosen lassen sich noch immer von dem
Glanz seiner Sprache entzücken, für uns sind seine halbpoctischcn Schriften zu
wenig individuell, seine historisch-politischen zu wenig dialektisch, wir würden es kaum
durchsetzen, viel von ihm hintereinander zu lesen. Ich glaube nicht, daß es viele
unter uns geben wird, die den ganzen (ivulo lin ^in-istiimiiime zu Ende gebracht
haben; indeß Chateaubriand gehört zu den Namen, bei deren Klang man sich
beruhigt, wie Klopstock, Herder u. s. w. Wenn wir für ihn Interesse fassen sollen,
so müssen wir ihn in seinem geistigen Zusammenhang, in seiner geschichtlichen
Berechtigung uns vorstellig machen. Hier finden wir, daß sein literarischer Cha¬
rakter sich in seinem Leben wiederfindet, und das eine muß dem andern zu seinem
Rechte verhelfen.

Ein buntes, abenteuerlich-phantastisches Leben! Was für Revolutionen sind
in diesen 80 Jahren an ihm vorübergegangen! Er hat sie redlich durchgemacht.
Als njähriger Jüngling Soldat unter dem iuicivn rvoimv, in der Revolution
flüchtig und Wanderer in den Urwäldern des Mississippi; nach einer kurzen Kriegs-
Mode am Rhein Refugie in England, in der Napoleonischen Zeit politisch-
romantischer Schriftsteller, abwechselnd in Rom, und Pilger in den klassischen Ge¬
genden der Vorzeit, AegYPten, Palästina, Griechenland, wo er heiliges Wasser aus
dem Jordan mitbrachte, Schilf aus dem Nil, Kiesel ans Sparta--unter der Restaura¬
tion Minister, Diplomat, Pair, und was sonst die Geschäfte mit sich brachten, wech¬
selnd mit der Woge der politischen Ebbe und Fluth; nach der Julirevolution in
ehrenvollen und gefeierten Privatstande, das Ideal aller eleganten Feuilletonisten und


sorbiren nicht mir unsere Thätigkeit, sonder» anch unsere Gedanken. Es fällt mir
am wenigsten ein, gegen eine Lage der Dinge Protest einzulegen, die für ein
tüchtiges Volk die normale ist; aber die Bestinnnnng der Grenzboten, in Bildern
zu fixiren, was in der eigentlichen Tagesliteratur in der formlosen Flüssigkeit der
Bewegung vorübergeht, gibt mir das siecht, einem bedeutenden Mann ein Paar
Augenblicke mehr zu schenken, als gerade seine unmittelbare Beziehung zu der Ta¬
gesfrage erheischen möchte.

Was Chateaubriand in der. eigentlich politischen Sphäre geleistet, wird in
der Geschichte kein besonderes Gewicht haben; auch zweifle ich, ob die künftige
Kritik in einem neuen Kanon classischer Schriftsteller von seinen Werken Notiz
nehmen wird. Für den aufmerksamen Geschichtsforscher dagegen haben diese Ueber-
gangsformen des Geistes, diese Erscheinungen einer werdenden Zeit, wie wir
in Chateaubriand eine der glänzendsten finden, vielleicht einen größern Reiz, als
die vollendeten Blüthen einer fertigen Zeit.

Chateaubriand ist der Vater der neufranzösischen Literatur — ich möchte sa¬
gen, der neufranzösischen Sprache. Er ist der eigentliche Typus der romantischen
Reaction gegen den Geist der Aufklärung, — der keineswegs, wie oberflächliche
Kritiker finden, mit der Restauration beginnt, sondern mit der Revolution — der
Typus wenigstens für Frankreich. Die Franzosen lassen sich noch immer von dem
Glanz seiner Sprache entzücken, für uns sind seine halbpoctischcn Schriften zu
wenig individuell, seine historisch-politischen zu wenig dialektisch, wir würden es kaum
durchsetzen, viel von ihm hintereinander zu lesen. Ich glaube nicht, daß es viele
unter uns geben wird, die den ganzen (ivulo lin ^in-istiimiiime zu Ende gebracht
haben; indeß Chateaubriand gehört zu den Namen, bei deren Klang man sich
beruhigt, wie Klopstock, Herder u. s. w. Wenn wir für ihn Interesse fassen sollen,
so müssen wir ihn in seinem geistigen Zusammenhang, in seiner geschichtlichen
Berechtigung uns vorstellig machen. Hier finden wir, daß sein literarischer Cha¬
rakter sich in seinem Leben wiederfindet, und das eine muß dem andern zu seinem
Rechte verhelfen.

Ein buntes, abenteuerlich-phantastisches Leben! Was für Revolutionen sind
in diesen 80 Jahren an ihm vorübergegangen! Er hat sie redlich durchgemacht.
Als njähriger Jüngling Soldat unter dem iuicivn rvoimv, in der Revolution
flüchtig und Wanderer in den Urwäldern des Mississippi; nach einer kurzen Kriegs-
Mode am Rhein Refugie in England, in der Napoleonischen Zeit politisch-
romantischer Schriftsteller, abwechselnd in Rom, und Pilger in den klassischen Ge¬
genden der Vorzeit, AegYPten, Palästina, Griechenland, wo er heiliges Wasser aus
dem Jordan mitbrachte, Schilf aus dem Nil, Kiesel ans Sparta—unter der Restaura¬
tion Minister, Diplomat, Pair, und was sonst die Geschäfte mit sich brachten, wech¬
selnd mit der Woge der politischen Ebbe und Fluth; nach der Julirevolution in
ehrenvollen und gefeierten Privatstande, das Ideal aller eleganten Feuilletonisten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/163>, abgerufen am 22.07.2024.