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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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tritt, in einen Mantel oder Ueberwurf gehüllt, herein, er läßt im rechten Augen¬
blick leise den Vorstand um'S Wort bitten. Er erhält es, er steigt auf die Tri¬
bune, der Mantel fällt kräftig von seinen Schultern. Dies ist einer der dank¬
barsten ministeriellen Momente, welche es gibt, aber er verlangt tiefes Studium.
Der Minister hat die Heldenarbeit, die feindliche Verbindung zu überzeugen, daß
sie sich freiwillig zum Wohl des Vaterlandes auflösen müsse, er selbst sei gekommen,
sie darum zu bitten u. f. w. Möglich, daß ihn Einer erschießt und ihm dadurch
auf brutale Weise den dramatischen Effect verdirbt, doch wen" es Deutsche sind,
mit denen er verhandelt, so ist das kaum möglich, wahrscheinlich aber, daß seine
Rede, seine ehrenhafte Kühnheit, die Ueberraschung des Momentes sie so weit
bringen, daß sie sich seinem Willen fügen. Diese Action hat übrigens für den
Minister außerdem, daß sie ihm Gelegenheit gibt, eine imponirende Ucberraschnngs-
scene zu spielen, noch ein Interesse; er kann in ihr merken, ob er von dem Stoff
ist, aus dem sich die Zeit ihre großen Männer meißelt.

Wer aber das Zeug hat, einen Staatsmann aus sich zu macheu, der versuche
diese Recepte, und er wird sie untrüglich finde", sie garantiren ihm Dauer und
Kraft. Außerdem kommt es freilich noch auf eine Kleinigkeit an, ob der Herr
nur ein intrignanter Schuft oder von echtem Metall ist; auch im ersteren Fall
wird er die Herrschaft erringen, aber es kann ihm vielleicht begegnen, daß er noch
vor seinem Tode das Unglück hat, durch Voltsjustiz gehängt zu werden.

Im zweiten Fall wird man ihm Statuen setzen und sein Andenken segnen. .


Mstte


Ghatemlbriand und seine Zeit.



Chateaubriand's Tod ist in der Unruhe unserer Tage ziemlich unbeachtet vor¬
übergegangen, man hat die Notabilitäten aufgezählt, die sich seinem Leichenzuge
anschlössen, und ihn dann mit ein Paar Worten flüchtigen Bedauerns oder mit
den currenten Höflichkeitsformeln entlassen. Wir sind in Deutschland soweit ge¬
kommen, uns öffentlicher Charaktere zu rühmen; bei del Vecchio und was sonst
auf Fashion Anspruch macht, hängen die Portraits aus der Paulskirche und der
Siugacademie, und über der Neugier, was wird Robert Blum morgen für neue
reactionäre Verräthereien entdeckt haben, haben wir keine Zeit, uns nach gestern
und vorgestern umzusehen, und die halb schon verblichenen Skizzen unserer Erin¬
nerung zu einem Gemälde auszuführen. Wir begraben unsere Todten und fer¬
tigen sie mit einem einfachen Kreuze ab, denn die Pflichten des Augenblicks ab-


tritt, in einen Mantel oder Ueberwurf gehüllt, herein, er läßt im rechten Augen¬
blick leise den Vorstand um'S Wort bitten. Er erhält es, er steigt auf die Tri¬
bune, der Mantel fällt kräftig von seinen Schultern. Dies ist einer der dank¬
barsten ministeriellen Momente, welche es gibt, aber er verlangt tiefes Studium.
Der Minister hat die Heldenarbeit, die feindliche Verbindung zu überzeugen, daß
sie sich freiwillig zum Wohl des Vaterlandes auflösen müsse, er selbst sei gekommen,
sie darum zu bitten u. f. w. Möglich, daß ihn Einer erschießt und ihm dadurch
auf brutale Weise den dramatischen Effect verdirbt, doch wen» es Deutsche sind,
mit denen er verhandelt, so ist das kaum möglich, wahrscheinlich aber, daß seine
Rede, seine ehrenhafte Kühnheit, die Ueberraschung des Momentes sie so weit
bringen, daß sie sich seinem Willen fügen. Diese Action hat übrigens für den
Minister außerdem, daß sie ihm Gelegenheit gibt, eine imponirende Ucberraschnngs-
scene zu spielen, noch ein Interesse; er kann in ihr merken, ob er von dem Stoff
ist, aus dem sich die Zeit ihre großen Männer meißelt.

Wer aber das Zeug hat, einen Staatsmann aus sich zu macheu, der versuche
diese Recepte, und er wird sie untrüglich finde», sie garantiren ihm Dauer und
Kraft. Außerdem kommt es freilich noch auf eine Kleinigkeit an, ob der Herr
nur ein intrignanter Schuft oder von echtem Metall ist; auch im ersteren Fall
wird er die Herrschaft erringen, aber es kann ihm vielleicht begegnen, daß er noch
vor seinem Tode das Unglück hat, durch Voltsjustiz gehängt zu werden.

Im zweiten Fall wird man ihm Statuen setzen und sein Andenken segnen. .


Mstte


Ghatemlbriand und seine Zeit.



Chateaubriand's Tod ist in der Unruhe unserer Tage ziemlich unbeachtet vor¬
übergegangen, man hat die Notabilitäten aufgezählt, die sich seinem Leichenzuge
anschlössen, und ihn dann mit ein Paar Worten flüchtigen Bedauerns oder mit
den currenten Höflichkeitsformeln entlassen. Wir sind in Deutschland soweit ge¬
kommen, uns öffentlicher Charaktere zu rühmen; bei del Vecchio und was sonst
auf Fashion Anspruch macht, hängen die Portraits aus der Paulskirche und der
Siugacademie, und über der Neugier, was wird Robert Blum morgen für neue
reactionäre Verräthereien entdeckt haben, haben wir keine Zeit, uns nach gestern
und vorgestern umzusehen, und die halb schon verblichenen Skizzen unserer Erin¬
nerung zu einem Gemälde auszuführen. Wir begraben unsere Todten und fer¬
tigen sie mit einem einfachen Kreuze ab, denn die Pflichten des Augenblicks ab-


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[0162] tritt, in einen Mantel oder Ueberwurf gehüllt, herein, er läßt im rechten Augen¬ blick leise den Vorstand um'S Wort bitten. Er erhält es, er steigt auf die Tri¬ bune, der Mantel fällt kräftig von seinen Schultern. Dies ist einer der dank¬ barsten ministeriellen Momente, welche es gibt, aber er verlangt tiefes Studium. Der Minister hat die Heldenarbeit, die feindliche Verbindung zu überzeugen, daß sie sich freiwillig zum Wohl des Vaterlandes auflösen müsse, er selbst sei gekommen, sie darum zu bitten u. f. w. Möglich, daß ihn Einer erschießt und ihm dadurch auf brutale Weise den dramatischen Effect verdirbt, doch wen» es Deutsche sind, mit denen er verhandelt, so ist das kaum möglich, wahrscheinlich aber, daß seine Rede, seine ehrenhafte Kühnheit, die Ueberraschung des Momentes sie so weit bringen, daß sie sich seinem Willen fügen. Diese Action hat übrigens für den Minister außerdem, daß sie ihm Gelegenheit gibt, eine imponirende Ucberraschnngs- scene zu spielen, noch ein Interesse; er kann in ihr merken, ob er von dem Stoff ist, aus dem sich die Zeit ihre großen Männer meißelt. Wer aber das Zeug hat, einen Staatsmann aus sich zu macheu, der versuche diese Recepte, und er wird sie untrüglich finde», sie garantiren ihm Dauer und Kraft. Außerdem kommt es freilich noch auf eine Kleinigkeit an, ob der Herr nur ein intrignanter Schuft oder von echtem Metall ist; auch im ersteren Fall wird er die Herrschaft erringen, aber es kann ihm vielleicht begegnen, daß er noch vor seinem Tode das Unglück hat, durch Voltsjustiz gehängt zu werden. Im zweiten Fall wird man ihm Statuen setzen und sein Andenken segnen. . Mstte Ghatemlbriand und seine Zeit. Chateaubriand's Tod ist in der Unruhe unserer Tage ziemlich unbeachtet vor¬ übergegangen, man hat die Notabilitäten aufgezählt, die sich seinem Leichenzuge anschlössen, und ihn dann mit ein Paar Worten flüchtigen Bedauerns oder mit den currenten Höflichkeitsformeln entlassen. Wir sind in Deutschland soweit ge¬ kommen, uns öffentlicher Charaktere zu rühmen; bei del Vecchio und was sonst auf Fashion Anspruch macht, hängen die Portraits aus der Paulskirche und der Siugacademie, und über der Neugier, was wird Robert Blum morgen für neue reactionäre Verräthereien entdeckt haben, haben wir keine Zeit, uns nach gestern und vorgestern umzusehen, und die halb schon verblichenen Skizzen unserer Erin¬ nerung zu einem Gemälde auszuführen. Wir begraben unsere Todten und fer¬ tigen sie mit einem einfachen Kreuze ab, denn die Pflichten des Augenblicks ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/162>, abgerufen am 22.07.2024.