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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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dem Zuhören vorsagen: Alles schon dagewesen, Alles schon dagewesen, oder Berg
Scham, öffne dich! oder ein altes Schnigel'et oder eine ähnliche Phrase, die als
Schwimmblase ihn über dem Wasser der eindringenden Empfindungen erhält, und
dabei werfe er Seitenblicke auf sein Aeußeres, das um so größere Unbefangenheit
zeigen muß, je mehr die Aufregung in ihm tobt. Kommt aber der Moment, wo
er activ sei" muß, so gebe er sich einen Ruck und springe sogleich kräftig in die
Stimmung hinein, die der Moment fordert. Er wird in der Regel gut thun,
schon die ersten Worte recht laut und kräftig heranszusprechen, wenn es ihn auch
Anstrengung kostet und er das folgende noch nicht recht übersieht, denn durch die
energische Spannung wird sein ganzes Wesen, auch seine Mimik gehoben und
nachdrücklich. Vor Allem aber gewöhne er seine Gedanken, daß sie den Weg vom
Ohr zur Zunge recht schnell zurücklegen. Er muß das, was er eben erst in sich
aufgenommen hat, mit der größten Sicherheit und Fertigkeit, als ein tief Durch¬
dachtes und Durchlebtes ausdrücken. In diesen kritischen Momenten, wo er eine
Unwissenheit durch flüchtig aufgefangene Notizen zu verdecken hat, muß sein gan¬
zes Wesen verklärt sein durch die Innigkeit und Kraft seiner Ueberzeugungen,
seine Stimme muß in den vollsten Tönen einherranschen, und hat er ein Bäuch-
lein, so muß es schüttern. Es ist natürlich, daß unsere jungen Minister Vieles
nicht wissen, aber nie muß mau ein Schwanken, ein Zaudern an ihnen bemerken.
Vollends schwer ist es, für den Umgang mit Personen allgemeine Vorschriften zu
gebe.u, nur die eine gilt immer: daß der Minister vor der Annahme jeder politi¬
schen Visite genau überlegt haben muß: welches ist meine Rolle, welcher Frack,
welche Verbeugung, welcher Ton, welche Wirkung. Im Anfange kostet das Zeit,
Zuletzt hat man's im Augenblick. Hier muß ich unter den Volksführern der Gegen¬
wart Einen rühmend erwähnen, der Mann hat eine große Zukunft, denn er hat eine
höchst achtungswerthe dramatische Technik. Der Moment z. B., wo er den "kühnen
Griff" that, bleibt ein Muster für Sitnativnsbegeisternngcn, er hat nicht nur
etwas Originelles geleistet, er ist mich vom Standpunkt ministerieller Kunst be-
wuudernsmürdig. In derselben Versammlung sitzt noch eine andere dramatische
Erscheinung, die so interessant ist, daß sie eine besondere Besprechung verdient,
es ist der Hanptführer der Linken. Hier nnr die Bemerkung, daß er einzelne der
angeführten Künste eines Ministers mit großer Virtuosität ausgebildet zeigt, z. B.
Hören während des Sprechens, die schnelle innige Begeisterung, welche er mit
Vollkommenheit darstellt. Vielleicht ist er eben deshalb, trotz seiner brillanten
Technik, mehr Virtuose, als Künstler, und in einiger Gefahr manierirt zu werden;'
Man muß von ihm sagen, was die Catalani von der Sonntag sagte: er ist groß
seinem Genre, aber sein Genre ist nicht groß. -- Manchmal sind diese dra¬
matischen Repräsentationen mit Gefahr verknüpft, um so schöner sind sie, wenn sie
gelingen. Z. ^. das Wohl des Landes verlangt, daß ein fanatisches Freicorps
aufgelöst wird. Es ist Abend, das Corps hält bewaffnete Sitzung. Der Minister


dem Zuhören vorsagen: Alles schon dagewesen, Alles schon dagewesen, oder Berg
Scham, öffne dich! oder ein altes Schnigel'et oder eine ähnliche Phrase, die als
Schwimmblase ihn über dem Wasser der eindringenden Empfindungen erhält, und
dabei werfe er Seitenblicke auf sein Aeußeres, das um so größere Unbefangenheit
zeigen muß, je mehr die Aufregung in ihm tobt. Kommt aber der Moment, wo
er activ sei» muß, so gebe er sich einen Ruck und springe sogleich kräftig in die
Stimmung hinein, die der Moment fordert. Er wird in der Regel gut thun,
schon die ersten Worte recht laut und kräftig heranszusprechen, wenn es ihn auch
Anstrengung kostet und er das folgende noch nicht recht übersieht, denn durch die
energische Spannung wird sein ganzes Wesen, auch seine Mimik gehoben und
nachdrücklich. Vor Allem aber gewöhne er seine Gedanken, daß sie den Weg vom
Ohr zur Zunge recht schnell zurücklegen. Er muß das, was er eben erst in sich
aufgenommen hat, mit der größten Sicherheit und Fertigkeit, als ein tief Durch¬
dachtes und Durchlebtes ausdrücken. In diesen kritischen Momenten, wo er eine
Unwissenheit durch flüchtig aufgefangene Notizen zu verdecken hat, muß sein gan¬
zes Wesen verklärt sein durch die Innigkeit und Kraft seiner Ueberzeugungen,
seine Stimme muß in den vollsten Tönen einherranschen, und hat er ein Bäuch-
lein, so muß es schüttern. Es ist natürlich, daß unsere jungen Minister Vieles
nicht wissen, aber nie muß mau ein Schwanken, ein Zaudern an ihnen bemerken.
Vollends schwer ist es, für den Umgang mit Personen allgemeine Vorschriften zu
gebe.u, nur die eine gilt immer: daß der Minister vor der Annahme jeder politi¬
schen Visite genau überlegt haben muß: welches ist meine Rolle, welcher Frack,
welche Verbeugung, welcher Ton, welche Wirkung. Im Anfange kostet das Zeit,
Zuletzt hat man's im Augenblick. Hier muß ich unter den Volksführern der Gegen¬
wart Einen rühmend erwähnen, der Mann hat eine große Zukunft, denn er hat eine
höchst achtungswerthe dramatische Technik. Der Moment z. B., wo er den „kühnen
Griff" that, bleibt ein Muster für Sitnativnsbegeisternngcn, er hat nicht nur
etwas Originelles geleistet, er ist mich vom Standpunkt ministerieller Kunst be-
wuudernsmürdig. In derselben Versammlung sitzt noch eine andere dramatische
Erscheinung, die so interessant ist, daß sie eine besondere Besprechung verdient,
es ist der Hanptführer der Linken. Hier nnr die Bemerkung, daß er einzelne der
angeführten Künste eines Ministers mit großer Virtuosität ausgebildet zeigt, z. B.
Hören während des Sprechens, die schnelle innige Begeisterung, welche er mit
Vollkommenheit darstellt. Vielleicht ist er eben deshalb, trotz seiner brillanten
Technik, mehr Virtuose, als Künstler, und in einiger Gefahr manierirt zu werden;'
Man muß von ihm sagen, was die Catalani von der Sonntag sagte: er ist groß
seinem Genre, aber sein Genre ist nicht groß. — Manchmal sind diese dra¬
matischen Repräsentationen mit Gefahr verknüpft, um so schöner sind sie, wenn sie
gelingen. Z. ^. das Wohl des Landes verlangt, daß ein fanatisches Freicorps
aufgelöst wird. Es ist Abend, das Corps hält bewaffnete Sitzung. Der Minister


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/161>, abgerufen am 03.07.2024.