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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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gesorgt, so werft noch schnell einige wirksame administrative Verordnungen hinter¬
drein, damit die Menschheit sieht, daß ihr regiert. Achtet auch auf den Styl
eurer Proklamationen, macht recht viele Absätze. Solche Absätze können, geschickt
angebracht, wirken, wie die Kanonenschläge bei einem Feuerwerk. Im Allgemeinen
geben Negiernngsdecrcte durchaus keine Gelegenheit, gute Laune zu zeigen, indeß
gewähren Revolutionszeiten auch hierin einige Freiheit. Ein recht kräftiger Aus¬
druck, zarter Auflug von Bonhomie, recht treuherziger Ton, zuweilen anch Kürze
und Grobheit versüßen dem Volke die Lectüre dieser trockenen Sachen und bringen
die anmuthige Stimmung des Gehorsams viel leichter hervor, als irgend etwas
anderes. Und solche Decrete u"d Bekanntmachungen muß ein neuer Minister sehr
oft erlassen, er muß sich fortwährend der Nation als geschäftig, rührig, auf dem
Platze zeigen. Nur so kauu er ihr Liebling werden. Heut hat das Volk seine
Placate gleichgiltig gelesen, in acht Tagen freut es sich bereits über seine starken
Ausdrücke oder epigrammatischen Sätze, in vier Wochen gewinnt es die feste
Ueberzeugung, tüchtig regiert zu werden und das gereicht dem Volk zum großen
Troste, dem Minister aber bringt's Vertrauen. Von allen deutschen Ministerien
versteht diese kleine Decretenkunst keins so gut als das sächsische *).

Napoleon, der es überhaupt verstand, dramatische Wirkungen hervorzubringen,
ließ sich vou Talma Privarlectionen in der Mimik der Majestät geben. Der kluge
Mann verschmähte es nicht, zu ahnen, daß ein Vorhemdchenband, welches oben
zur Halsbinde herausragt, die ganze Erscheinung eines Staatsmanns ruiniren
könne. Manche unserer Minister haben nicht nur schlechte Chemisen und Toiletten,
ihr ganzer äußerer Mensch ist schlecht. Sie wissen nichts Dramatisches mit ihrem
Leibe auszurichten. Ach und wie verderblich wird das! Gesetzt, hundert Proleta¬
rier dringen in das Zimmer des Ministers und verlangen Arbeit, vor der Haus¬
thür stehen noch ein sechs bis sieben Hundert (Abend, Periode der Katzenmusiken
und des Fenstereinwersens). In diesem Moment ist die ganze dramatische Kraft
auf Seiten der Proletarier, der Minister spielt die undankbare Rolle eines Ver¬
trauten oder Pierrots, welcher nur dazu da ist, damit an ihm herum gehandelt
wird. Aus dieser defensiven, zweiten Rolle muß er einen geschickten Uebergang
und die erste, offensive gewinnen. Ist er aber weiter nichts, als ein würdiger,
ehrenwerther Mann, so wird ihm das nicht gelingen, er wird sagen: Liebe Leute,
^ geht so ohne weiteres nicht u. s. w, .und das Ende wird sein, daß er und
l^ne Wohnung maltraitirt werden. Auch das aristokratische Rettungsmittel, den
chreiern Geld zu geben, ist, obgleich nicht ganz unkünstlerisch, doch nur eine
pcube Hi^. er dagegen den nöthigen dramatischen Blick, so läßt er den
eingedrungenen Haufen sich recht ruhig und ausführlich aussprechen, dann erhebt



Zinn. d. Sieb.
*) Avr dem die Grenzboten auch noch aus andern Gründen artig und hochachtungsvoll
ihren Hut abnehmen.
80*

gesorgt, so werft noch schnell einige wirksame administrative Verordnungen hinter¬
drein, damit die Menschheit sieht, daß ihr regiert. Achtet auch auf den Styl
eurer Proklamationen, macht recht viele Absätze. Solche Absätze können, geschickt
angebracht, wirken, wie die Kanonenschläge bei einem Feuerwerk. Im Allgemeinen
geben Negiernngsdecrcte durchaus keine Gelegenheit, gute Laune zu zeigen, indeß
gewähren Revolutionszeiten auch hierin einige Freiheit. Ein recht kräftiger Aus¬
druck, zarter Auflug von Bonhomie, recht treuherziger Ton, zuweilen anch Kürze
und Grobheit versüßen dem Volke die Lectüre dieser trockenen Sachen und bringen
die anmuthige Stimmung des Gehorsams viel leichter hervor, als irgend etwas
anderes. Und solche Decrete u»d Bekanntmachungen muß ein neuer Minister sehr
oft erlassen, er muß sich fortwährend der Nation als geschäftig, rührig, auf dem
Platze zeigen. Nur so kauu er ihr Liebling werden. Heut hat das Volk seine
Placate gleichgiltig gelesen, in acht Tagen freut es sich bereits über seine starken
Ausdrücke oder epigrammatischen Sätze, in vier Wochen gewinnt es die feste
Ueberzeugung, tüchtig regiert zu werden und das gereicht dem Volk zum großen
Troste, dem Minister aber bringt's Vertrauen. Von allen deutschen Ministerien
versteht diese kleine Decretenkunst keins so gut als das sächsische *).

Napoleon, der es überhaupt verstand, dramatische Wirkungen hervorzubringen,
ließ sich vou Talma Privarlectionen in der Mimik der Majestät geben. Der kluge
Mann verschmähte es nicht, zu ahnen, daß ein Vorhemdchenband, welches oben
zur Halsbinde herausragt, die ganze Erscheinung eines Staatsmanns ruiniren
könne. Manche unserer Minister haben nicht nur schlechte Chemisen und Toiletten,
ihr ganzer äußerer Mensch ist schlecht. Sie wissen nichts Dramatisches mit ihrem
Leibe auszurichten. Ach und wie verderblich wird das! Gesetzt, hundert Proleta¬
rier dringen in das Zimmer des Ministers und verlangen Arbeit, vor der Haus¬
thür stehen noch ein sechs bis sieben Hundert (Abend, Periode der Katzenmusiken
und des Fenstereinwersens). In diesem Moment ist die ganze dramatische Kraft
auf Seiten der Proletarier, der Minister spielt die undankbare Rolle eines Ver¬
trauten oder Pierrots, welcher nur dazu da ist, damit an ihm herum gehandelt
wird. Aus dieser defensiven, zweiten Rolle muß er einen geschickten Uebergang
und die erste, offensive gewinnen. Ist er aber weiter nichts, als ein würdiger,
ehrenwerther Mann, so wird ihm das nicht gelingen, er wird sagen: Liebe Leute,
^ geht so ohne weiteres nicht u. s. w, .und das Ende wird sein, daß er und
l^ne Wohnung maltraitirt werden. Auch das aristokratische Rettungsmittel, den
chreiern Geld zu geben, ist, obgleich nicht ganz unkünstlerisch, doch nur eine
pcube Hi^. er dagegen den nöthigen dramatischen Blick, so läßt er den
eingedrungenen Haufen sich recht ruhig und ausführlich aussprechen, dann erhebt



Zinn. d. Sieb.
*) Avr dem die Grenzboten auch noch aus andern Gründen artig und hochachtungsvoll
ihren Hut abnehmen.
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[0159] gesorgt, so werft noch schnell einige wirksame administrative Verordnungen hinter¬ drein, damit die Menschheit sieht, daß ihr regiert. Achtet auch auf den Styl eurer Proklamationen, macht recht viele Absätze. Solche Absätze können, geschickt angebracht, wirken, wie die Kanonenschläge bei einem Feuerwerk. Im Allgemeinen geben Negiernngsdecrcte durchaus keine Gelegenheit, gute Laune zu zeigen, indeß gewähren Revolutionszeiten auch hierin einige Freiheit. Ein recht kräftiger Aus¬ druck, zarter Auflug von Bonhomie, recht treuherziger Ton, zuweilen anch Kürze und Grobheit versüßen dem Volke die Lectüre dieser trockenen Sachen und bringen die anmuthige Stimmung des Gehorsams viel leichter hervor, als irgend etwas anderes. Und solche Decrete u»d Bekanntmachungen muß ein neuer Minister sehr oft erlassen, er muß sich fortwährend der Nation als geschäftig, rührig, auf dem Platze zeigen. Nur so kauu er ihr Liebling werden. Heut hat das Volk seine Placate gleichgiltig gelesen, in acht Tagen freut es sich bereits über seine starken Ausdrücke oder epigrammatischen Sätze, in vier Wochen gewinnt es die feste Ueberzeugung, tüchtig regiert zu werden und das gereicht dem Volk zum großen Troste, dem Minister aber bringt's Vertrauen. Von allen deutschen Ministerien versteht diese kleine Decretenkunst keins so gut als das sächsische *). Napoleon, der es überhaupt verstand, dramatische Wirkungen hervorzubringen, ließ sich vou Talma Privarlectionen in der Mimik der Majestät geben. Der kluge Mann verschmähte es nicht, zu ahnen, daß ein Vorhemdchenband, welches oben zur Halsbinde herausragt, die ganze Erscheinung eines Staatsmanns ruiniren könne. Manche unserer Minister haben nicht nur schlechte Chemisen und Toiletten, ihr ganzer äußerer Mensch ist schlecht. Sie wissen nichts Dramatisches mit ihrem Leibe auszurichten. Ach und wie verderblich wird das! Gesetzt, hundert Proleta¬ rier dringen in das Zimmer des Ministers und verlangen Arbeit, vor der Haus¬ thür stehen noch ein sechs bis sieben Hundert (Abend, Periode der Katzenmusiken und des Fenstereinwersens). In diesem Moment ist die ganze dramatische Kraft auf Seiten der Proletarier, der Minister spielt die undankbare Rolle eines Ver¬ trauten oder Pierrots, welcher nur dazu da ist, damit an ihm herum gehandelt wird. Aus dieser defensiven, zweiten Rolle muß er einen geschickten Uebergang und die erste, offensive gewinnen. Ist er aber weiter nichts, als ein würdiger, ehrenwerther Mann, so wird ihm das nicht gelingen, er wird sagen: Liebe Leute, ^ geht so ohne weiteres nicht u. s. w, .und das Ende wird sein, daß er und l^ne Wohnung maltraitirt werden. Auch das aristokratische Rettungsmittel, den chreiern Geld zu geben, ist, obgleich nicht ganz unkünstlerisch, doch nur eine pcube Hi^. er dagegen den nöthigen dramatischen Blick, so läßt er den eingedrungenen Haufen sich recht ruhig und ausführlich aussprechen, dann erhebt Zinn. d. Sieb. *) Avr dem die Grenzboten auch noch aus andern Gründen artig und hochachtungsvoll ihren Hut abnehmen. 80*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/159>, abgerufen am 22.07.2024.