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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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muthige Redensarten: Hochverehrtes Publikum u.s. w. und zuletzt verspricht er
vielleicht bei zahlreichem Besuche ein gemästetes Schwein oder wenigstens eine
Gans auszuspielen. Das fesselt, das zieht, denn Jeder findet darin Etwas für
sein Herz. So muß auch das Programm eiues neuen Ministeriums sein^ es muß
wirken können und deshalb muß es detaillirt und in kräftigem Styl geschrieben
sein. Um Gotteswillen keine diplomatischen allgemeinen Phrase"; die hat das
Volk in den Clubs- und Volksreden viel schöner und wirksamer, und da gegen¬
wärtig der deutsche Liberalismus noch sehr in rhetorischen Phrasen steckt, wie ein
Kind in Drüsen, so gibt dieser Umstand dem Ministerium einen unermeßlichen
Vortheil, sobald es bestimmte Verhältnisse oder Zustände bespricht, an deren Um¬
gestaltung die Masse bis jetzt noch nicht gedacht hat: zumal in den socialen Ver¬
hältnissen gibt es ein ungeheures Feld für wirksame Verheißungen. Solche Sätze z. B.

Die Königlichen Regierungen sollen aufhören; freies Selbstregiment der Kreise,
oder:

Das Ministerium übernimmt die Vaterschaft über sämmtliche uneheliche Kinder
und über die Kinder aller Verbrecher.

Das Ministerium erklärr, daß alle freien Vereine, welche die Volkserhebung
fördern, Handwerkervereine, Schullehrervereine, Turnvereine u. s. f. die
heiligsten Rechte auf Förderung und Dank des Staates haben.

In dieser Weise muß es wenigstens drei Octavseiten fortgehn. Durch alle
Staaten Deutschlands brennt eine ungeheure Majorität immer noch darnach,
sich einem tüchtigen Ministerium in die Arme zu werfen, das benutze man, man
zeige, daß die Arme sehr weit geöffnet und die Brust so groß ist, eine ganze
Welt daran zu drücken. Da höre ich nun, wie mir sämmtliche Ministerien ein¬
werfen: was wir da schreiben und versprechen können, sind das nicht auch Phra¬
sen, mir in anderem Zuschnitt, und ist es nicht Leichtsinn zu versprechen, was man
in all seinen Konsequenzen noch nicht übersieht, was vielleicht unausführbar sein
wird? Thörichte Biedermänner! Wozu seid ihr constitutionelle Minister? Was
unausführbar sein sollte, das laßt auf dem Verfassnngswege durchfallen, was aber
wirklich Noth thut, das im Allgemeinen zu sehen, ist heut zu Tage wirklich nicht
schwer. Seid nur nicht so krakelig, aus jedem Wunsch, jeder Ansicht eine Ka-
binetsftage zu machen. Was thu'es bei unseren Zuständen, wenn ihr bei irgend
einem Punkt in der Minorität der Kammer steht? Wozu sogleich abdanken? Im
Gegentheil, dann müßt ihr euch erst recht fest setzen. Denn fast in allen deut¬
schen Staaten steht es mit der staatsmännischen Einsicht der Volksvertreter so, daß
sie heut verwerfen, was sie morgen annehmen. Und das Volk weiß das bereits.
Allerdings gibt es auch hier eine Grenze. Wozu, aber seid ihr, die Minister, so
rechthaberisch in Einzelheiten, wo die Ereignisse sich so überstürzen, daß voraus¬
sichtlich nicht der zehnte Theil von dem, was die Kammern zu beschließen beschließen,
in die That umgesetzt werden kann? -- Habt ihr für ein tüchtiges Programm


muthige Redensarten: Hochverehrtes Publikum u.s. w. und zuletzt verspricht er
vielleicht bei zahlreichem Besuche ein gemästetes Schwein oder wenigstens eine
Gans auszuspielen. Das fesselt, das zieht, denn Jeder findet darin Etwas für
sein Herz. So muß auch das Programm eiues neuen Ministeriums sein^ es muß
wirken können und deshalb muß es detaillirt und in kräftigem Styl geschrieben
sein. Um Gotteswillen keine diplomatischen allgemeinen Phrase»; die hat das
Volk in den Clubs- und Volksreden viel schöner und wirksamer, und da gegen¬
wärtig der deutsche Liberalismus noch sehr in rhetorischen Phrasen steckt, wie ein
Kind in Drüsen, so gibt dieser Umstand dem Ministerium einen unermeßlichen
Vortheil, sobald es bestimmte Verhältnisse oder Zustände bespricht, an deren Um¬
gestaltung die Masse bis jetzt noch nicht gedacht hat: zumal in den socialen Ver¬
hältnissen gibt es ein ungeheures Feld für wirksame Verheißungen. Solche Sätze z. B.

Die Königlichen Regierungen sollen aufhören; freies Selbstregiment der Kreise,
oder:

Das Ministerium übernimmt die Vaterschaft über sämmtliche uneheliche Kinder
und über die Kinder aller Verbrecher.

Das Ministerium erklärr, daß alle freien Vereine, welche die Volkserhebung
fördern, Handwerkervereine, Schullehrervereine, Turnvereine u. s. f. die
heiligsten Rechte auf Förderung und Dank des Staates haben.

In dieser Weise muß es wenigstens drei Octavseiten fortgehn. Durch alle
Staaten Deutschlands brennt eine ungeheure Majorität immer noch darnach,
sich einem tüchtigen Ministerium in die Arme zu werfen, das benutze man, man
zeige, daß die Arme sehr weit geöffnet und die Brust so groß ist, eine ganze
Welt daran zu drücken. Da höre ich nun, wie mir sämmtliche Ministerien ein¬
werfen: was wir da schreiben und versprechen können, sind das nicht auch Phra¬
sen, mir in anderem Zuschnitt, und ist es nicht Leichtsinn zu versprechen, was man
in all seinen Konsequenzen noch nicht übersieht, was vielleicht unausführbar sein
wird? Thörichte Biedermänner! Wozu seid ihr constitutionelle Minister? Was
unausführbar sein sollte, das laßt auf dem Verfassnngswege durchfallen, was aber
wirklich Noth thut, das im Allgemeinen zu sehen, ist heut zu Tage wirklich nicht
schwer. Seid nur nicht so krakelig, aus jedem Wunsch, jeder Ansicht eine Ka-
binetsftage zu machen. Was thu'es bei unseren Zuständen, wenn ihr bei irgend
einem Punkt in der Minorität der Kammer steht? Wozu sogleich abdanken? Im
Gegentheil, dann müßt ihr euch erst recht fest setzen. Denn fast in allen deut¬
schen Staaten steht es mit der staatsmännischen Einsicht der Volksvertreter so, daß
sie heut verwerfen, was sie morgen annehmen. Und das Volk weiß das bereits.
Allerdings gibt es auch hier eine Grenze. Wozu, aber seid ihr, die Minister, so
rechthaberisch in Einzelheiten, wo die Ereignisse sich so überstürzen, daß voraus¬
sichtlich nicht der zehnte Theil von dem, was die Kammern zu beschließen beschließen,
in die That umgesetzt werden kann? — Habt ihr für ein tüchtiges Programm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/158>, abgerufen am 22.07.2024.