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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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einzige Bekanntmachung hätte genügt, worin er sagte:'"Jch werde thun, was mein
Volk will, Alles, Alles, ohne egoistischen Rückhalt, verantwortliche Minister re¬
gieren von heut ab. Dafür aber bitte ich mein Volk, daß es ein Mitgefühl habe
mit den Empfindungen eines Mannes, der noch in vorgerücktem Alter brechen
muß mit der ganzen Richtung seiner Vergangenheit. Ich werde für mein Volk
leben, so lange das Volk meine Regierung verlangt, ich bin entschlossen, mich
dem Geist der Gegenwart rücksichtslos hinzugeben, aber diese Wandlung in mei¬
nem Innern macht mir Kämpfe, macht mir Schmerzen. Möge mein Volk diese
schonen u. s. w. (im Tone männlicher Rührung mit eingestreuten lyrischen Pointen).
Hätten die Rathgeber des Königs ihn diesen Weg geführt, so hätten die Bürger
seiner Hauptstadt an den Straßenecken Wache gehalten und jede Fliege arretirt,
die zum Schloß hinaufgcsnmmt wäre und die Schusterjungen hätten auf dem
Schloßplatz ihre klappernden Holzschuhe ausgezogen. Denn in diesem Falle hätte
er die dramatische Stimmung hervorgebracht, welche seiner Situation genau ent¬
sprach. Daß er deu rechten Uebergang nicht gefunden, wird sein Staat fühlen,
so lange er besteht. - Es ist nämlich überall, wo man politische Gegner zu be¬
handeln hat, vortheilhaft, den Angriff so einzurichten, daß man die höchsten und
edelsten Stimmungen, deren die Situation fähig ist, hervorbringt. Der Deutsche
hat einen wahren Durst nach gemüthlicher Hochherzigkeit, und es wäre unklug,
wenn man ihm nicht recht ost Gelegenheit gäbe, sich in dergleichen Gefühlen zu
berauschen.

Die Nachwelt wird sich deu Kopf darüber zerbrechen, weshalb wohl manche
deutsche Ministerien dieses Jahres ein so kurzes Leben gehabt haben. Und die
Nachwelt hat guten Grund dazu. Denn es ist in der That schwer zu sagen, worin
die Pillersdvrfe, die Camphausen schlechter find, als ihre Nachfolger. Sie haben
grade so viel politische Bildung, so viel Redlichkeit und Liebenswürdigkeit, als ihre
Erben, und die feinen Unterschiede in ihren und ihrer Nachfolger Ansichten sind
in unserer Zeit, die in colossalen Gegensätzen arbeitet, wahrhaftig nicht der Rede
werth. Weshalb also wurden sie unpopulär? und warum sind die jetzigen Mini¬
ster auf dem besten Wege , dasselbe Schicksal zu haben? Weil ihr Erscheinen, ihre
Maßregeln, ihre Decrete undramatisch waren, sie hatten keinen Schein, kein Aus-
sehn, sie konnten nicht wirken, nicht erwärmen und anziehen. Gleich ihr Ans--
treten, ihre Programme , wie unkünstlerisch, wie flach, keine Pointen darin! Sie
glaubten Wunder wie viel gethan zu haben, als sie sich sür verantwortlich erklär-
Das verstand sich ja von selbst; es war, als wenn ein Schauspieldirector
uach seiner Ankunft in einer kleinen Stadt anschlagen ließe: ich werde Komödie
Meter. Das setzt Jedermann voraus. Aber welches Stück, das ist die Hauptsache.
Er muß das Stück mit allem Detail ausschreien lassen und das Stück muß alles
""Mer, Thränen, Lachen, Gesang, Meuchelmord aus Wohlwollen
und Vergnügen, und darunter eine Erklärung von alle dem und noch einige an-


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einzige Bekanntmachung hätte genügt, worin er sagte:'"Jch werde thun, was mein
Volk will, Alles, Alles, ohne egoistischen Rückhalt, verantwortliche Minister re¬
gieren von heut ab. Dafür aber bitte ich mein Volk, daß es ein Mitgefühl habe
mit den Empfindungen eines Mannes, der noch in vorgerücktem Alter brechen
muß mit der ganzen Richtung seiner Vergangenheit. Ich werde für mein Volk
leben, so lange das Volk meine Regierung verlangt, ich bin entschlossen, mich
dem Geist der Gegenwart rücksichtslos hinzugeben, aber diese Wandlung in mei¬
nem Innern macht mir Kämpfe, macht mir Schmerzen. Möge mein Volk diese
schonen u. s. w. (im Tone männlicher Rührung mit eingestreuten lyrischen Pointen).
Hätten die Rathgeber des Königs ihn diesen Weg geführt, so hätten die Bürger
seiner Hauptstadt an den Straßenecken Wache gehalten und jede Fliege arretirt,
die zum Schloß hinaufgcsnmmt wäre und die Schusterjungen hätten auf dem
Schloßplatz ihre klappernden Holzschuhe ausgezogen. Denn in diesem Falle hätte
er die dramatische Stimmung hervorgebracht, welche seiner Situation genau ent¬
sprach. Daß er deu rechten Uebergang nicht gefunden, wird sein Staat fühlen,
so lange er besteht. - Es ist nämlich überall, wo man politische Gegner zu be¬
handeln hat, vortheilhaft, den Angriff so einzurichten, daß man die höchsten und
edelsten Stimmungen, deren die Situation fähig ist, hervorbringt. Der Deutsche
hat einen wahren Durst nach gemüthlicher Hochherzigkeit, und es wäre unklug,
wenn man ihm nicht recht ost Gelegenheit gäbe, sich in dergleichen Gefühlen zu
berauschen.

Die Nachwelt wird sich deu Kopf darüber zerbrechen, weshalb wohl manche
deutsche Ministerien dieses Jahres ein so kurzes Leben gehabt haben. Und die
Nachwelt hat guten Grund dazu. Denn es ist in der That schwer zu sagen, worin
die Pillersdvrfe, die Camphausen schlechter find, als ihre Nachfolger. Sie haben
grade so viel politische Bildung, so viel Redlichkeit und Liebenswürdigkeit, als ihre
Erben, und die feinen Unterschiede in ihren und ihrer Nachfolger Ansichten sind
in unserer Zeit, die in colossalen Gegensätzen arbeitet, wahrhaftig nicht der Rede
werth. Weshalb also wurden sie unpopulär? und warum sind die jetzigen Mini¬
ster auf dem besten Wege , dasselbe Schicksal zu haben? Weil ihr Erscheinen, ihre
Maßregeln, ihre Decrete undramatisch waren, sie hatten keinen Schein, kein Aus-
sehn, sie konnten nicht wirken, nicht erwärmen und anziehen. Gleich ihr Ans--
treten, ihre Programme , wie unkünstlerisch, wie flach, keine Pointen darin! Sie
glaubten Wunder wie viel gethan zu haben, als sie sich sür verantwortlich erklär-
Das verstand sich ja von selbst; es war, als wenn ein Schauspieldirector
uach seiner Ankunft in einer kleinen Stadt anschlagen ließe: ich werde Komödie
Meter. Das setzt Jedermann voraus. Aber welches Stück, das ist die Hauptsache.
Er muß das Stück mit allem Detail ausschreien lassen und das Stück muß alles
""Mer, Thränen, Lachen, Gesang, Meuchelmord aus Wohlwollen
und Vergnügen, und darunter eine Erklärung von alle dem und noch einige an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/157>, abgerufen am 22.07.2024.