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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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einer feindlichen Partei/ sehr nützlich endlich für den Nachruhm selbst beim Ab¬
gänge vom Posten. Die Wirkungen ans das Volk sind unermeßlich, es gibt Völker,
z. B. die Franzosen, welche ans die Länge nur durch dramatische Kunst zu regie¬
ren sind, und Louis Philipp wäre vielleicht uoch heut König, wenn er mehr dra¬
matisches Talent gehabt hätte, er war aber einer von den unglücklichen Dilettanten,
welche stets Komödie spielen wollen und doch keine Courage haben, die Pointen
herauszutreiben; außerdem war sein Rollenfach durchaus nicht in Einklang mit sei¬
ner Stellung; er war von dem Genre Kotzebuescher Väter, so eine Art launenhafter
Rechnungsrath und Partieumacher, während die Nation einen Helden und Coulissen¬
reißer wünschte, deßhalb langweilte er die Franzosen und es half nur eine Zeit lang,
daß er, um diesen Mangel seines Wesens zu verdecken, Andere gegen sich dramatisch
werde", d. h. ans sich schießen ließ. Und nun vollends sein schlechter Abgang!
Dieser Abgang hat seine Familie ruinirt, es war so gar keine Gelegenheit zum
Applaudiren dabei, selbst nicht für seine Freunde. Uns Deutschen passirt es noch
außerdem, daß wir sehr rohe Komödianten sind, wenn wir einmal die Nothwen¬
digkeit fühlen uns dramatisch zu geberden. Z. B. Ein König ist in offnem
Kampf mit seiner Hauptstadt, Bürgerblut, Barrikade", Revolution u. s. w. Er
muß einlenken, den neuen Geist anerkenne". Seine Räthe empfehlen ihm die
Action eines großen Königszuges mit allem theatralischen Zubehör. War der
nicht dramatisch genug? Nein, zum Teufel, das war ein unkluger Streich in den
Augen jedes gewissenhaften Schauspielers, denn dem Effect fehlte jede Spur in¬
nerer Wahrheit, es war nichts, als eine unmotivirte Effecthascherei, wie sie keiner
von unsern Theaterdichter" wagen würde, und die sind doch wahrhaftig darin nicht
bedenklich. Wohl weinte" und schrien die Leute, welche den armen Herrn in seiner
Action sahen, aber sie thaten das gerade deshalb, weil ihnen der König weh that,
der zu so schlechtem Schauspielen heruntergekommen war, sie applaudirten ihm
aus Jammer und Mitleid. Die Mäuner aber, die ihm dazu gerathen, verdienen
Eselsohren, denn sie haben ihn und sein Volk in den Augen Aller, welche die
klägliche Begebenheit uicht selbst erlebten, aus lange Zeit gedemüthigt. Hätten
sie nnr den Shakespeare gekannt, dessen historische Stücke jeder Minister auswen¬
dig wissen muß, sie hätten ihn ganz anders geführt. Dort steht die ganze Ge¬
schichte. Richard II. hat durch romantischen Leichtsinn sein Volk gegen sich empört,
er ist in Gefahr abgesetzt zu werden. Der Dichter hat ihn bis dahin frivol, ge¬
waltsam, rücksichtslos gegen Volkswünschc gezeigt, jetzt muß er auf einmal dem¬
selben König die Theilnahme des Publikums zuwenden, alle Sympathien auf seine
Person concentriren. Er läßt ihn keinen Aufzug machen, sondern er gibt dem
König Gelegenheit, den vollen, rührenden Schmerz eines Mannes zu zeigen, der
von Allem scheiden soll, was sein vergangenes Leben ausgemacht. Das ergreift,
das erschüttert uns, denn es ist echt dramatisch, es ist menschlich, es ist wahr.
In derselben Weise mußte man den bewußten König auch agiren lassen. Eine


einer feindlichen Partei/ sehr nützlich endlich für den Nachruhm selbst beim Ab¬
gänge vom Posten. Die Wirkungen ans das Volk sind unermeßlich, es gibt Völker,
z. B. die Franzosen, welche ans die Länge nur durch dramatische Kunst zu regie¬
ren sind, und Louis Philipp wäre vielleicht uoch heut König, wenn er mehr dra¬
matisches Talent gehabt hätte, er war aber einer von den unglücklichen Dilettanten,
welche stets Komödie spielen wollen und doch keine Courage haben, die Pointen
herauszutreiben; außerdem war sein Rollenfach durchaus nicht in Einklang mit sei¬
ner Stellung; er war von dem Genre Kotzebuescher Väter, so eine Art launenhafter
Rechnungsrath und Partieumacher, während die Nation einen Helden und Coulissen¬
reißer wünschte, deßhalb langweilte er die Franzosen und es half nur eine Zeit lang,
daß er, um diesen Mangel seines Wesens zu verdecken, Andere gegen sich dramatisch
werde», d. h. ans sich schießen ließ. Und nun vollends sein schlechter Abgang!
Dieser Abgang hat seine Familie ruinirt, es war so gar keine Gelegenheit zum
Applaudiren dabei, selbst nicht für seine Freunde. Uns Deutschen passirt es noch
außerdem, daß wir sehr rohe Komödianten sind, wenn wir einmal die Nothwen¬
digkeit fühlen uns dramatisch zu geberden. Z. B. Ein König ist in offnem
Kampf mit seiner Hauptstadt, Bürgerblut, Barrikade», Revolution u. s. w. Er
muß einlenken, den neuen Geist anerkenne». Seine Räthe empfehlen ihm die
Action eines großen Königszuges mit allem theatralischen Zubehör. War der
nicht dramatisch genug? Nein, zum Teufel, das war ein unkluger Streich in den
Augen jedes gewissenhaften Schauspielers, denn dem Effect fehlte jede Spur in¬
nerer Wahrheit, es war nichts, als eine unmotivirte Effecthascherei, wie sie keiner
von unsern Theaterdichter» wagen würde, und die sind doch wahrhaftig darin nicht
bedenklich. Wohl weinte» und schrien die Leute, welche den armen Herrn in seiner
Action sahen, aber sie thaten das gerade deshalb, weil ihnen der König weh that,
der zu so schlechtem Schauspielen heruntergekommen war, sie applaudirten ihm
aus Jammer und Mitleid. Die Mäuner aber, die ihm dazu gerathen, verdienen
Eselsohren, denn sie haben ihn und sein Volk in den Augen Aller, welche die
klägliche Begebenheit uicht selbst erlebten, aus lange Zeit gedemüthigt. Hätten
sie nnr den Shakespeare gekannt, dessen historische Stücke jeder Minister auswen¬
dig wissen muß, sie hätten ihn ganz anders geführt. Dort steht die ganze Ge¬
schichte. Richard II. hat durch romantischen Leichtsinn sein Volk gegen sich empört,
er ist in Gefahr abgesetzt zu werden. Der Dichter hat ihn bis dahin frivol, ge¬
waltsam, rücksichtslos gegen Volkswünschc gezeigt, jetzt muß er auf einmal dem¬
selben König die Theilnahme des Publikums zuwenden, alle Sympathien auf seine
Person concentriren. Er läßt ihn keinen Aufzug machen, sondern er gibt dem
König Gelegenheit, den vollen, rührenden Schmerz eines Mannes zu zeigen, der
von Allem scheiden soll, was sein vergangenes Leben ausgemacht. Das ergreift,
das erschüttert uns, denn es ist echt dramatisch, es ist menschlich, es ist wahr.
In derselben Weise mußte man den bewußten König auch agiren lassen. Eine


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[0156] einer feindlichen Partei/ sehr nützlich endlich für den Nachruhm selbst beim Ab¬ gänge vom Posten. Die Wirkungen ans das Volk sind unermeßlich, es gibt Völker, z. B. die Franzosen, welche ans die Länge nur durch dramatische Kunst zu regie¬ ren sind, und Louis Philipp wäre vielleicht uoch heut König, wenn er mehr dra¬ matisches Talent gehabt hätte, er war aber einer von den unglücklichen Dilettanten, welche stets Komödie spielen wollen und doch keine Courage haben, die Pointen herauszutreiben; außerdem war sein Rollenfach durchaus nicht in Einklang mit sei¬ ner Stellung; er war von dem Genre Kotzebuescher Väter, so eine Art launenhafter Rechnungsrath und Partieumacher, während die Nation einen Helden und Coulissen¬ reißer wünschte, deßhalb langweilte er die Franzosen und es half nur eine Zeit lang, daß er, um diesen Mangel seines Wesens zu verdecken, Andere gegen sich dramatisch werde», d. h. ans sich schießen ließ. Und nun vollends sein schlechter Abgang! Dieser Abgang hat seine Familie ruinirt, es war so gar keine Gelegenheit zum Applaudiren dabei, selbst nicht für seine Freunde. Uns Deutschen passirt es noch außerdem, daß wir sehr rohe Komödianten sind, wenn wir einmal die Nothwen¬ digkeit fühlen uns dramatisch zu geberden. Z. B. Ein König ist in offnem Kampf mit seiner Hauptstadt, Bürgerblut, Barrikade», Revolution u. s. w. Er muß einlenken, den neuen Geist anerkenne». Seine Räthe empfehlen ihm die Action eines großen Königszuges mit allem theatralischen Zubehör. War der nicht dramatisch genug? Nein, zum Teufel, das war ein unkluger Streich in den Augen jedes gewissenhaften Schauspielers, denn dem Effect fehlte jede Spur in¬ nerer Wahrheit, es war nichts, als eine unmotivirte Effecthascherei, wie sie keiner von unsern Theaterdichter» wagen würde, und die sind doch wahrhaftig darin nicht bedenklich. Wohl weinte» und schrien die Leute, welche den armen Herrn in seiner Action sahen, aber sie thaten das gerade deshalb, weil ihnen der König weh that, der zu so schlechtem Schauspielen heruntergekommen war, sie applaudirten ihm aus Jammer und Mitleid. Die Mäuner aber, die ihm dazu gerathen, verdienen Eselsohren, denn sie haben ihn und sein Volk in den Augen Aller, welche die klägliche Begebenheit uicht selbst erlebten, aus lange Zeit gedemüthigt. Hätten sie nnr den Shakespeare gekannt, dessen historische Stücke jeder Minister auswen¬ dig wissen muß, sie hätten ihn ganz anders geführt. Dort steht die ganze Ge¬ schichte. Richard II. hat durch romantischen Leichtsinn sein Volk gegen sich empört, er ist in Gefahr abgesetzt zu werden. Der Dichter hat ihn bis dahin frivol, ge¬ waltsam, rücksichtslos gegen Volkswünschc gezeigt, jetzt muß er auf einmal dem¬ selben König die Theilnahme des Publikums zuwenden, alle Sympathien auf seine Person concentriren. Er läßt ihn keinen Aufzug machen, sondern er gibt dem König Gelegenheit, den vollen, rührenden Schmerz eines Mannes zu zeigen, der von Allem scheiden soll, was sein vergangenes Leben ausgemacht. Das ergreift, das erschüttert uns, denn es ist echt dramatisch, es ist menschlich, es ist wahr. In derselben Weise mußte man den bewußten König auch agiren lassen. Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/156>, abgerufen am 22.07.2024.