Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nimeh wird ihm die Aufnahme nirgend verweigert werde", wenn er recht artig
bittet, denn da er noch gar nichts gethan hat, so ist die große Menge gern über'
zeugt, daß er der Mann sein wird, Alles zu thun. Ist er Mitglied des Sicher¬
heitsausschusses, so muß er ihn verzehren, wie der Hecht die Karpfen im Fisch¬
teich. Und das fügt sich von selbst. Der Minister gewinnt durch das Collegium
eine Fülle von Anschauungen und politischen Details, er gibt dem Collegium Et¬
was von seiner Einsicht und seinem weiten Gesichtskreis ab. Im Anfang freilich
wird das harte Kämpfe mit einzelnen ehrgeizigen oder bornirten Revolntionshelden
setzen, doch wenn der Minister keine Sitzung des Ausschusses versäumt und von
jeder Thätigkeit unterrichtet wird , so ist sein endlicher Sieg nicht zweifelhaft. Er
macht nämlich den Ausschuß allmälig unpopulär dadurch, daß er ihm größere
Gesichtspunkte öffnet, als die Menge hat und ihm die Ausführung der unange¬
nehmen Nothwendigkeiten austrägt. Zuletzt läßt er ihn vom Volk stürzen oder
er löst ihn selbst auf. Jedenfalls hat er "nterdcß Zeit gewonnen, andere, ver¬
nünftige demokratische Stützen seiner Gewalt zu errichten. Und dies Aufzehren
des revolutionären Tribunals wird für das Volk ein großes Glück sein, wenn der
Ausschuß nicht besseren Freiheitsinstinkt und gesundere Kraft hat, als z. B. der
Wiener, der eine ehrliche und wohlmeinende, aber durchaus unfähige Behörde der
Revolution ist, und in seinen leidenschaftlichen Forderungen einen gefährlichen
Mangel an demokratischer Bildung zur Schau trägt. -- Hat aber die Haupt¬
stadt keine revolutionäre Organisation, so suche der Minister unter den vorhande¬
nen, Waffen tragenden Verbindungen die verständigste aus. Studentencvrps sind
enthusiastische, aber unzuverlässige Helfer, jeder Einzelne ist ein Dispntirer, und
fühlt die Kraft in sich, selbst ein Frnnklin, Washington, Danton, Napoleon zu
werden; Bürgergarden sind zu sehr an ihre Seifensiedereien gebannt, auch
haben sie zu wenig gemeinsame Ideen. Dagegen ist vielleicht ein Handwerkerver-
ein vorhanden, das beste sociale Institut, das wir bis jetzt habe". Werde Mit¬
glied, mein Held, bilde dir aus seinen Führern einen Rath für sociale Fragen,
schenke dem Verein deinen ganzen Vorrath von Ehrlichkeit und Liebe, und du
wirst größere Liebe und hingebende Treue dafür empfangen. Deckt dich ein Verein
von 3 -- 4000 munteren bewaffneten Gesellen, so magst du ärgern Stürmen trotzen,
als die waren, welche bis jetzt Ministerien fortgeblasen haben.

Hast du deine Stützen, Herr Minister, so magst du ruhig anfangen zu regie-
Regieren aber heißt gegenwärtig nicht viel thun. Laß die Dinge gehen, so
es möglich ist. Unser liebenswürdiges Volk ist wie ein wohlgenährter Nen-
Ker, der in vorgerückten Jahren den plötzlichen Entschluß gefaßt hat, Landwirth
zu werden und du bist sein Amtmann. Der starke Herr rennt die ersten Tage
in unheimlicher Aufregung hin und her, inspicirt jeden Grashalm, untersucht den
Steiß jeder Brüthenne, commandirt zehnmal jede Arbeit und nimmt jeden Befehl
zehnmal zurück, flucht Allen und ärgert sich über Alles und hat jeden Abend die


nimeh wird ihm die Aufnahme nirgend verweigert werde», wenn er recht artig
bittet, denn da er noch gar nichts gethan hat, so ist die große Menge gern über'
zeugt, daß er der Mann sein wird, Alles zu thun. Ist er Mitglied des Sicher¬
heitsausschusses, so muß er ihn verzehren, wie der Hecht die Karpfen im Fisch¬
teich. Und das fügt sich von selbst. Der Minister gewinnt durch das Collegium
eine Fülle von Anschauungen und politischen Details, er gibt dem Collegium Et¬
was von seiner Einsicht und seinem weiten Gesichtskreis ab. Im Anfang freilich
wird das harte Kämpfe mit einzelnen ehrgeizigen oder bornirten Revolntionshelden
setzen, doch wenn der Minister keine Sitzung des Ausschusses versäumt und von
jeder Thätigkeit unterrichtet wird , so ist sein endlicher Sieg nicht zweifelhaft. Er
macht nämlich den Ausschuß allmälig unpopulär dadurch, daß er ihm größere
Gesichtspunkte öffnet, als die Menge hat und ihm die Ausführung der unange¬
nehmen Nothwendigkeiten austrägt. Zuletzt läßt er ihn vom Volk stürzen oder
er löst ihn selbst auf. Jedenfalls hat er »nterdcß Zeit gewonnen, andere, ver¬
nünftige demokratische Stützen seiner Gewalt zu errichten. Und dies Aufzehren
des revolutionären Tribunals wird für das Volk ein großes Glück sein, wenn der
Ausschuß nicht besseren Freiheitsinstinkt und gesundere Kraft hat, als z. B. der
Wiener, der eine ehrliche und wohlmeinende, aber durchaus unfähige Behörde der
Revolution ist, und in seinen leidenschaftlichen Forderungen einen gefährlichen
Mangel an demokratischer Bildung zur Schau trägt. — Hat aber die Haupt¬
stadt keine revolutionäre Organisation, so suche der Minister unter den vorhande¬
nen, Waffen tragenden Verbindungen die verständigste aus. Studentencvrps sind
enthusiastische, aber unzuverlässige Helfer, jeder Einzelne ist ein Dispntirer, und
fühlt die Kraft in sich, selbst ein Frnnklin, Washington, Danton, Napoleon zu
werden; Bürgergarden sind zu sehr an ihre Seifensiedereien gebannt, auch
haben sie zu wenig gemeinsame Ideen. Dagegen ist vielleicht ein Handwerkerver-
ein vorhanden, das beste sociale Institut, das wir bis jetzt habe». Werde Mit¬
glied, mein Held, bilde dir aus seinen Führern einen Rath für sociale Fragen,
schenke dem Verein deinen ganzen Vorrath von Ehrlichkeit und Liebe, und du
wirst größere Liebe und hingebende Treue dafür empfangen. Deckt dich ein Verein
von 3 — 4000 munteren bewaffneten Gesellen, so magst du ärgern Stürmen trotzen,
als die waren, welche bis jetzt Ministerien fortgeblasen haben.

Hast du deine Stützen, Herr Minister, so magst du ruhig anfangen zu regie-
Regieren aber heißt gegenwärtig nicht viel thun. Laß die Dinge gehen, so
es möglich ist. Unser liebenswürdiges Volk ist wie ein wohlgenährter Nen-
Ker, der in vorgerückten Jahren den plötzlichen Entschluß gefaßt hat, Landwirth
zu werden und du bist sein Amtmann. Der starke Herr rennt die ersten Tage
in unheimlicher Aufregung hin und her, inspicirt jeden Grashalm, untersucht den
Steiß jeder Brüthenne, commandirt zehnmal jede Arbeit und nimmt jeden Befehl
zehnmal zurück, flucht Allen und ärgert sich über Alles und hat jeden Abend die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277583"/>
          <p xml:id="ID_477" prev="#ID_476"> nimeh wird ihm die Aufnahme nirgend verweigert werde», wenn er recht artig<lb/>
bittet, denn da er noch gar nichts gethan hat, so ist die große Menge gern über'<lb/>
zeugt, daß er der Mann sein wird, Alles zu thun. Ist er Mitglied des Sicher¬<lb/>
heitsausschusses, so muß er ihn verzehren, wie der Hecht die Karpfen im Fisch¬<lb/>
teich. Und das fügt sich von selbst. Der Minister gewinnt durch das Collegium<lb/>
eine Fülle von Anschauungen und politischen Details, er gibt dem Collegium Et¬<lb/>
was von seiner Einsicht und seinem weiten Gesichtskreis ab. Im Anfang freilich<lb/>
wird das harte Kämpfe mit einzelnen ehrgeizigen oder bornirten Revolntionshelden<lb/>
setzen, doch wenn der Minister keine Sitzung des Ausschusses versäumt und von<lb/>
jeder Thätigkeit unterrichtet wird , so ist sein endlicher Sieg nicht zweifelhaft. Er<lb/>
macht nämlich den Ausschuß allmälig unpopulär dadurch, daß er ihm größere<lb/>
Gesichtspunkte öffnet, als die Menge hat und ihm die Ausführung der unange¬<lb/>
nehmen Nothwendigkeiten austrägt. Zuletzt läßt er ihn vom Volk stürzen oder<lb/>
er löst ihn selbst auf. Jedenfalls hat er »nterdcß Zeit gewonnen, andere, ver¬<lb/>
nünftige demokratische Stützen seiner Gewalt zu errichten. Und dies Aufzehren<lb/>
des revolutionären Tribunals wird für das Volk ein großes Glück sein, wenn der<lb/>
Ausschuß nicht besseren Freiheitsinstinkt und gesundere Kraft hat, als z. B. der<lb/>
Wiener, der eine ehrliche und wohlmeinende, aber durchaus unfähige Behörde der<lb/>
Revolution ist, und in seinen leidenschaftlichen Forderungen einen gefährlichen<lb/>
Mangel an demokratischer Bildung zur Schau trägt. &#x2014; Hat aber die Haupt¬<lb/>
stadt keine revolutionäre Organisation, so suche der Minister unter den vorhande¬<lb/>
nen, Waffen tragenden Verbindungen die verständigste aus. Studentencvrps sind<lb/>
enthusiastische, aber unzuverlässige Helfer, jeder Einzelne ist ein Dispntirer, und<lb/>
fühlt die Kraft in sich, selbst ein Frnnklin, Washington, Danton, Napoleon zu<lb/>
werden; Bürgergarden sind zu sehr an ihre Seifensiedereien gebannt, auch<lb/>
haben sie zu wenig gemeinsame Ideen. Dagegen ist vielleicht ein Handwerkerver-<lb/>
ein vorhanden, das beste sociale Institut, das wir bis jetzt habe». Werde Mit¬<lb/>
glied, mein Held, bilde dir aus seinen Führern einen Rath für sociale Fragen,<lb/>
schenke dem Verein deinen ganzen Vorrath von Ehrlichkeit und Liebe, und du<lb/>
wirst größere Liebe und hingebende Treue dafür empfangen. Deckt dich ein Verein<lb/>
von 3 &#x2014; 4000 munteren bewaffneten Gesellen, so magst du ärgern Stürmen trotzen,<lb/>
als die waren, welche bis jetzt Ministerien fortgeblasen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_478" next="#ID_479"> Hast du deine Stützen, Herr Minister, so magst du ruhig anfangen zu regie-<lb/>
Regieren aber heißt gegenwärtig nicht viel thun. Laß die Dinge gehen, so<lb/>
es möglich ist. Unser liebenswürdiges Volk ist wie ein wohlgenährter Nen-<lb/>
Ker, der in vorgerückten Jahren den plötzlichen Entschluß gefaßt hat, Landwirth<lb/>
zu werden und du bist sein Amtmann. Der starke Herr rennt die ersten Tage<lb/>
in unheimlicher Aufregung hin und her, inspicirt jeden Grashalm, untersucht den<lb/>
Steiß jeder Brüthenne, commandirt zehnmal jede Arbeit und nimmt jeden Befehl<lb/>
zehnmal zurück, flucht Allen und ärgert sich über Alles und hat jeden Abend die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0153] nimeh wird ihm die Aufnahme nirgend verweigert werde», wenn er recht artig bittet, denn da er noch gar nichts gethan hat, so ist die große Menge gern über' zeugt, daß er der Mann sein wird, Alles zu thun. Ist er Mitglied des Sicher¬ heitsausschusses, so muß er ihn verzehren, wie der Hecht die Karpfen im Fisch¬ teich. Und das fügt sich von selbst. Der Minister gewinnt durch das Collegium eine Fülle von Anschauungen und politischen Details, er gibt dem Collegium Et¬ was von seiner Einsicht und seinem weiten Gesichtskreis ab. Im Anfang freilich wird das harte Kämpfe mit einzelnen ehrgeizigen oder bornirten Revolntionshelden setzen, doch wenn der Minister keine Sitzung des Ausschusses versäumt und von jeder Thätigkeit unterrichtet wird , so ist sein endlicher Sieg nicht zweifelhaft. Er macht nämlich den Ausschuß allmälig unpopulär dadurch, daß er ihm größere Gesichtspunkte öffnet, als die Menge hat und ihm die Ausführung der unange¬ nehmen Nothwendigkeiten austrägt. Zuletzt läßt er ihn vom Volk stürzen oder er löst ihn selbst auf. Jedenfalls hat er »nterdcß Zeit gewonnen, andere, ver¬ nünftige demokratische Stützen seiner Gewalt zu errichten. Und dies Aufzehren des revolutionären Tribunals wird für das Volk ein großes Glück sein, wenn der Ausschuß nicht besseren Freiheitsinstinkt und gesundere Kraft hat, als z. B. der Wiener, der eine ehrliche und wohlmeinende, aber durchaus unfähige Behörde der Revolution ist, und in seinen leidenschaftlichen Forderungen einen gefährlichen Mangel an demokratischer Bildung zur Schau trägt. — Hat aber die Haupt¬ stadt keine revolutionäre Organisation, so suche der Minister unter den vorhande¬ nen, Waffen tragenden Verbindungen die verständigste aus. Studentencvrps sind enthusiastische, aber unzuverlässige Helfer, jeder Einzelne ist ein Dispntirer, und fühlt die Kraft in sich, selbst ein Frnnklin, Washington, Danton, Napoleon zu werden; Bürgergarden sind zu sehr an ihre Seifensiedereien gebannt, auch haben sie zu wenig gemeinsame Ideen. Dagegen ist vielleicht ein Handwerkerver- ein vorhanden, das beste sociale Institut, das wir bis jetzt habe». Werde Mit¬ glied, mein Held, bilde dir aus seinen Führern einen Rath für sociale Fragen, schenke dem Verein deinen ganzen Vorrath von Ehrlichkeit und Liebe, und du wirst größere Liebe und hingebende Treue dafür empfangen. Deckt dich ein Verein von 3 — 4000 munteren bewaffneten Gesellen, so magst du ärgern Stürmen trotzen, als die waren, welche bis jetzt Ministerien fortgeblasen haben. Hast du deine Stützen, Herr Minister, so magst du ruhig anfangen zu regie- Regieren aber heißt gegenwärtig nicht viel thun. Laß die Dinge gehen, so es möglich ist. Unser liebenswürdiges Volk ist wie ein wohlgenährter Nen- Ker, der in vorgerückten Jahren den plötzlichen Entschluß gefaßt hat, Landwirth zu werden und du bist sein Amtmann. Der starke Herr rennt die ersten Tage in unheimlicher Aufregung hin und her, inspicirt jeden Grashalm, untersucht den Steiß jeder Brüthenne, commandirt zehnmal jede Arbeit und nimmt jeden Befehl zehnmal zurück, flucht Allen und ärgert sich über Alles und hat jeden Abend die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/153
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/153>, abgerufen am 01.07.2024.