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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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gesammte Wirthschaft in vollständige Verwirrung gebracht, sich selbst aber in ge¬
fährliche Mattigkeit. Unterdeß lächelt der Amtmann still in sich hinein, er weiß,
sein Herr wird das Wesen nicht lange aushalten; wenn er ein gescheuter Amt¬
mann ist, so verhütet er im Anfange nur hin und wieder eine schädliche Dumm¬
heit, ergreift ganz leise die Zügel der Regierung aus der müden Hand seines
Herrn, und wenn er ein guter Amtmann ist, so macht er in derselben Zeit eben
so unbemerkt seinen Herrn zu dem, was er nicht war, zu einem tüchtigen Land¬
wirth. Dazu aber gehört Zeit, und da für den Augenblick unser souveräner Herr,
das Volk, noch in der Periode ist, wo er alle Regierungseicr selbst legen will
und für jede" Keim demokratischer Freiheit schon den Zaunpfahl eines Systems
bereit hält, um ihn daran zur Höhe zu ziehen, so sollst dn als getreuer Amtmann
vor Allem klug darauf sehen, daß du dich für die Zukunft nicht unmöglich machst
durch vorzeitiges Besserwissen und ungeschickte Intriguen.

Deshalb aber darfst du nicht müßig sein. Deine Augen und Ohren mußt
du überall haben, dn wirst dich keinen Abend niederlegen, ohne zu wissen, was in
sämmtlichen Clubs verhandelt, in sämmtlichen Blättern deiner Hauptstadt gedruckt
worden ist. Du sollst nicht Spione, sondern Freunde haben, die für dich hören,
im Nothfall dich anch vertreten. Jedes Ministerium hat drei feindliche Parzen,
welche an seinem Lebensfaden arbeiten. Die Zeitungen, die Plakate und die Clubs.
Die Zeitungen spinnen, die Straßenplakate weisen auf die verhängnißvollen Stel¬
len und die Clubs schneiden den Faden durch. Mit allen muß der Minister einen
fortwährenden stillen Krieg führen und besiegen kann er sie nur, wenn er mit
ihren eigenen Waffen kämpft, denn sie gering zu achten, ist Thorheit, sich über
ihre Angriffe wegzusetzen, ist Leichtsinn, sie despotisch zu behandeln, ist brutal.
Wer sich zu "edel" dünkt zu solchem Pygmäenkampf, der mag mit Erfolg seinen
Kohl ziehen, aber nicht Nationen, er ist unfähig zu regieren und hätte er die
Weisheit eines Socrates und die Bürgertugenden des alten Wessenberg. Die
Zeitungen werden so lange schreien, die Plakate so lange die Hände über den
Kopf zusammenschlagen und die Clubs so lange gegen ihn decretiren, bis er als
reactionäres Scheusal durch das Volk verjagt wird. Wie er aber diese Feinde zu
neutralisiren hat, das auszuplaudern, sind die Grenzboten doch nicht unverschämt
genug. Nur andeuten dürfen sie es: Die Redacteure der Zeitungen wolle" viel
Geld und viel Ruhm, die Führer der Clubs viel Ruhm allem, die Verfertiger
der Straßenliteratur etwas Geld und viel Krakehl. Darnach wird er sich richten.
Nur, o pfui, nicht auf rohe Weise besteche"! Auch würde das nur ausnahmsweise
nützen. Aber seine Gegner sind entweder gescheut oder bornirt. Die Geschenken
wird er an sich zu ziehen suchen, und wo der Parteistandpunkt das unmöglich
macht, wird er sie wenigstens persönlich kennen lernen. Das ist sehr wichtig;
derselbe biedere Feind, der in seinem Journal oder Club gestern gesagt hat: "Der
unwürdige Minister, welcher die Schamlosigkeit hat, die heiligsten Interessen der


gesammte Wirthschaft in vollständige Verwirrung gebracht, sich selbst aber in ge¬
fährliche Mattigkeit. Unterdeß lächelt der Amtmann still in sich hinein, er weiß,
sein Herr wird das Wesen nicht lange aushalten; wenn er ein gescheuter Amt¬
mann ist, so verhütet er im Anfange nur hin und wieder eine schädliche Dumm¬
heit, ergreift ganz leise die Zügel der Regierung aus der müden Hand seines
Herrn, und wenn er ein guter Amtmann ist, so macht er in derselben Zeit eben
so unbemerkt seinen Herrn zu dem, was er nicht war, zu einem tüchtigen Land¬
wirth. Dazu aber gehört Zeit, und da für den Augenblick unser souveräner Herr,
das Volk, noch in der Periode ist, wo er alle Regierungseicr selbst legen will
und für jede» Keim demokratischer Freiheit schon den Zaunpfahl eines Systems
bereit hält, um ihn daran zur Höhe zu ziehen, so sollst dn als getreuer Amtmann
vor Allem klug darauf sehen, daß du dich für die Zukunft nicht unmöglich machst
durch vorzeitiges Besserwissen und ungeschickte Intriguen.

Deshalb aber darfst du nicht müßig sein. Deine Augen und Ohren mußt
du überall haben, dn wirst dich keinen Abend niederlegen, ohne zu wissen, was in
sämmtlichen Clubs verhandelt, in sämmtlichen Blättern deiner Hauptstadt gedruckt
worden ist. Du sollst nicht Spione, sondern Freunde haben, die für dich hören,
im Nothfall dich anch vertreten. Jedes Ministerium hat drei feindliche Parzen,
welche an seinem Lebensfaden arbeiten. Die Zeitungen, die Plakate und die Clubs.
Die Zeitungen spinnen, die Straßenplakate weisen auf die verhängnißvollen Stel¬
len und die Clubs schneiden den Faden durch. Mit allen muß der Minister einen
fortwährenden stillen Krieg führen und besiegen kann er sie nur, wenn er mit
ihren eigenen Waffen kämpft, denn sie gering zu achten, ist Thorheit, sich über
ihre Angriffe wegzusetzen, ist Leichtsinn, sie despotisch zu behandeln, ist brutal.
Wer sich zu „edel" dünkt zu solchem Pygmäenkampf, der mag mit Erfolg seinen
Kohl ziehen, aber nicht Nationen, er ist unfähig zu regieren und hätte er die
Weisheit eines Socrates und die Bürgertugenden des alten Wessenberg. Die
Zeitungen werden so lange schreien, die Plakate so lange die Hände über den
Kopf zusammenschlagen und die Clubs so lange gegen ihn decretiren, bis er als
reactionäres Scheusal durch das Volk verjagt wird. Wie er aber diese Feinde zu
neutralisiren hat, das auszuplaudern, sind die Grenzboten doch nicht unverschämt
genug. Nur andeuten dürfen sie es: Die Redacteure der Zeitungen wolle» viel
Geld und viel Ruhm, die Führer der Clubs viel Ruhm allem, die Verfertiger
der Straßenliteratur etwas Geld und viel Krakehl. Darnach wird er sich richten.
Nur, o pfui, nicht auf rohe Weise besteche»! Auch würde das nur ausnahmsweise
nützen. Aber seine Gegner sind entweder gescheut oder bornirt. Die Geschenken
wird er an sich zu ziehen suchen, und wo der Parteistandpunkt das unmöglich
macht, wird er sie wenigstens persönlich kennen lernen. Das ist sehr wichtig;
derselbe biedere Feind, der in seinem Journal oder Club gestern gesagt hat: „Der
unwürdige Minister, welcher die Schamlosigkeit hat, die heiligsten Interessen der


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[0154] gesammte Wirthschaft in vollständige Verwirrung gebracht, sich selbst aber in ge¬ fährliche Mattigkeit. Unterdeß lächelt der Amtmann still in sich hinein, er weiß, sein Herr wird das Wesen nicht lange aushalten; wenn er ein gescheuter Amt¬ mann ist, so verhütet er im Anfange nur hin und wieder eine schädliche Dumm¬ heit, ergreift ganz leise die Zügel der Regierung aus der müden Hand seines Herrn, und wenn er ein guter Amtmann ist, so macht er in derselben Zeit eben so unbemerkt seinen Herrn zu dem, was er nicht war, zu einem tüchtigen Land¬ wirth. Dazu aber gehört Zeit, und da für den Augenblick unser souveräner Herr, das Volk, noch in der Periode ist, wo er alle Regierungseicr selbst legen will und für jede» Keim demokratischer Freiheit schon den Zaunpfahl eines Systems bereit hält, um ihn daran zur Höhe zu ziehen, so sollst dn als getreuer Amtmann vor Allem klug darauf sehen, daß du dich für die Zukunft nicht unmöglich machst durch vorzeitiges Besserwissen und ungeschickte Intriguen. Deshalb aber darfst du nicht müßig sein. Deine Augen und Ohren mußt du überall haben, dn wirst dich keinen Abend niederlegen, ohne zu wissen, was in sämmtlichen Clubs verhandelt, in sämmtlichen Blättern deiner Hauptstadt gedruckt worden ist. Du sollst nicht Spione, sondern Freunde haben, die für dich hören, im Nothfall dich anch vertreten. Jedes Ministerium hat drei feindliche Parzen, welche an seinem Lebensfaden arbeiten. Die Zeitungen, die Plakate und die Clubs. Die Zeitungen spinnen, die Straßenplakate weisen auf die verhängnißvollen Stel¬ len und die Clubs schneiden den Faden durch. Mit allen muß der Minister einen fortwährenden stillen Krieg führen und besiegen kann er sie nur, wenn er mit ihren eigenen Waffen kämpft, denn sie gering zu achten, ist Thorheit, sich über ihre Angriffe wegzusetzen, ist Leichtsinn, sie despotisch zu behandeln, ist brutal. Wer sich zu „edel" dünkt zu solchem Pygmäenkampf, der mag mit Erfolg seinen Kohl ziehen, aber nicht Nationen, er ist unfähig zu regieren und hätte er die Weisheit eines Socrates und die Bürgertugenden des alten Wessenberg. Die Zeitungen werden so lange schreien, die Plakate so lange die Hände über den Kopf zusammenschlagen und die Clubs so lange gegen ihn decretiren, bis er als reactionäres Scheusal durch das Volk verjagt wird. Wie er aber diese Feinde zu neutralisiren hat, das auszuplaudern, sind die Grenzboten doch nicht unverschämt genug. Nur andeuten dürfen sie es: Die Redacteure der Zeitungen wolle» viel Geld und viel Ruhm, die Führer der Clubs viel Ruhm allem, die Verfertiger der Straßenliteratur etwas Geld und viel Krakehl. Darnach wird er sich richten. Nur, o pfui, nicht auf rohe Weise besteche»! Auch würde das nur ausnahmsweise nützen. Aber seine Gegner sind entweder gescheut oder bornirt. Die Geschenken wird er an sich zu ziehen suchen, und wo der Parteistandpunkt das unmöglich macht, wird er sie wenigstens persönlich kennen lernen. Das ist sehr wichtig; derselbe biedere Feind, der in seinem Journal oder Club gestern gesagt hat: „Der unwürdige Minister, welcher die Schamlosigkeit hat, die heiligsten Interessen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/154>, abgerufen am 03.07.2024.