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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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lassen, eine Cigarre zu nehmen, so wird es eine rechte Freude sein, wie gemüth¬
lich sich die Absetzung ausnimmt, wie geschickt sich der Minister vertheidigt, wie
der versöhnende Duft des Rauches in die Herzen eindringt, wie vielleicht Alles
nur ein Mißverständniß war, oder die Feindseligkeit des erbitterten Clubs we¬
nigstens auf das zum Gedeihen des Staats und des Ministers nöthige Maß
heruntergebracht wird. Verweigert aber die Deputation tückisch jede Annahme
von Cigarren, so erhält der Minister immer noch eine anmuthige dramatische Wen¬
dung , wenn er in der Mitte der Unterhaltung seine Cigarre plötzlich wegwirft
(nach hinten, um Verachtung anzudeuten) und seine Niederschmetterung der Deputa¬
tion so beginnt: Wohl gedachte ich unsere Differenz mit der Ruhe eines biedern
Mannes auszugleichen, Sie aber u. f. w.--Hierbei erwähne ich noch, daß
der Minister einer Ackerbau treibenden Nation anch verstehen muß, mit Stahl und
Stein Feuer zu schlagen; am besten nimmt er Holzschwamm dazu. Kommt irgend
eine Deputation von Bauern oder andern Kraftmenschen, so greift er im Laufe
der langen Unterhaltung unwillkürlich in die Hosentasche, schlägt sich (abgewandt)
Feuer und zündet seine Cigarre an. Es ist unglaublich, welche Fülle von Zutrauen
durch die altfränkische Ehrlichkeit dieser Operation gewonnen wird. Aber es ge¬
hört ein großer Geist dazu, um sie geschickt zu machen.

Der erste Regierungsakt eines neuen Ministers muß das Aufsuchen eines
einsamen Winkels sein, wo er sich ungestört hinsetzen und nachdenken kann, selbst
wenn er dazu den Ort wählen müßte, ans welchem Pater Bonaventure seine wirk¬
samsten Predigten zu machen pflegte. Er frage sich: womit soll ich regieren? Ge¬
setzliche Majoritäten gibt es nicht, oder sie sind zu schwach, um feste Stütze" zu
sein, das Militär ist verpönt, die Bürgergarden sind vorläufig nur bei Sonntags-
paraden zuverlässig, die Stimmung der Hauptstadt, in der die Zeitungen gemacht
werden, ist in den Händen der Straßenjungen, welche Plakate verkaufen, jeder
verrückte Schwadronierer, der hundert Mitglieder des souveränen Volks von einem
Eckstein aus regiert, kann mir meinen Bart so lange raufen lassen, bis ich ab¬
baute. Wo finde ich eine Kraft, welche mich dagegen schützt? In der Haupt¬
stadt muß sie sein, sie muß energisch, sie muß ergeben sein. Lamartine fiel, weil
er sich auf Ideen stützte, und nicht auf Menschen, Cromwell regierte, weil sich
"die Stillen im Lande" für ihn todtschlagen ließen, Napoleon war Herr, so lange
er Soldaten und Patronen hatte. Wo ist in meiner Hauptstadt die Kraft der Re¬
volution? -- Siehe zu, mein Mann, daß du dir diese Frage richtig beantwortest,
durch die Antwort bestimmst du dein Schicksal. Wohlan, die Revolution hat ihre
Organisation, es ist ein Sicherheitsausschuß vorhanden. Neben einem solchen
Tribunal kann keine Regierung, kein Minister bestehen, wohl aber in ihm. Er
muß um die Erlaubniß bitten, Mitglied dieses Kollegiums von Tribunen zu
werden, "um mit den Wünschen und Interessen der Bürgerschaft, welcher er jetzt
anzugehören das Glück hat, ganz zu verwachsen." Am ersten Tage seines Regi-,


lassen, eine Cigarre zu nehmen, so wird es eine rechte Freude sein, wie gemüth¬
lich sich die Absetzung ausnimmt, wie geschickt sich der Minister vertheidigt, wie
der versöhnende Duft des Rauches in die Herzen eindringt, wie vielleicht Alles
nur ein Mißverständniß war, oder die Feindseligkeit des erbitterten Clubs we¬
nigstens auf das zum Gedeihen des Staats und des Ministers nöthige Maß
heruntergebracht wird. Verweigert aber die Deputation tückisch jede Annahme
von Cigarren, so erhält der Minister immer noch eine anmuthige dramatische Wen¬
dung , wenn er in der Mitte der Unterhaltung seine Cigarre plötzlich wegwirft
(nach hinten, um Verachtung anzudeuten) und seine Niederschmetterung der Deputa¬
tion so beginnt: Wohl gedachte ich unsere Differenz mit der Ruhe eines biedern
Mannes auszugleichen, Sie aber u. f. w.--Hierbei erwähne ich noch, daß
der Minister einer Ackerbau treibenden Nation anch verstehen muß, mit Stahl und
Stein Feuer zu schlagen; am besten nimmt er Holzschwamm dazu. Kommt irgend
eine Deputation von Bauern oder andern Kraftmenschen, so greift er im Laufe
der langen Unterhaltung unwillkürlich in die Hosentasche, schlägt sich (abgewandt)
Feuer und zündet seine Cigarre an. Es ist unglaublich, welche Fülle von Zutrauen
durch die altfränkische Ehrlichkeit dieser Operation gewonnen wird. Aber es ge¬
hört ein großer Geist dazu, um sie geschickt zu machen.

Der erste Regierungsakt eines neuen Ministers muß das Aufsuchen eines
einsamen Winkels sein, wo er sich ungestört hinsetzen und nachdenken kann, selbst
wenn er dazu den Ort wählen müßte, ans welchem Pater Bonaventure seine wirk¬
samsten Predigten zu machen pflegte. Er frage sich: womit soll ich regieren? Ge¬
setzliche Majoritäten gibt es nicht, oder sie sind zu schwach, um feste Stütze» zu
sein, das Militär ist verpönt, die Bürgergarden sind vorläufig nur bei Sonntags-
paraden zuverlässig, die Stimmung der Hauptstadt, in der die Zeitungen gemacht
werden, ist in den Händen der Straßenjungen, welche Plakate verkaufen, jeder
verrückte Schwadronierer, der hundert Mitglieder des souveränen Volks von einem
Eckstein aus regiert, kann mir meinen Bart so lange raufen lassen, bis ich ab¬
baute. Wo finde ich eine Kraft, welche mich dagegen schützt? In der Haupt¬
stadt muß sie sein, sie muß energisch, sie muß ergeben sein. Lamartine fiel, weil
er sich auf Ideen stützte, und nicht auf Menschen, Cromwell regierte, weil sich
„die Stillen im Lande" für ihn todtschlagen ließen, Napoleon war Herr, so lange
er Soldaten und Patronen hatte. Wo ist in meiner Hauptstadt die Kraft der Re¬
volution? — Siehe zu, mein Mann, daß du dir diese Frage richtig beantwortest,
durch die Antwort bestimmst du dein Schicksal. Wohlan, die Revolution hat ihre
Organisation, es ist ein Sicherheitsausschuß vorhanden. Neben einem solchen
Tribunal kann keine Regierung, kein Minister bestehen, wohl aber in ihm. Er
muß um die Erlaubniß bitten, Mitglied dieses Kollegiums von Tribunen zu
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anzugehören das Glück hat, ganz zu verwachsen." Am ersten Tage seines Regi-,


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[0152] lassen, eine Cigarre zu nehmen, so wird es eine rechte Freude sein, wie gemüth¬ lich sich die Absetzung ausnimmt, wie geschickt sich der Minister vertheidigt, wie der versöhnende Duft des Rauches in die Herzen eindringt, wie vielleicht Alles nur ein Mißverständniß war, oder die Feindseligkeit des erbitterten Clubs we¬ nigstens auf das zum Gedeihen des Staats und des Ministers nöthige Maß heruntergebracht wird. Verweigert aber die Deputation tückisch jede Annahme von Cigarren, so erhält der Minister immer noch eine anmuthige dramatische Wen¬ dung , wenn er in der Mitte der Unterhaltung seine Cigarre plötzlich wegwirft (nach hinten, um Verachtung anzudeuten) und seine Niederschmetterung der Deputa¬ tion so beginnt: Wohl gedachte ich unsere Differenz mit der Ruhe eines biedern Mannes auszugleichen, Sie aber u. f. w.--Hierbei erwähne ich noch, daß der Minister einer Ackerbau treibenden Nation anch verstehen muß, mit Stahl und Stein Feuer zu schlagen; am besten nimmt er Holzschwamm dazu. Kommt irgend eine Deputation von Bauern oder andern Kraftmenschen, so greift er im Laufe der langen Unterhaltung unwillkürlich in die Hosentasche, schlägt sich (abgewandt) Feuer und zündet seine Cigarre an. Es ist unglaublich, welche Fülle von Zutrauen durch die altfränkische Ehrlichkeit dieser Operation gewonnen wird. Aber es ge¬ hört ein großer Geist dazu, um sie geschickt zu machen. Der erste Regierungsakt eines neuen Ministers muß das Aufsuchen eines einsamen Winkels sein, wo er sich ungestört hinsetzen und nachdenken kann, selbst wenn er dazu den Ort wählen müßte, ans welchem Pater Bonaventure seine wirk¬ samsten Predigten zu machen pflegte. Er frage sich: womit soll ich regieren? Ge¬ setzliche Majoritäten gibt es nicht, oder sie sind zu schwach, um feste Stütze» zu sein, das Militär ist verpönt, die Bürgergarden sind vorläufig nur bei Sonntags- paraden zuverlässig, die Stimmung der Hauptstadt, in der die Zeitungen gemacht werden, ist in den Händen der Straßenjungen, welche Plakate verkaufen, jeder verrückte Schwadronierer, der hundert Mitglieder des souveränen Volks von einem Eckstein aus regiert, kann mir meinen Bart so lange raufen lassen, bis ich ab¬ baute. Wo finde ich eine Kraft, welche mich dagegen schützt? In der Haupt¬ stadt muß sie sein, sie muß energisch, sie muß ergeben sein. Lamartine fiel, weil er sich auf Ideen stützte, und nicht auf Menschen, Cromwell regierte, weil sich „die Stillen im Lande" für ihn todtschlagen ließen, Napoleon war Herr, so lange er Soldaten und Patronen hatte. Wo ist in meiner Hauptstadt die Kraft der Re¬ volution? — Siehe zu, mein Mann, daß du dir diese Frage richtig beantwortest, durch die Antwort bestimmst du dein Schicksal. Wohlan, die Revolution hat ihre Organisation, es ist ein Sicherheitsausschuß vorhanden. Neben einem solchen Tribunal kann keine Regierung, kein Minister bestehen, wohl aber in ihm. Er muß um die Erlaubniß bitten, Mitglied dieses Kollegiums von Tribunen zu werden, „um mit den Wünschen und Interessen der Bürgerschaft, welcher er jetzt anzugehören das Glück hat, ganz zu verwachsen." Am ersten Tage seines Regi-,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/152>, abgerufen am 29.06.2024.