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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Indem HerrJgnaz Kuranda, seinem befreiten Vaterlande wiedergegeben und
seiner Stellung an der Grenze von Nord- und Süddeutschland entfremdet, die¬
selben uns, seinen persönlichen Freunden, überträgt, sprechen wir in diesem Scheide¬
gruß die herzliche Anerkennung seines Wirkens aus, die ihm von dem Publikum
in vollem Maße zu Theil geworden ist.

Wir werden die Grenzboten in dem Sinne fortsetzen, daß sie zur Versöhnung
der Gegensätze in Deutschland, zur Verbrüderung aller deutschen Stämme mit¬
wirken sollen. Wir sind uuabhüugig von der äußern Nöthigung der localen und
Tagesinteressen; wir können in unserem friedlichen Sachsen, in dem alle Gegen¬
sätze sich neutralistren, heimisch sein in Berlin wie in Frankfurt und Wien, an
der Nordsee wie am adriatischen Meer.

In einer andern Hinsicht aber müssen wir eine neue Phase des Blattes an¬
kündigen. Die alten Grenzboten gehörten der Restaurationsperiode an, einer
Zeit, in der das öffentliche Leben so erbärmlich war, daß die abstracte Literatur
dominirte, daß man die Fragen der Zeit oft genug als einen Stoss zierlicher
Darstellung ansah, daß die Politik sich nur in einem belletristischen Gewände sehen
lassen konnte.

Diese Zeit ist vorüber. Die" Literatur hat nur noch in so weit Berechtigung,
als sie sich in das Leben versenkt, sich warm und ohne Vorbehalt ihm hingibt.
Wir entsagen dem stolzen Bewußtsein der romantischen Literatur, frei zu sein von
den Ereignissen und mit ihnen spielen zu können, mit Freuden. Die Zeit hat alle
zierlichen Formen, alle äußerliche Rücksicht der Convenienz von sich geworfen, und
wir, die wir ihre Söhne sind, wollen der robusten Natur unserer Mutter keine
Schande machen.

Die Grenzboten sollen eine Revue sein, in welcher die wichtigen politischen,
socialen und künstlerischen Erscheinungen, welche jetzt wie ein wildes Heer im
Sturmwind durch die Tagesblätter fahren, durch wöchentliche Uebersichten zusam¬
mengefaßt und vom Standpunkt eines gebildeten Bewußtseins kritisirt werden.


Indem HerrJgnaz Kuranda, seinem befreiten Vaterlande wiedergegeben und
seiner Stellung an der Grenze von Nord- und Süddeutschland entfremdet, die¬
selben uns, seinen persönlichen Freunden, überträgt, sprechen wir in diesem Scheide¬
gruß die herzliche Anerkennung seines Wirkens aus, die ihm von dem Publikum
in vollem Maße zu Theil geworden ist.

Wir werden die Grenzboten in dem Sinne fortsetzen, daß sie zur Versöhnung
der Gegensätze in Deutschland, zur Verbrüderung aller deutschen Stämme mit¬
wirken sollen. Wir sind uuabhüugig von der äußern Nöthigung der localen und
Tagesinteressen; wir können in unserem friedlichen Sachsen, in dem alle Gegen¬
sätze sich neutralistren, heimisch sein in Berlin wie in Frankfurt und Wien, an
der Nordsee wie am adriatischen Meer.

In einer andern Hinsicht aber müssen wir eine neue Phase des Blattes an¬
kündigen. Die alten Grenzboten gehörten der Restaurationsperiode an, einer
Zeit, in der das öffentliche Leben so erbärmlich war, daß die abstracte Literatur
dominirte, daß man die Fragen der Zeit oft genug als einen Stoss zierlicher
Darstellung ansah, daß die Politik sich nur in einem belletristischen Gewände sehen
lassen konnte.

Diese Zeit ist vorüber. Die" Literatur hat nur noch in so weit Berechtigung,
als sie sich in das Leben versenkt, sich warm und ohne Vorbehalt ihm hingibt.
Wir entsagen dem stolzen Bewußtsein der romantischen Literatur, frei zu sein von
den Ereignissen und mit ihnen spielen zu können, mit Freuden. Die Zeit hat alle
zierlichen Formen, alle äußerliche Rücksicht der Convenienz von sich geworfen, und
wir, die wir ihre Söhne sind, wollen der robusten Natur unserer Mutter keine
Schande machen.

Die Grenzboten sollen eine Revue sein, in welcher die wichtigen politischen,
socialen und künstlerischen Erscheinungen, welche jetzt wie ein wildes Heer im
Sturmwind durch die Tagesblätter fahren, durch wöchentliche Uebersichten zusam¬
mengefaßt und vom Standpunkt eines gebildeten Bewußtseins kritisirt werden.


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[0010] Indem HerrJgnaz Kuranda, seinem befreiten Vaterlande wiedergegeben und seiner Stellung an der Grenze von Nord- und Süddeutschland entfremdet, die¬ selben uns, seinen persönlichen Freunden, überträgt, sprechen wir in diesem Scheide¬ gruß die herzliche Anerkennung seines Wirkens aus, die ihm von dem Publikum in vollem Maße zu Theil geworden ist. Wir werden die Grenzboten in dem Sinne fortsetzen, daß sie zur Versöhnung der Gegensätze in Deutschland, zur Verbrüderung aller deutschen Stämme mit¬ wirken sollen. Wir sind uuabhüugig von der äußern Nöthigung der localen und Tagesinteressen; wir können in unserem friedlichen Sachsen, in dem alle Gegen¬ sätze sich neutralistren, heimisch sein in Berlin wie in Frankfurt und Wien, an der Nordsee wie am adriatischen Meer. In einer andern Hinsicht aber müssen wir eine neue Phase des Blattes an¬ kündigen. Die alten Grenzboten gehörten der Restaurationsperiode an, einer Zeit, in der das öffentliche Leben so erbärmlich war, daß die abstracte Literatur dominirte, daß man die Fragen der Zeit oft genug als einen Stoss zierlicher Darstellung ansah, daß die Politik sich nur in einem belletristischen Gewände sehen lassen konnte. Diese Zeit ist vorüber. Die" Literatur hat nur noch in so weit Berechtigung, als sie sich in das Leben versenkt, sich warm und ohne Vorbehalt ihm hingibt. Wir entsagen dem stolzen Bewußtsein der romantischen Literatur, frei zu sein von den Ereignissen und mit ihnen spielen zu können, mit Freuden. Die Zeit hat alle zierlichen Formen, alle äußerliche Rücksicht der Convenienz von sich geworfen, und wir, die wir ihre Söhne sind, wollen der robusten Natur unserer Mutter keine Schande machen. Die Grenzboten sollen eine Revue sein, in welcher die wichtigen politischen, socialen und künstlerischen Erscheinungen, welche jetzt wie ein wildes Heer im Sturmwind durch die Tagesblätter fahren, durch wöchentliche Uebersichten zusam¬ mengefaßt und vom Standpunkt eines gebildeten Bewußtseins kritisirt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/10>, abgerufen am 26.06.2024.